Italien vor der WahlMeloni fürchtet nur Salvini
Das Duell der Rivalen im Lager der extremen Rechten könnte die Postfaschistin Giorgia Meloni um die Macht bringen – vor allem, wenn Matteo Salvini bei der Wahl total einbricht.
Was kann Italiens Rechte noch stoppen? Wahrscheinlich nur sie selbst, und da gibt es zwei Wochen vor der Parlamentswahl plötzlich eine interessante Dynamik. Matteo Salvini, Chef der rechtspopulistischen Lega, distanziert sich neuerdings so oft und deutlich von den aussenpolitischen Positionen Giorgia Melonis, seiner Bündnispartnerin von den postfaschistischen Fratelli d’Italia, dass man meinen könnte, er versuche den vorausgesagten Sieg der Rechten zu sabotieren. Eigenhändig und vorsätzlich. Silvio Berlusconi, der kleine Dritte im Bund, Ewigpräsident von Forza Italia, schaut nur zu.
Als Illustration der politischen Zerrissenheit zwischen den Rivalen, die sich auch persönlich nur leidlich mögen, wird eine Szene haften bleiben: Salvini und Meloni vor einer Woche am Wirtschaftsmeeting in Cernobbio am Comersee. Sie sitzen Seite an Seite an einem Tisch. Meloni hat schon gesprochen, mit ihrem neuen Gestus für die speziellen Auftritte, sanft und recht vernünftig, der alle beruhigen soll. Die Zeitungen geben ihr später gute Noten für den Auftritt, der «Corriere della Sera» etwa: eine 7; 10 ist die Bestnote.
Matteo Salvini sieht die Sanktionen gegen Russland wie Marine Le Pen und die AfD.
Dann spricht Salvini, worüber er im Moment am liebsten spricht: über die Sanktionen gegen Russland. Er sagt, sie schadeten den Russen nicht, dafür schadeten sie Italien. Für die Darbietung gab es Note 3.
Das Muster ist bekannt, auch andere «Putinianer» in Europa reden so, Marine Le Pen in Frankreich zum Beispiel oder die AfD in Deutschland, Salvinis Partner im Europaparlament. In Italien fragt man sich, ob Salvini gezwungen sei, Wladimir Putins Propaganda weiterzureichen, weil er in dessen Schuld stehe, politisch und vielleicht finanziell. Während Salvini also so redet, hält sich Meloni ihre Hände vor die Augen, als liessen sich so auch die Ohren schliessen. Ein Foto für die Archive. «La Repubblica» schreibt, Salvini sei Melonis «Achillesferse», ihre schwächste Stelle. Das Duell öffnet wilde Szenarien.
Nato oder Putin? Italiens Rechte ist gespalten, jedenfalls nach aussen.
Meloni versucht seit Monaten, sich ein verlässliches, moderates Image zuzulegen. Manche sagen: Sie trainiert es sich an, sie forciert es. Sollten ihre Brüder Italiens nämlich die Wahlen so hoch gewinnen, wie es die Umfragen voraussagen, dann würde sie Ministerpräsidentin werden wollen – erste Frau in diesem Amt in der italienischen Geschichte. Und dann muss sie sich mit Brüssel, Paris und Berlin abstimmen. Sie sagt deshalb ständig, dass Rom auch mit der Rechten an der Macht «filoatlantista» bleibe, also auf der Linie Europas und der Nato in Bezug auf den Krieg in der Ukraine: auf Mario Draghis Kurs.
Nur, weder ist Melonis eigener Atlantismus sehr erprobt, ganz zu schweigen von ihrem Europäismus. Noch scheinen ihre zwei Alliierten sonderlich fest zu sein in der Sache. Salvini ist ein Fan Putins seit vielen Jahren, Berlusconi ein enger Freund. Wenn Salvini nun also ständig abweicht, ist das alles andere als eine «Nuance», wie Meloni es gerne definiert. Sie sagt auch: «Was zählt, ist unser Wahlprogramm.» Aber Wahlprogramme sind oft das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind. Und Aussenpolitik ist gerade so zentral, auch innenpolitisch, wie sie das seit langem nicht mehr war.
Salvini driftet auch auf anderen Gebieten ab von Melonis Besänftigungsoffensive. Sie sagt, man müsse auf die Bilanzen schauen, Italien habe sehr hohe Schulden, und will damit die Partner in der Europäischen Union beruhigen, die Europäische Zentralbank auch, die Märkte. Unterdessen verspricht Salvini den Wählern den Himmel auf Erden: eine Flattax von 15 Prozent auf alle Einkommen, eine Steueramnestie, eine Revision der Rentenreform, eine Fortführung des Bürgerlohns mit einigen Modifikationen. In der Summe übersteigen die Versprechungen die Möglichkeiten Italiens um ein Vielfaches.
12 Prozent ist das Minimalziel: Darunter darf es für die Lega nicht gehen.
Darum rätselt man in den italienischen Redaktionen nun: Kann es sein, dass Salvini versucht ist, Meloni als Premier zu verhindern, wenn er im direkten Vergleich bei den Wahlen allzu krachend verlöre und bestenfalls ihr Juniorpartner wäre? Würde er dann den Pakt auflösen, vielleicht mit dem Hinweis auf die Unverträglichkeit in aussenpolitischen Fragen? Früher, als das Kräfteverhältnis im Lager der extremen Rechten noch umgekehrt war, behandelte Salvini Meloni gönnerhaft, als wäre sie ein Maskottchen. Nun ist alles anders.
Bei der Lega gibt es offenbar eine Schwelle: Fällt sie unter 12 Prozent, stünde Salvinis Leadership zur Debatte. Vielleicht bricht die Lega dann auch auseinander. 2018 hatte die Partei 17 Prozent erreicht, bei den Europawahlen 2019 sogar mehr als 34 Prozent. In den jüngsten Umfragen dümpelt die Lega nun bei 11 oder 12 Prozent, ein Institut sieht sie bei weniger als 10 Prozent, während die Fratelli d’Italia auf 25 Prozent geschätzt werden. Was Salvini verliert, gewinnt Meloni dazu. Sie profitiert davon, dass ihre Brüder Italiens in der ablaufenden Legislaturperiode als einzige Partei in keiner der drei Kabinette mitregiert hat – sie gilt deshalb als konsequent.
Meloni schlägt Salvini auch im Norden des Landes, wo sie früher weit unterlegen war.
Besonders schmerzhaft für Salvini: Meloni überholt ihn nicht nur im Zentrum und im Süden des Landes, sondern auch im wirtschaftsstarken Norden, seinem Terrain, wo die Lega regiert. Ganz überraschend ist das nicht: In der Lombardei und im Veneto etwa hatten viele alte Leghisti Salvinis Neuausrichtung der vormaligen Lega Nord als harte, nationale und nationalistische Rechtspartei, die fast nur gegen die Migration politisierte, nie wirklich gutgeheissen. Doch Salvini hielt immer daran fest. In Unternehmerkreisen wirft man ihm auch vor, dass er mithalf, Draghi zu stürzen.
Da gärt so viel Unmut, dass es nicht viel braucht und das vermeintlich so solide, von der Aussicht auf die Macht gekittete Rechtsbündnis erzittert. Je höher Meloni gewinnt, desto grösser ist das Erschütterungspotenzial. Ihre Stärke könnte sich also als ihre grösste Schwäche erweisen – und sie die Macht kosten. Darum, so hört man, hofft Giorgia Meloni gerade inbrünstig, dass Salvini und Berlusconi einigermassen ehrenwert abschneiden und bei der Abmachung bleiben.
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