Mamablog: Mutter-BurnoutLiebe Väter, wir müssen reden!
Unsere Autorin bezeichnet sich selbst als «Mom-Burnout-Überlebende». Nun wendet sie sich mit einem Appell an alle Väter.
Hi. Ich bin Julia, Mami einer kleinen Tochter und Überlebende eines Parental Burnouts. Das mag für einige von euch übertrieben klingen, ist es aber nicht. Weil ich im Strudel zwischen Lohn- und Care-Arbeit vor zwei Jahren so tief in die Erschöpfung fiel, dass ich mir nichts sehnlicher als eine Pause wünschte. Ich wünschte sie mir jeden Tag und war gleichzeitig so fest davon überzeugt, dass sich dieser Wunsch in der Kleinkindphase unserer Tochter nicht erfüllen lassen würde, dass ich irgendwann ernsthaft darüber nachdachte, zu sterben. Alles erschien mir besser, als noch einen Tag länger aufstehen und funktionieren zu müssen.
Warum ich euch das erzähle? Weil ich während des 1½-jährigen Heilungsprozess meiner Erschöpfungsdepression viel Zeit hatte, darüber nachzudenken, wie ich so tief fallen konnte. Und mir dabei schmerzlich bewusst wurde, dass die Tatsache, dass wir als Eltern an einer gesunden Aufteilung der Care-Arbeit gescheitert sind, erheblich zu meiner Erkrankung beigetragen hat. Dass wir drei – Mama, Papa, Kind – nicht so hätten leiden müssen, wenn wir es von Anfang an anders gemacht hätten.
Wenn Teamwork zum Fremdwort wird
Heute wissen wir: Wir haben zu viel als gegeben hingenommen, statt uns an den Bedürfnissen unserer kleinen Familie zu orientieren.
Neugierige Babybesucher noch im Spital empfangen, obwohl wir gerade eine lange und anstrengende Geburt hinter uns haben und alle drei dringend erst mal Ruhe bräuchten? Egal. Macht man halt so.
Die Nachtschichten während des Mutterschaftsurlaubs? Übernimmt Mama. Papa muss schliesslich morgens aufstehen und zur Arbeit fahren und ich «nur» das Baby hüten. Meine Schichten sind meist nicht nur länger, sondern auch oft anstrengender als die 8,5 Stunden, die Papa im Büro sitzt, weshalb ich besser auch mal durchschlafen sollte? Egal. Macht man halt so.
Kinderarzt suchen und Termine wahrnehmen; Babykleider je nach Grösse austauschen; alles recherchieren was beim Zahnen helfen kann, welche Spielsachen und Aktivitäten altersgerecht sind, wann man am besten mit welchem Brei anfängt; Kita suchen und Eingewöhnung machen… Der komplette Mental Load halt? Mach ich. Bin ja zu Hause. Dass es uns nach meinem beruflichen Wiedereinstieg nicht gelingen will, diese unausgeglichene Verteilung wieder loszuwerden, und wir deshalb ständig streiten? Egal. Macht man halt so.
Dass ich in Teilzeit wieder einsteige, obwohl ich diejenige mit Kaderposition und Führungsverantwortung bin, der damit verbundene Workload in reduziertem Pensum nicht zu schaffen ist und ich deshalb ständig, wenn die Kleine mal schläft, an den Laptop sitzen muss? Egal. Macht man halt so.
Dass der Arbeitgeber des Papas sagt, «Teilzeit? Ist in deiner Position nicht möglich. Homeoffice? Gibt es bei uns nicht!» Dass er deshalb morgens um 7 das Haus verlassen muss, um es in der Rushhour irgendwie vor halb 9 ins Büro zu schaffen, und kaum einen Abend vor 19 Uhr zu Hause ist? Dass das bedeutet, dass ich die Kleine jeden Tag vor dem ersten Meeting in die Kita bringen und abends irgendwie bis 18 Uhr wieder abholen, einkaufen und kochen muss? Dass er so kaum Möglichkeit hat, eine Verbindung zu seinem Kind aufzubauen? Egal. Macht man halt so.
Dass sich unsere Tochter von Anfang an unserem Rhythmus anpassen und die Schwingungen ständig gestresster Eltern aushalten muss? Egal. Macht man halt so.
Und das ist nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was wir heute anders machen würden. Warum wir es damals nicht hinbekommen haben? Einerseits, weil wir der Übergangsgeneration angehören, in der viele von uns noch die klassische Rollenverteilung bei ihren Eltern beobachtet und so ins Unterbewusstsein aufgesogen haben. Andererseits, weil wir in einem System leben, das Frauen zwar seit einiger Zeit erlaubt, für Geld arbeiten zu gehen. Dieses aber offensichtlich übersehen hat, dass sich dann irgendjemand anderes um die liegen bleibenden Care-Aufgaben und den Mental Load kümmern müsste. Tut aber keiner. Also springen meist wir Frauen ein und machen plötzlich zwei Fulltime-Jobs. Macht man halt so. Dass das nicht gesund sein kann, leuchtet vermutlich allen ein.
Ich hoffe auch, dass wir uns einig sind, dass es nicht die Lösung sein kann, dass alle Mamis nach der Geburt einfach wieder zu Hause bleiben. Weil wir uns das als Gesellschaft u. a. aufgrund des Fachkräftemangels, des wackeligen Rentensystems und der vorwiegend weiblichen Altersarmut einfach nicht leisten können. Und weil es Frauen erlaubt sein sollte, selbst zu entscheiden. So wie ihr es auch dürft.
Und bitte, ich möchte auf keinen Fall sagen, dass ihr keinen Babybesuch im Spital empfangen dürft. Oder ihr alle eure Jobs hinschmeissen und zu Hause bleiben müsst, damit eure Partnerinnen Karriere machen können, wenn sie das möchten. Was ich euch ans Herz legen will, ist, dass ihr euch mit ihnen hinsetzt, und ernsthaft diskutiert, wie es für EUCH stimmt. Dass ihr dabei darauf achtet, ob es wirklich eure persönlichen Wünsche sind oder ob ihr dabei seid, in die «Macht man halt so»-Fallen zu tappen. Und dass ihr, liebe Papis, in euch geht, wenn die Vorgaben eures Arbeitgebers damit nicht vereinbar sind. Wollt ihr diese einfach hinnehmen oder mutig für die Bedürfnisse eurer Familie einstehen? Hattet ihr je bessere Chancen, eure Forderungen als Väter in der Arbeitswelt durchzubringen, als jetzt, in Zeiten des akuten Fachkräftemangels?
Männer zeigen der Welt seit Jahrhunderten, dass sie hervorragend darin sind, Allianzen zu schmieden und sich Gehör für ihre Anliegen zu verschaffen. Beim Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind viele von euch bisher jedoch ungewohnt still. Jetzt ist der perfekte Zeitpunkt, das zu ändern. Für euch, eure Partnerinnen und Kinder. Für uns alle. Ihr schafft das. Ich glaub an euch.
Herzlichst, Julia
Fehler gefunden?Jetzt melden.