Besuch in WashingtonNetanyahu-Rede im Capitol: «Israel zielt nicht auf Zivilisten»
Benjamin Netanyahu ist der erste ausländische Staatsmann, der vier Mal vor dem US-Kongress sprach. Eine Reihe von Abgeordneten blieb der Rede fern. Die Republikaner erregte besonders eine Personalie.
Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu hat einen seltenen Auftritt vor beiden Kammern des US-Kongresses dazu genutzt, jegliche Kritik am militärischen Vorgehen seines Landes im Gazastreifen zurückzuweisen. Israel ziele im Gaza-Krieg nicht absichtlich auf Zivilisten. «Die israelische Armee hat Millionen von Flugblättern abgeworfen, Millionen von SMS, Hunderttausende Telefongespräche geführt, um Schaden an palästinensischen Zivilisten zu verhindern», sagte Netanyahu.
Gleichzeitig habe die Hamas «alles in ihrer Macht Stehende getan, um palästinensische Zivilisten in Gefahr zu bringen». Sie hätten etwa Raketen aus Schulen, Spitälern und Moscheen abgefeuert. Er warf der Hamas vor, Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen. «Was für eine monströse Bosheit. Für Israel ist jeder Tod eines Zivilisten eine Tragödie – für die Hamas ist es eine Strategie.»
Er sagte zudem, im Gaza-Krieg habe es verhältnismässig wenig zivile Opfer gegeben, im Vergleich zu Kriegen in Wohngebieten in anderen Ländern. Besonders niedrig seien zivile Verluste in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifen gewesen. Dies widerspricht den Zahlen des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums. Diese unterscheiden allerdings nicht zwischen getöteten Zivilisten und Kombattanten.
«Zuversichtlich» zu Schicksal der Geiseln
Netanyahu hat sich «zuversichtlich» zu den Erfolgsaussichten der Verhandlungen über eine Freilassung der von der Hamas gehaltenen Geiseln gezeigt. «Ich bin zuversichtlich, dass diese Bemühungen zum Erfolg führen können», sagte er in einer gemeinsamen Sitzung von Senat und Repräsentantenhaus in Washington.
Der israelische Regierungschef verwies auf die derzeit stattfindenden Verhandlungen in Doha und dankte US-Präsident Joe Biden für seine «unermüdlichen Anstrengungen im Interesse der Geiseln».
Mehrere Festnahmen auf Kongresstribüne
Mehrere Zuhörer haben Netanyahus Rede von der Tribüne des Plenarsaals aus mit Zwischenrufen gestört. Sie seien umgehend abgeführt und festgenommen worden, teilte die Capitolpolizei auf X am Mittwoch mit. Demnach gab es fünf Festnahmen. «Den Kongress zu stören und in Kongressgebäuden zu demonstrieren, verstösst gegen das Gesetz», hiess es in dem Post weiter. Die Parteizugehörigkeit der Festgenommenen war zunächst unklar.
Die Rede wurde begleitet von lauten Protesten rund um das Parlamentsgebäude in der US-Hauptstadt. Tausende Menschen forderten vor dem Capitol eine Waffenruhe im Gazastreifen. Ein Teil der Demonstranten trug palästinensische Flaggen. Drinnen äusserte sich Netanyahu verächtlich über die Proteste. Die Demonstranten stünden auf der Seite des Bösen, «sie stehen auf der Seite der Hamas, sie stehen auf der Seite von Vergewaltigern und Mördern». Direkt an Demonstranten gerichtet sagte Netanyahu mit Blick auf die Verbindungen zwischen der Hamas und dem Iran: «Ihr seid offiziell zu nützlichen Idioten des Iran geworden.» Viele Demonstranten hätten nicht die geringste Ahnung, wovon sie sprächen.
Vision für den «Tag danach» in Gaza und den Nahen Osten
Der israelische Regierungschef bekräftigte, der Krieg werde mit einem Sieg über die Hamas enden. Seine Vision für den Tag danach sei «ein entmilitarisiertes, entradikalisiertes Gaza». Israel wolle den Gazastreifen nicht wiederbesiedeln, müsse dort aber auf absehbare Zeit die Sicherheitskontrolle bewahren. Er sprach von einer zivilen Verwaltung durch «Palästinenser, die Israel nicht zerstören wollen».
Für den Nahen Osten sprach Netanyahu von einem Sicherheitsbündnis von Israel und den USA gegen den Iran. «Alle Länder, die mit Israel in Frieden leben, und all jene Länder, die Frieden mit Israel schliessen werden, sollten eingeladen werden, sich diesem Bündnis anzuschliessen.»
Harris blieb der Rede fern
Netanyahu ist der erste ausländische Staatsmann, der vier Mal vor dem Kongress sprach. Der bisherige Rekordhalter war der britische Weltkriegspremier Winston Churchill.
Viele Demokraten und der parteilose Senator Bernie Sanders hatten angekündigt, Netanyahus Auftritt zu boykottieren. Die prominenteste Absage kam von Vizepräsidentin Kamala Harris, die in ihrer Funktion als Präsidentin des Senats normalerweise hinter einem ausländischen Staatsgast sitzt, wenn dieser im Kongress spricht. Die wahrscheinliche Kandidatin der Demokraten bei der Präsidentenwahl im November hat sich mit einer seit längerem geplanten Reise entschuldigt. Die Republikaner werfen ihr Illoyalität gegenüber einem Verbündeten vor. Allerdings fehlte auch der republikanische Vizepräsidentschaftskandidat J.D. Vance bei Netanyahus Rede. Er hatte Wahlkampfauftritte als Grund genannt. Seine republikanische Senatskollegin Joni Ernst sagte dazu, Vance kandidiere ja erst als Vizepräsident, Harris’ Fernbleiben dagegen sei eine Schande.
Netanyahu ist für mehrere Tage in den USA und will dort auch Biden treffen – und dessen Amtsvorgänger Donald Trump, der bei der Präsidentschaftswahl im November erneut für die Republikaner antritt. Auch ein Treffen mit Bidens Stellvertreterin Harris, die voraussichtlich für die Demokraten bei der Wahl ins Rennen gehen wird, ist geplant. Netanyahu dankte Bidens Regierung für die Unterstützung in dem Krieg und bat zugleich um weitere, schnellere Waffenlieferungen. «Gebt uns die Mittel schneller – und wir werden die Arbeit schneller beenden.»
DPA/nag
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