Papablog: Ein Hoch auf schlechte VorbilderScheisse, mein Kind flucht nicht
Papablogger Tschannen teilt die Fluchversuche seiner Kinder – und ist fast ein bisschen enttäuscht.
«Scheisse! Verdammte Scheisse!», entfuhr es meinem Schandmaul. Der Brecht fragte mit monotoner Stimme eher routinemässig aus dem Wohnzimmer: «Was ist denn passiert?» Eine Müeslischale war mir auf den Boden gefallen. Eine elende Scheissmüeslischale, um genau zu sein.
Ja, ich fluche. Zwar nur zu Hause und ich halte mich zurück, wenn Gastkinder anwesend sind. Aber meine eigenen Kinder sollen sehen, was ich tief im Herzen bin: ein alter, raubärtiger Droschkenkutscher. Und meine Frau ist kein Stück besser. «Oh Mann Scheisse», ist auch ihre Standardreaktion, wenn sie sich wieder am Backblech mit den Ofenpommes verbrennt oder das Ketchup neben den Teller spritzt. Unter Rohrspatzen soll es die Redewendung geben: «Schimpfen wie Jana und Markus Tschannen». Lebte Klaus Kinski noch, er fände uns ungehobelt – aber auch etwas unkreativ. Meistens bleibt es nämlich beim guten alten «Scheisse».
Der Nachwuchs verleugnet seine Herkunft
Was macht das mit unseren Kindern? Nichts, wie es scheint. Sie benutzen «Scheisse» praktisch nie. Selten habe ich es bei Beebers gehört. Es ist allerdings für extreme Ausnahmesituationen reserviert. Wenn er hinterrücks von einer tollwütigen Hyäne angegriffen wird, dann rutscht es ihm raus. Aber das kommt höchstens zwei-, dreimal im Jahr vor.
Schauen wir empirisch genauer hin. Meine Frau führt nämlich Buch über die Aussagen unserer Kinder. Als ich eine Anfrage an dieses Archiv nach erzürnten oder beleidigenden Worten stellte, kam folgende Liste zurück:
«Was ist denn das für ein Kumult?»
Der Brecht regte sich über eine Horde Kinder auf, die ihn mit ihrer wilden Spielweise überforderten.
«So ein Kraus!»
Da wollte der Brecht wohl «Chaos» sagen. Er ärgerte sich über seine eigene Unordnung, in der er ein geliebtes Plüschtier nicht mehr finden konnte.
«Du fummeliger Maispipiklumpen»
So nannte mich Beebers einmal, als er zum Spazieren gegen seinen Willen eine Hose anziehen sollte.
«Mama ist ein Pipimolch»
Aus den Archivdaten lässt sich nicht mehr rekonstruieren, ob der Brecht beleidigen wollte oder ob er sich während einer Autofahrt lediglich über die häufigen WC-Pausen wunderte.
Das ist also die derbe Sprache aus kumuliert 12 Jahren Kindheit. Irgendwie enttäuschend. Ich gebe den beiden noch eine Chance, setze mich zu ihnen aufs Sofa und frage: «Stellt euch vor, ihr wärt fest wütend, so richtig stinksauer und müsstet es irgendwie rauslassen. Was würdet ihr sagen?» Beebers schaut mich an und lächelt milde. Der Brecht gibt sich Mühe, er formt die Augenbrauen zu einem V, ballt die Faust, schlägt aufs Sofa und sagt laut: «Oh Mann!»
Auch ein schlechtes Vorbild ist viel wert
Shit, sind das wirklich unsere Kinder? Aber ja. Beebers und der Brecht sind wahrlich keine wohlerzogenen kleinen Persönchen. Sie streiten laut, fordern frech und reagieren emotional. Eins ist stur und bockig, das andere kämpft schon länger mit seiner Impulskontrolle. Aber in der Wortwahl vergreifen sie sich nie.
Dabei fände ich «Scheisse» gar nicht schlimm. Ich würde die Kinder niemals zurechtweisen, wenn sie es denn sagten. Emotionen müssen raus und ich glaube nicht, dass man Kinder mit Sprechverboten vom Fluchen abhalten kann. Offenbar kann man es aber, indem man ihnen ein schlechtes Vorbild ist. Ändern wird sich das auch nicht mehr, denn schon bald ist es sowieso heftig cringe, wie die Alten reden.
Und, wie flucht ihr zu Hause, ihr fummeligen Pipimolche? Diskutiert mit.
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