Verblüffende KörperreaktionPuls, Atem – und sogar die Haut: Musik bringt Menschen im Publikum in Einklang
Bei einem Konzert synchronisieren sich Herzschlag, Atemfrequenz und Leitfähigkeit der Haut bei den Zuhörenden. Warum das so ist und wer dafür besonders empfänglich ist.
Mit seiner 1933 komponierten Operette «Zwei Herzen im Dreivierteltakt» hat Robert Stolz der Wissenschaft erheblich vorgegriffen. Schliesslich ähneln sich nicht nur die Gefühle, wenn Menschen gemeinsam Musik hören, sondern etliche Körpervorgänge, die keiner willkürlichen Steuerung unterliegen, laufen dann ebenfalls parallel ab. Der Herzschlag, die Atemfrequenz und sogar die Leitfähigkeit der Haut befinden sich buchstäblich im gleichen Takt.
Gerade haben Wissenschaftler gezeigt, dass bei Zuhörern klassischer Musik körperliche Synchronität induziert wird. Im Fachmagazin «Scientific Reports» belegen die Forscher aus Zürich, Frankfurt, Friedrichshafen und Karlsruhe, dass sich bei Stücken von Ludwig van Beethoven (Opus 104 in c-Moll), Johannes Brahms (Opus 111 in G-Dur) und Brett Dean («Epitaphs») der Pulsschlag und die Atemfrequenz im Auditorium angleichen.
Musik als Taktgeber des Körpers
Beobachtet wurde ausserdem, dass die Leitfähigkeit der Haut bei den Probanden unter dem Musikgenuss immer ähnlicher wurde. Sie ist ein Mass für den Grad der Aktivierung und der Erregung, mithin dafür, wie ergreifend oder berührend eine Darbietung empfunden wurde.
Unter den 132 mit Sensoren ausgestatteten Zuhörern, die an der Studie teilnahmen, wurden per Kamera zudem ganz ähnliche Bewegungsmuster aufgezeichnet, während das Streichquintett spielte. Allerdings ging die Parallelschaltung unter den Klassikfreunden nicht so weit, dass sie auch zur selben Zeit ein- und ausatmeten; lediglich die Häufigkeit der Atemzüge wurde immer ähnlicher. Künftig sollte wohl nicht nur vom Orchester als Klangkörper gesprochen werden, sondern auch vom Publikum als Resonanzkörper, der synchron zur Symphonie schwingt.
Die Probanden konnten sich kaum sehen, das Licht war während des Konzerts gedimmt, und die Zuhörer hielten zueinander Abstand – die Studie fand noch während der Pandemie statt. Es sei deshalb unwahrscheinlich, schreiben die Forscher, dass die Synchronizität auf Interaktion zwischen den Teilnehmern beruhe; stattdessen gehen sie davon aus, dass die Musik der Taktgeber ist.
Diese Form der sozialen Ansteckung wird auch als interpersonelle Synchronizität bezeichnet.
Wie stark jemand unbewusst mitschwingt, ist offenbar auch davon abhängig, wie er seinen Mitmenschen gegenübertritt. Wer sich in einem Fragebogen als offen für neue Erfahrungen, kompromissbereit und der Kunst zugewandt einschätzte, synchronisierte die Körperfunktionen eher mit der Musik als jene, die sich für extrovertiert oder ängstlich und neurotisch hielten. Jene Probanden, die von der Musik besonders ergriffen waren, hatten einen besonders synchronen Herzschlag.
Dass der Homo sapiens ein zutiefst soziales Wesen ist, sich in Gemeinschaft auf andere einstellt und Gesten und Bewegungen nachmacht, ist schon länger bekannt. Diese Form der sozialen Ansteckung wird auch als interpersonelle Synchronizität bezeichnet und findet sich bei etlichen Lebewesen.
Der Mensch ist ein Nachahmer, andere Tiere sind das auch. Vögel fliegen in symmetrischer Formation, Huftiere folgen einander Schritt für Schritt. Sitzen sich Arbeitskollegen im Meeting gegenüber, schlagen sie im gleichen Moment oder kurz nacheinander die Beine übereinander oder neigen ebenfalls den Kopf zur Seite. Kinder imitieren Ton und Sprachduktus ihrer Eltern, sodass manche Stimmen, die der Welt der Knäkenten zu entstammen scheinen, auch der nächsten Generation erhalten bleiben. Die Angleichung erfolgt sogar über Artgrenzen hinweg. Wie sonst wäre es zu erklären, dass sich Hund und Hundehalter über Jahre inniger Zweisamkeit immer ähnlicher werden?
Synchronisation ist auch ohne direkten Austausch möglich
Es gab auch immer wieder Berichte, wonach Frauen ihren Menstruationszyklus angleichen, wenn sie zusammen wohnen oder eng befreundet sind, was oft Duftstoffen zugeschrieben wird. Allerdings gab es trotz zahlreicher Einzelfallstudien zum Thema bei grösseren Auswertungen keinen Beleg für die menstruelle Synchronität aus Nachbarschaft – es dürfte eher an den Mondphasen liegen.
Die aktuelle Konzertstudie belegt nun jedoch, dass Synchronisationseffekte auch dann möglich sind, wenn Lebewesen nicht im direkten Austausch und in unmittelbarem Miteinander stehen. Zumal Herzschlag, Atemfrequenz oder andere Vitalfunktionen des autonomen Nervensystems nicht so leicht bewusst zu steuern sind, auch Signalmoleküle, die solche Aktivitäten synchronisieren würden, sind nicht bekannt.
Hier handelt es sich also offenbar um einen anderen Effekt: «Die Zuhörer des Konzerts haben Resonanz auf die Musik gezeigt», schreiben die Autoren um Wolfgang Tschacher von der Universität Bern. «Ihre Wahrnehmung hat sich gleichsam verkörpert.»
Solche Resonanzeffekte wurden schon öfter gemessen – und auch, dass sie sich unter bestimmten Umständen verstärken. Forscher aus den Niederlanden haben gezeigt, dass Herzschlag, Atemfrequenz und die elektrische Aktivität der Haut beim Betrachten von Videoclips eher synchron wurden, wenn die Probanden ähnlich intensiv bei der Sache waren. In diesem Experiment wurden die Videos Probanden sogar ohne die Anwesenheit anderer Teilnehmer gezeigt. Trotzdem glichen sich die Reaktionen, vor allem bei jenen, die geradezu in den Filmen versanken.
Die Musik lässt es kaum zu, mit seinem Verhalten aus der Reihe zu tanzen.
Eine Arbeitsgruppe aus New York postuliert aufgrund ähnlicher Experimente, dass dies an der ähnlichen kognitiven Verarbeitung der Reize liegt – und sich daher für Körperfunktionen zeigt, die stark von der Gehirnaktivität abhängen, etwa Pupillengrösse oder Herzschlag. «Eine effektive kognitive Verarbeitung verbessert die Angleichung physiologischer Funktionen», so die Autoren Jens Madsen und Lucas Parra. «Das führt zu einer stabilen Verbindung von Geist und Körper.» Und auf einmal schwingen alle mit.
Gerade die Musik lässt es kaum zu, während des gemeinsamen Zuhörens mit seinem Verhalten aus der Reihe zu tanzen. Da ist einerseits der schwer zu unterdrückende Drang, bei Rock, Folk, Blues oder Schlager mitzuschwingen, zu summen, den Rhythmus mit dem Finger zu klopfen oder mit dem Fuss zu wippen.
Andererseits ist der strenge Verhaltenskodex, der im klassischen Konzert gilt, physiologisch überhaupt nicht zu begründen. Schliesslich ist es unter kollektiver Ächtung untersagt, zwischen den Sätzen eines Stückes zu klatschen oder gar während einer gelungenen Passage in Beifallsstürme auszubrechen. Wer als Besucher einer Klassikvorführung solchen Impulsen folgt, gilt nicht etwa als gefühlvoll und von der Musik ergriffen, sondern wird als Kulturbanause entlarvt. Und das, obwohl er doch von ganzem Herzen und im Gleichtakt mit dem übrigen Publikum dabei ist.
Fehler gefunden?Jetzt melden.