Mamablog: Forever young?Mama, du bist alt!
Wenn Kinder fragen, ob ihre Eltern schon zur Zeit der Dinosaurier gelebt haben, lachen wir herzhaft, doch unser Umgang mit dem Alter ist verknorzt. Warum eigentlich?
In unserem Haus geschieht seit einiger Zeit Eigentümliches. Die einst heiss begehrten Pokémonkarten haben Staub angesammelt, die Playmo-Einhörner sehnen sich in ihrer Kiste danach, wieder mal im Rampenlicht zu reiten, und wenn ich mir unsere Bilderbücher anschaue, frage ich mich nur noch, welche davon ich weggeben und welche ich für potenzielle Enkel aufbewahren sollte. Stattdessen ist in unserem Leben etwas Neues aufgetaucht. Lippenstift! Lippenstift in allen Farben und Formen. Nette Nachbarinnen haben die neue Leidenschaft meiner Tochter erkannt und sehen darin die Gelegenheit, ihr Zuviel an Schminke loszuwerden. So findet sich die Schminke nicht nur probemässig in Tochters Gesicht, sondern Ü-B-E-R-A-L-L.
Dies geschieht in einer Zeit, in der mir meine eigene Schönheit zwar immer noch wichtig ist, ich aber gerade auch lerne, dass meine 51-jährige Haut und meine Haare dünner, mein Bauch dicker, die Gelenke «gstabiger», meine Energie weniger wird. Dass ich alt werde.
Warum haben wir ein Problem mit dem Altern?
Viele Jahre zuvor hatte mich besagte Tochter gefragt, ob ich eigentlich schon zur Zeit der Dinosaurier gelebt hätte. Ich musste zwar herzhaft lachen, mir wurde allerdings auch bewusst, dass Eltern in den Augen ihrer Kinder immer uralt sind, egal wie jung wir uns fühlen. Und das ist goldrichtig so. Was mich jedoch befremdet, ist, dass dieser natürliche, kindliche Blick von vielen Erwachsenen als abwertend und frech empfunden wird. So bin ich auch immer wieder perplex, wenn jemand sein Alter nicht preisgeben möchte. Mich schaudert es, wenn mir eine Freundin zu meinem Geburtstag sagt, ich sei immer noch wie dreissig. Und ich staune, wenn mir eine Mutter im Teenie-Look stolz und kichernd erzählt, man habe sie für die Schwester ihrer Tochter gehalten.
Warum streben wir danach, so alt wie möglich zu werden, nur um dann nicht alt sein zu wollen?
Warum haben wir so ein Problem mit dem Altern? Warum streben wir danach, so alt wie möglich zu werden, nur um dann nicht alt sein zu wollen? Unsere Selbstoptimierung mit Mittelchen, Sport und Ernährung nimmt ja beinahe schon religiöse Züge an. Haben wir unser Leben lang so stark unsere Schönheit und Leistungsfähigkeit betont, dass ihr Schwinden ein derart verzweifeltes Loch in uns aufreisst, dass wir es nur mit der künstlichen Wiederherstellung verblichener Ideale zu füllen wissen? Berauben wir uns dadurch nicht der Schätze des Älterwerdens, die ebenso viel Wunderbares mit sich bringen?
Die Kunst, die Vergänglichkeit zu umarmen
Die Zeit, in der Töchter in die Pubertät kommen und Mütter älter werden, betont unseren Abstand zur Jugendlichkeit und verstärkt möglicherweise unsere Sehnsucht nach einer Zeit, in der alles irgendwie möglich schien. Paradoxerweise ist es gerade die Fixierung aufs Jungsein, die alt, gefangen und unfrei macht, weil sie einen undurchdringbaren Vorhang zu neuen Erfahrungen schiebt. Und vielleicht auch von einer neuen Geburt. Das Leben nimmt und gibt. Und hat man die Krisen im Leben verarbeitet, fällt der Schock über die eigene Vergänglichkeit wohl milder aus.
In vielen Gesellschaft haben die Ältesten das höchste Ansehen, weil es von ihnen am meisten zu lernen gibt und ihr Lebensweg Anerkennung verdient. Bei uns fristen alte Menschen jedoch noch viel zu oft ein isoliertes Dasein im Wartezimmer des Todes, ohne ihre Schätze an die Gesellschaft weitergeben zu können. Da sie mit dem Tempo, den Ansprüchen und den Leistungen der Zeit nicht mehr mithalten können.
«Mama, dein Bauch ist schön weich!», sagte meine Tochter gestern, als sie sich an mich kuschelte. Und ich gebe zu, mein erster Gedanke war: «Ganz schön dicker Bauch, Mama!» Doch dann strich ich über ihr Haar und sagt leise: «Ja das ist er. Schön weich. Er hat schon viel erlebt und Babys in sich getragen.»
Da kuschelte sich meine Tochter noch etwas fester an mich. Wir waren weit weg von Schönheitsidealen und Lippenstiften, einfach nur Mutter und Tochter. Ganz anders. Jung und älter. Und einander – nicht trotz, sondern dank dieser Unterschiede – ganz nah.
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