Mamablog: System KleinfamilieMit dem Baby allein zu Haus
Unsere Autorin erinnert sich an den Moment, als sie zum ersten Mal allein mit ihrem Neugeborenen war. Warum sie dieses Gefühl der Macht und Ohnmacht niemals vergessen wird.
Es war einer jener Wintermorgen, die einem in ihrer Kahlheit nichts, aber auch gar nichts entgegenbringen, ausser einem selbst. Nichts von draussen drang in unsere Wohnung, weil die Kälte unsere Fenster so stark beschlug. Und es war jener denkwürdige Tag, an dem ich zum ersten Mal allein mit meinem Neugeborenen sein würde.
Anwesend war mein unfassbar müdes, leicht verwirrtes Ich, das seit der schweren Geburt noch nie länger als zwei Stunden am Stück geschlafen hat, ein zum Fressen süsses Baby und mein Mann, der in frisch polierten Schuhen geschäftig die Wohnung durchschritt, um nach seinem lächerlich kurzen Vaterschaftsurlaub wieder in die Arbeitswelt einzutauchen. Nach einer festen Umarmung fiel die Tür hinter ihm zu, der Motor des Wagens heulte auf, und dann wurde es still. Sehr still.
Zwischen Ehrfurcht und Angst
Ich hielt das kleine, warme Bündel im Arm, versenkte meinen verliebten Blick in seinen, als sich eine ganz neue, kalte Empfindung dazu schlich. Diese Empfindung war angesiedelt zwischen Ehrfurcht und Angst. Schlagartig wurde mir bewusst, dass ich ab sofort eine nie gekannte Verantwortung trage. Eine, die selbst das wichtigste Projekt bei der Arbeit nie in sich trug. Dass mir dieser winzige Mensch in meinen Armen komplett ausgeliefert ist, weil er keines seiner Bedürfnisse selbst stillen konnte, und es für sein Leben entscheidend ist, wie ich ihm begegne.
An jenem Wintermorgen mit Säugling im Arm amtete ich plötzlich allein …
Noch nie in meinem Leben war so viel Verletzlichkeit auf so viel Macht meinerseits getroffen. Das erschütterte mich einen Moment derart, dass ich das verdutzte Baby unter den Arm packte, um bei meiner Nachbarin – einer gestandenen Mutter erwachsener Kinder –, einer Tasse Tee und ihrem empathischen Wesen das zu finden, was ich gerade so dringend brauchte: Verbindung zu einem Menschen, der mich verstand und sich nicht lustig über meine Gefühle machte.
Minisystem Kleinfamilie
Inzwischen bin ich selbst eine dieser gestandenen Mütter, die manchmal jemandem zuhört, die – oder sehr selten der – neu die hauptverantwortliche Person eines Neugeborenen ist. Und immer wieder höre ich aus den Erzählungen der Jungmütter, was auch für mich damals die grösste Herausforderung war: Nicht der Unterbruch im Job oder die fehlende Anerkennung. Sondern nicht mehr Teil eines Teams zu sein. In meinem Job gab es immer x Menschen mit unterschiedlichsten Kompetenzen, welche sie dem Projekt Y zur Verfügung stellten. Doch an jenem Wintermorgen mit Säugling im Arm amtete ich plötzlich allein (mein Mann arbeitete damals noch 100 Prozent) im Minisystem Kleinfamilie, das mir an manchen Tagen so hermetisch abgeriegelt erschien, wie unsere Wohnung diesseits der beschlagenen Fenster.
«Früener sind t Müetere nach dä Geburt diräkt ufs Fäld!»
Ein Minisystem, das keinem grösseren System angebunden war, und mir zugleich ein Übermass an Macht und Ohnmacht überstülpte. Dazu hatte ich aber bitte sehr noch dem Bild der glückseligen, jungen Mutter zu entsprechen. Was ich durchaus auch war. Aber eben nicht nur. Taumelnd vor Glück und Dankbarkeit in einem Moment, verloren, müde, überfordert oder gelangweilt im nächsten.
Isolation und Ignoranz sind keine Tugenden
Von entfernten Bekannten hörte ich dann manchmal Sätze, wie: «Bis doch eifach froh, dass es gsund isch!» oder «Früener sind t Müetere nach dä Geburt diräkt ufs Fäld!». Woraufhin ich zusammenzuckte und mich schuldig, unzulänglich fühlte. Ich übersah damals, dass die Feld-Mütter oft in grösseren Familienverbänden lebten und es ihnen auf besagtem Acker wohl kaum gut ergangen ist. Doch weil über ihre Mühsal keine redete, wurde das Bild der heiligen, selbstlosen Mutter weiter zementiert. Doch ich wollte reden. Und erlebte dabei Seltsames. Denn während es im Job selbstverständlich war, ihn zu lieben und trotzdem über seine Herausforderungen zu sprechen – ja, es sogar zum guten Ton gehörte, über Stress zu klagen – schien es ein Affront gegen die Mutterliebe, wenn ich nun genau dasselbe tat.
Ich tat es trotzdem. Immer wieder. Gerade weil unsere Kinder uns so dringend und hilflos brauchen. Doch dies gelingt nur, wenn wir uns unseren eigenen Gefühlen stellen und das Eingebundensein nicht beim fachgerechten Wickeln des Tragetuchs aufhört. Sondern seine Trägerin, sein Träger, an ein System andocken kann, das Isolation, Ignoranz und Bewertung auch beim Elternsein nicht als Tugend sieht. Sondern als etwas, das dringend aus der Welt geschaffen gehört.
Wie erging es Ihnen, liebe Leserinnen? Erlebten Sie ebenfalls solch ein Gefühl der Isolation? Diskutieren Sie mit.
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