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Ungewisse Zukunft nach den Wahlen
Maduro klammert sich an die Macht – stürzt Venezuelas Wirtschaft nun ganz ab?

Venezuelan President Nicolas Maduro sits in front of an image of Venezuelan independence hero Simon Bolivar as he gives a news conference at Miraflores presidential palace in Caracas, Venezuela, Wednesday, July 31, 2024, three days after his disputed reelection. (AP Photo/Matias Delacroix)
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Als Josep Borrell, der Aussenbeauftragte der Europäischen Union, am Montag eine Einschätzung zur Lage in Venezuela abgab, war dies einerseits eine dringliche Warnung, andererseits aber auch eine gehörige Untertreibung. Vor rund drei Wochen hatten Wahlen stattgefunden in dem südamerikanischen Land. Alle seriösen Umfragen sagten der Opposition einen klaren Sieg voraus.

Dennoch aber wurde am Ende Nicolás Maduro zum Gewinner erklärt, jener Staatschef also, der das Land seit mehr als einem Jahrzehnt mit eiserner Hand regiert. Beweise wurden keine vorgelegt, und solange das so bliebe, warnte der EU-Aussenbeauftragte Borrell, könne die internationale Gemeinschaft das Ergebnis nicht anerkennen: «Venezuela könnte in eine schwere Krise stürzen.» Falsch ist das nicht, aber eben auch eine Untertreibung. Denn: In einer Krise steckt das Land schon lange, politisch, aber auch wirtschaftlich.

Dabei war Venezuela einmal eines der reichsten Länder der ganzen Region. Anfang des 20. Jahrhunderts hatte man Öl gefunden. Teils blubberte es sogar von allein aus der Erde. Riesige Raffinerien entstanden und eine boomende Industrie. Die Strassen waren breit, die Autos gross, die Teller voll. Gleichzeitig aber war der Reichtum ungerecht verteilt. Auch darum gewann 1998 Hugo Chávez die Wahlen, ein ehemaliger Offizier, der versprach, das Land in einen «Sozialismus des 21. Jahrhunderts» zu führen: Wohlstand für alle statt Luxus allein für die Elite.

Chávez hatte Glück: Die venezolanische Ölförderung lief Ende der 90er-Jahre auf Hochtouren, dazu stiegen kurz darauf auch noch die Weltmarktpreise, von rund 10 Dollar pro Fass auf weit über 100 Dollar. Das Geld sprudelte nur so in die Staatskassen, und die Regierung gab es mit vollen Händen wieder aus: für Sozialprogramme, öffentlichen Wohnungsbau, nahezu kostenlose Gesundheitsversorgung, vergünstigte Lebensmittel und spottbilliges Benzin.

Der staatliche Ölkonzern Petróleos de Venezuela S.A., meist nur PDVSA genannt, wurde zu einer Art Selbstbedienungsladen, der für alles aufkommen musste, was die Führung in Caracas sich erträumte. Üppige Stipendien für Venezolaner, die im Ausland studieren wollen? Kein Problem! PDVSA zahlte teilweise sogar die Miete. Oft verschwanden dazu Gelder auch einfach in den Taschen von korrupten Funktionären. Und ihre Freunde, Verwandten und Günstlinge wurden auf gut bezahlte Posten gesetzt.

Bei PDVSA stieg und stieg die Zahl der Mitarbeiter, gleichzeitig aber sank die Fördermenge. Produzierte Venezuela 1997 noch mehr als drei Millionen Fass Öl pro Tag, waren es zehn Jahre später nur noch zwei Drittel so viel. Gleichzeitig brach auch noch der Ölpreis ein. Teilweise war ein Barrel auf den Weltmärkten keine 35 Dollar mehr wert.

Maduro kurbelte die Inflation an

Hugo Chávez erlebte das alles nicht mehr, 2013 erlag er einem Krebsleiden. Nach seinem Tod trat ein von ihm persönlich auserwählter Nachfolger das Präsidentenamt an: Nicolás Maduro. Ihm fehlen das Glück und das Charisma seines Vorgängers, dafür aber hat der heute 61-Jährige einen unbedingten Willen, an der Macht zu bleiben – koste es, was es wolle.

Um die sinkenden Erdöleinnahmen auszugleichen, liess Maduro die Notenpressen immer schneller laufen. Schon 2014 hatte Venezuela eine der höchsten Inflationsraten weltweit. Massenproteste brachen aus, die von der Regierung blutig niedergeschlagen wurden. Und bei Abstimmungen kam es zu immer grösseren Unstimmigkeiten. Die USA verhängten darum Sanktionen. Erst nur gegen Mitglieder der Regierung und der Armee, dann, 2017, auch gegen die Ölindustrie. Daraufhin gingen die Lichter aus im Land, buchstäblich, wegen Stromausfällen, tage- und wochenlang.

Rund acht Millionen Menschen haben Venezuela verlassen

Rund acht Millionen Venezolanerinnen und Venezolaner haben in den vergangenen Jahren ihre Heimat verlassen, fast ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Unter Staatschef Nicolás Maduro ist das Bruttoinlandprodukt um 75 Prozent geschrumpft. War der US-Dollar lange im Land verboten, hat er heute den venezolanischen Bolívar im Alltag weitgehend verdrängt. Dies hat mit dazu beigetragen, dass es in einigen wenigen Bereichen nach Jahren der Krise einen zarten Wirtschaftsaufschwung gibt.

Viele Regierungsgünstlinge können auch nur bedingt ins Ausland reisen. Sie stehen auf Sanktionslisten oder werden sogar per Haftbefehl gesucht. Das Geld, das sie dank komfortabler Posten und über Korruption verdienen, geben sie darum im Land aus. In Caracas gibt es heute wieder Luxusrestaurants, und Autohändler verkaufen teure Sportwagen.

Auch in den allerschlimmsten Momenten hat Venezuela dazu nie aufgehört, Öl zu exportieren, nach Kuba, in den Iran, nach Indien oder China. Nach dem Ausbruch des russischen Kriegs in der Ukraine begann sich auch der Westen wieder für das Land zu interessieren. Washington schickte Unterhändler nach Caracas, Staatschef Nicolás Maduro schüttelte auf internationalen Konferenzen wieder Hände.

US-Sanktionen gegen Venezuela wieder in Kraft

Und im vergangenen Oktober schaffte man es sogar, die Regierung zu Wahlen zu überreden. Alle Hoffnung auf Wandel verpuffte aber schnell wieder: Oppositionskandidaten wurden blockiert, am Ende die Abstimmung höchstwahrscheinlich ganz gestohlen.

Was dies wirtschaftlich bedeutet, muss sich erst noch zeigen. Die US-Sanktionen sind grösstenteils wieder in Kraft, allerdings mit Ausnahmen. So darf zum Beispiel Chevron weiter in begrenztem Umfang Öl fördern. Und auch die Überweisungen, mit denen die im Ausland lebenden Venezolaner ihre Familien in der alten Heimat unterstützen, werden nicht versiegen.

Im Gegenteil: Schätzungen gehen davon aus, dass nun, da klar ist, dass es keinen Regierungswechsel gibt, weitere vier Millionen Menschen das Land verlassen könnten. Dabei ist die venezolanische Auswanderung schon jetzt der grösste Massenexodus in der Geschichte Südamerikas.

Josep Borrell, der Aussenbeauftragte der Europäischen Union, mag also vor einer Krise warnen. In Wahrheit aber droht mehr als das: eine Katastrophe.