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Mädchen und Frauen in Afghanistan
«Nicht lernen zu dürfen, fühlt sich an wie ein Todesurteil»

Nur noch die Grundschulen sind offen für Mädchen: Schulstart in Kabul am 15. September. 
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Wer gehofft haben sollte, dass die Taliban nach ihrer Machtergreifung Einsicht zeigen und Afghanistan halbwegs moderat regieren würden, wird enttäuscht. Im Zentrum der Befürchtungen stehen wie immer die Frauen: Der jüngste Bericht von Amnesty International zur Lage besonders schutzbedürftiger Frauen im Land ist verheerend. Frauen, die in Frauenhäusern gelebt haben, um Zwangsheirat oder der Gewalt ihrer Ehemänner zu entkommen, sind nun vollkommen schutzlos.

Der Bericht der Menschenrechtsorganisation belegt, dass so ziemlich alles, was in den letzten zwanzig Jahren an Schutzmassnahmen für bedrohte Frauen erreicht wurde, seit dem Taliban-Sieg im August von den Islamisten zunichtegemacht wird. Was die Taliban-Herrschaft für die besonders Schutzbedürftigen in den Frauenhäusern bedeutet, listet Amnesty in dem Bericht detailliert auf. Nicht nur, dass die Frauenhäuser geschlossen worden seien. Frauen seien gezwungen worden, zu ihren gewalttätigen Ehemännern oder Familien zurückzukehren. Andere seien im Gefängnis gelandet oder müssten auf der Strasse leben. Eine Wohnung zu finden, ist für alleinstehende Frauen auch in Grossstädten wie Kabul oder Mazar-i-Sharif de facto unmöglich, das war auch schon vor der Machtübernahme der Taliban so.

Keine Chance auf Bildung und Zukunft

Amnesty-Generalsekretärin Agnès Callamard forderte die Machthaber auf, die Wiedereröffnung von Notunterkünften für Frauen zu gestatten und zu unterstützen. Die internationale Gemeinschaft solle solche Schutzdienste finanzieren. In Afghanistan erleben laut UNO-Angaben neun von zehn Frauen in ihrem Leben Gewalt in der Partnerschaft oder der Familie. Vor der Machtübernahme der Taliban wandten sich jährlich Tausende Frauen an ein landesweites Netz von Frauenhäusern und Organisationen, die sie unterstützten.

Auch die Lage der Mädchen bleibt erschreckend: Die Schulen – ausser Grundschulen – bleiben geschlossen, die Mädchen und jungen Frauen sitzen zu Hause und verpassen jede Chance auf Bildung und Zukunft. Und das, obwohl die Taliban selbst sich jüngst als Beschützer der Frauenrechte darzustellen versuchen, indem sie die in Afghanistan häufige Zwangsheirat verbieten. Das sollte wohl vor allem die westlichen Staaten beruhigen, von denen sich die Taliban Hilfsgelder erhoffen, die aber vorerst auf dem Schutz der Frauenrechte bestehen. Wie die Taliban über Frauen wirklich denken, hatte sich eigentlich aber schon direkt nach ihrer Machtübernahme gezeigt. Sie lösten das Frauenministerium auf und ersetzten es durch ein Ministerium «zur Förderung der Tugend und der Vermeidung des Lasters».

Vom politischen Leben ausgeschlossen: Afghaninnen stehen in Kabul für Lebensmittelhilfe an. 

So bleibt die Lage entsprechend desolat: Mädchen wird die Schulbildung ab der Mittelstufe praktisch unmöglich gemacht, wie schon während der ersten Islamisten-Herrschaft von 1996 bis 2001. Grundschule ist das Maximum, was die Taliban auch heute zulassen. Und das, obwohl sie anfangs versprochen hatten, dass Schulen und Universitäten den Mädchen und jungen Frauen offenstehen würden.

Die hinhaltende Ausrede: Schulen und Hochschulen müssten erst noch mit nach Geschlechtern getrennten Räumlichkeiten ausgestattet werden. Erst dann könne der Unterricht im Rahmen der angeblich islamisch begründeten Sittlichkeitsvorstellungen stattfinden, die die extrem konservative Paschtunen-Miliz allen 40 Millionen Afghanen vorschreiben will. Doch jetzt bestätigte Vize-Bildungsminister Abdul Hakim Hemat der britischen BBC, dass möglicherweise nicht einmal das gesichert ist: Im kommenden Jahr werde eine neue Bildungspolitik formuliert, so der Taliban-Politiker.

«Wir akzeptieren nicht, dass für uns als Dasein nur bleibt, zu heiraten, zu Hause zu hocken und zu essen.»

Farida Akbari, afghanische Frauenrechtlerin

Was diese bedeuten könnte, zeichnet sich bereits ab: Landesweite und breit angelegte Schulbildung für Mädchen wird es unter den Taliban nicht geben. Wie sehr die Mädchen unter der Perspektivlosigkeit ihres jetzigen Lebens leiden, zeigt ein Bericht der BBC. Deren Reporter hatten Mädchen und junge Frauen in 13 Provinzen befragt. Laut dem Bericht ist die Lage landesweit nicht einheitlich, an manchen Orten ist der Schulbesuch für Mädchen durchaus noch möglich. Doch eine der befragten Schülerinnen, eine 15-Jährige aus der abgelegen Bergprovinz Badakhshan im Nordosten, beschrieb ihre Verzweiflung so: «Nicht lernen zu dürfen, fühlt sich an wie ein Todesurteil.»

Das Erstaunliche bei all dem ist: Einige mutige afghanische Aktivistinnen weigern sich trotz der Repression der Taliban, die in den vergangenen 20 Jahren unter der pro-westlichen Regierung gewonnenen Rechte abzuschreiben. In einer Deklaration reagierten Kabuler Frauenrechtlerinnen auf das Zwangsheiratsverbot der Islamisten. Die Frauen forderten Bildung, Arbeit und volle gesellschaftliche Teilhabe. Das Verbot der Zwangsheirat sei nicht genug, um den Rechten der Afghaninnen Genüge zu tun, erklärt etwa die Aktivistin Farida Akbari: «Wir akzeptieren nicht, dass für uns als Dasein nur bleibt, zu heiraten, zu Hause zu hocken und zu essen. Wir beharren auf einer Rolle in der Politik, in der Wirtschaft, in der Bildung und bei anderen sozialen Aktivitäten, und das ohne jede Einschränkung.»