GastkommentarNicht auf Windkraft verzichten
Die Schweiz hinkt bei der Windenergie hintennach – wegen der vielen Rechtsverfahren. Es braucht mehr Pragmatismus.
Weltweit sind 2020 Windenergieanlagen mit einer Leistung von 93’000 Megawatt installiert worden. Und die Gesamtleistung verdoppelt sich alle drei Jahre. Die Windkraft dürfte in weniger als einem Jahrzehnt zur führenden Stromquelle Europas aufsteigen.
Anders in der Schweiz: Hier sind erst 42 grosse Windenergieanlagen mit einer Leistung von 87 Megawatt in Betrieb. In den deutschen Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern beträgt die installierte Leistung das 18- respektive das 29-Fache der Schweiz – in Österreich das 36-Fache. Die Schweizer Windenergie leistet aber einen unverzichtbaren Beitrag – vor allem im Winterhalbjahr, in dem sie zwei Drittel ihrer Gesamtleistung erbringt. Sie ergänzt Wasserkraft und Solarenergie optimal, die im Sommerhalbjahr hohe Produktionszahlen erreichen, im Winter jedoch wenig produzieren. Die Schweiz darf daher nicht auf die Windkraft verzichten. Es ist unverantwortlich, dass deren Entwicklung seit über einem Jahrzehnt praktisch stagniert, weil zahlreiche Projekte mit komplexen Planungs- und Gerichtsverfahren kämpfen.
Es ist unverantwortlich, dass die Entwicklung der Windkraft seit über einem Jahrzehnt praktisch stagniert.
Praktisch jedes Projekt wird mit Einsprachen und Beschwerden konfrontiert. Nicht nur von Privaten. Auch Umweltschutzverbände machen regelmässig vom Verbandsbeschwerderecht Gebrauch. Sie bieten damit Privaten, welche aus persönlichen Gründen gegen ein Projekt sind – ob gewollt oder ungewollt –, eine willkommene Legitimation.
Zum Beispiel die Schweizer Vogelschutzorganisation Birdlife. Ihre äusserst restriktive Haltung ist unverständlich, hat sie doch international ein Papier mitverfasst, wonach der Klimawandel eine wesentliche Ursache für den Verlust der Artenvielfalt ist. Und dass erneuerbare Energien beim Reduzieren der CO₂-Emissionen helfen. Dies hindert Birdlife Schweiz allerdings nicht daran, ein Merkblatt zum Thema Windenergie zu verfassen, welches Ausschlussgebiete für den Bau von Windkraftanlagen so umfassend definiert, dass praktisch die ganze Schweiz zum Ausschlussgebiet würde.
Obschon die Gerichte in der Regel zugunsten der sorgfältig geplanten Windenergieprojekte entscheiden, verzögern und blockieren die Verfahren die Umsetzung der Energie- und Klimapolitik in der Schweiz empfindlich. Dies gilt auch für die Wasserkraft und zahlreiche Biomasseprojekte. Wenn die Schweiz eine zukunftsfähige Energie- und Klimapolitik umsetzen will, muss sie die Voraussetzungen schaffen, dass entsprechende Projekte innert nützlicher Frist bewilligt und realisiert werden können. Dies bedingt auf verschiedenen Ebenen eine pragmatische Gangart.
Im Rahmen der «Botschaft zum Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung» müssen entsprechende Entscheide getroffen werden. Die Politik aller Stufen ist gefordert. Und die Umwelt- und Landschaftsschützer, die ja auch für die Energiewende einstehen, müssen Kompromisse eingehen.
* Roman Weissen war unter anderem Gemeindepräsident von Unterbäch VS und Leiter des Büros Bern des Wirtschaftsverbandes Swisscleantech.
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