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Meinung

Mamablog: Kinderwitze – Albtraum und Analyse
Meine Witz-Allergie

Portrait of laughing girl
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An einem sich trotzig aufbäumenden Spätsommernachmittag sass ich im Garten einer Bekannten, die ein Fest feierte. Der Himmel war tiefblau, bunte Fähnchen wehten im Wind, ein Buffet voller Leckereien stand bereit, und am Tisch sass eine Runde fremder Erwachsener, mit denen ich gern ein paar Worte gewechselt hätte. Doch das war schlicht unmöglich. In dieser Runde kam niemand zu Wort – ausser IHM. Einem Herr mittleren Alters, mit durchschnittlicher Haarlänge, der es sich offensichtlich zur Mission gemacht hatte, uns arme Unwissende lauthals darüber aufzuklären, wie die Welt funktioniert. Irgendwie schaffte er es, die ganze Runde in kürzester Zeit in eine Art lautlosen Schockzustand zu versetzen. Die einen füllten ihr Glas immer schneller, andere murmelten etwas von «Schlafkrankheit» und nickten ein, während wieder andere den penetranten Quasselonkel so tapfer wie vergeblich zu stoppen versuchten.

Willst du einen Witz hören?

Ich wählte einen anderen Weg und schlich mich hinters Haus zu den Kindern, um ein paar Atemzüge kindlicher Leichtigkeit zu schnappen. Ich setzte mich in die Nähe des Trampolins, wo kleine Körper bis zum Himmel sprangen, blinzelte in die Wolken und begann mich langsam zu entspannen. Bis ES geschah! «Mama!», schrie meine Tochter aus der Menge. «Willst du einen Witz aus meinem Witzebuch hören?» Mein Körper verkrampfte sich erneut und nahm eine ähnliche Schockstarre an wie vorhin in der Nähe des diktatorischen Besserwissers. Denn ich weiss schliesslich ganz genau, was passiert, wenn mein Kind das Witzebuch hervorholt! Es bietet mir zwar lässig EINEN Witz an, doch darauf folgen noch viele, viele weitere.

Warum aber mag ich Witze aus Kinderwitzbüchern in etwa so sehr wie Menschen, die mir penetrant die Welt erklären? Es war Zeit, diese Frage zu ergründen, genau jetzt, während mir ein Joke nach dem anderen um die Ohren flog. Dabei stiess ich auf folgende Thesen, worin meine geradezu körperliche Witz-Ablehnung wurzeln könnte:

Die Trotzreaktion

Wenn mich etwas unlustig macht, dann ist es, wenn mir jemand sagt, dass ich lustig sein soll. Vielleicht entspringt das einer frühkindlichen Prägung, weil mir Onkel Otto immer sagte, es werde jetzt dann gleich schampar glatt, bevor er die Modelleisenbahn in seinem Hobbykeller anwarf – die ich in etwa so sehr mochte wie gekochten Broccoli. Überhaupt nicht!

Schmerzliche Erinnerungen

Ich kann mir keine Witze merken. Konnte ich noch nie. Während auf Teenie-Partys die Witze nur so durch die Luft flogen, durchforstete ich krampfhaft mein Gehirn, weil ich die anderen doch auch mal zum Lachen bringen und mir damit etwas Glanz über mein pickliges Antlitz streuen wollte. Doch je mehr ich das Witzareal meines wachsenden Gehirns durchforstete – desto weniger fiel mir einer ein. Also schenkte ich mir einfach noch eine Cola ein und tat so, als ob ich mich prächtig amüsierte.

Die Entlarvung

Kinderwitze zeigen uns Erwachsenen, wie viel ständig in unserem Kopf los ist, sodass Naheliegendes nicht sichtbar ist. Beispiel? «Wie bringt man einen Elefanten in den Kühlschrank? Kühlschrank auf. Milch raus. Elefant rein.» Den finde ich sogar richtig gut. Denn wir Erwachsenen sind oft in solch komplizierten Kopfkonstrukten gefangen, dass man sich durch Kinderwitze durchaus in der Unfähigkeit ertappt fühlen kann, keinen automatisierten Zugang mehr zu den einfachsten Lösungen dieser Welt zu haben. Eben: Tür auf. Milch raus. Elefant rein.

Die Ambivalenz

Als meine Kinder noch klein waren, fand ich es manchmal recht langweilig, dass kleine Kinder doch irgendwie recht humorfrei sind. Klar – sie hauen sich über jeden Fudi-Gaggi-Satz stundenlang kreischend auf ihre kleinen Oberschenkelchen. Aber das ist pralle, wunderbare Lebensfreude, kein Humor. Humor braucht immer ein Stück Verfremdung, muss Distanz zu den Dingen schaffen, um etwas Neues zu formen. Und nun interessieren sich meine Kinder genau dafür. Jahrelang lechzte ich nach der Reifung ihres Humors, und jetzt, da sie ihn mit mir durch ihr gepflegtes Witzebuch teilen wollen, kneife ich? Das passt nicht zusammen.

Darum ergebe ich mich. Lege mich auf den Rasen. Und ihr lest Witze vor. Einen nach dem anderen. Bis ich einschlafe. Und wenn ich erwache, ist der Besserwisser vielleicht heiser. Und die Party kann endlich beginnen.