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Meinung

Ferien am Handy
«Chinde, jetzt gamet doch ändlich!»

Am Handy statt in den Ferien: In den Ferien hängt der Nachwuchs oft am Bildschirm.
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Es war vor fünfzehn Jahren – damals, als Kinder ihre Medienzeit meist noch, der Öffentlichkeit fern, vor dem TV verbrachten – als mein Mann und ich ein kinderfreies Wochenende in einem Wellnesshotel genossen. Und als ich dort abends zum Fünfgangdinner schritt, nahm ich aus den Augenwinkeln ein Elternpaar wahr, das mit ganzen VIER Jungs am Tisch sass, von denen jeder Einzelne so ruhig war, als wäre er ein besonders vorbildlicher Novize eines buddhistischen Klosters.

So genau schaute ich aber nicht zu ihnen, denn ich war gerade eine kinderlose, elegante Frau und hatte wirklich Besseres zu tun, als mich mit dem sich von hinten anschleichenden Gefühl der Unzulänglichkeit herumzuschlagen, das mir hämisch grinsend zuzischte, wie schnell sich dieser Saal in eine Art Boombox verwandeln würde, sässen UNSERE Kinder mit am Tisch. Mindestens zwei Gläser hätten schon das Zeitliche gesegnet, ein Streit um den Platz am Fenster wäre ausgebrochen, worauf die Kleinen losgezogen und alle Gäste gefragt hätten, was sie denn gerade so essen. Und dann hätten alle nett gelächelt, aber insgeheim gedacht, dass wir unsere Kinder so was von nicht im Griff haben und sie nun endlich ihre Ruhe wollen. Und aus mir wären zwei Liter Schweiss mehr herausgeflossen als in den zehn Saunagängen davor. 

Doch dann siegte die Neugierde über mein kleines Ego, und unerschrocken wandte ich den Blick dem buddhistischen Kloster zu. Und da sah ich es. Die Vorbildkinder hatten ihren Kopf keineswegs über die Heilige Schrift, sondern über Handys in allen Formen und Farben gesenkt. Ich war verblüfft. Das war neu. Aber he – ganz schön raffiniert! Na also, geht doch. Kinder sind Kinder. Eltern sind Eltern. Meine Welt war wieder in Ordnung. 

Die Eltern atmen auf, denn der Nachwuchs ist für ein paar süsse Minuten beschäftigt.

Doch das blieb sie nicht. Denn so neu diese Szene damals war, so galaktisch schnell vermehrte sie sich in den kommenden Jahren, und es begann mich zunehmend zu irritieren, dass überall in der Öffentlichkeit Kinder am Handy – meist im Beisein von Erwachsenen – auftauchten. Der quengelnde Einjährige im Tram, der sofort ruhig ist, wenn ihm die Peppa Pig im Handyformat in die Hand gedrückt wird. Restaurantessen, bei denen maulende Teenies mit einem Gerät von ihren – für alle doch sehr ungemütlichen – pubertären Gefühlen abgelenkt werden. Der Besuch mit meiner brüllenden Tochter beim Coiffeur, die plötzlich willenlos über sich ergehen lässt, dass die bis eben noch hart umkämpfte Explosion auf ihrem Kopf einer Frisur weicht, wenn die nette Coiffeuse den Pingu-Film in den Recorder schiebt.

Und gerade jetzt, in diesen endlosen Sommerferien – die für Eltern nicht immer so harmonisch und erholsam sind, wie einst erträumt –, taucht am Strand, in der Badi, im Restaurant, im Zug alle zwei Meter das Bild von gesenkten, unnatürlich ruhigen Kinderköpfen über eckigen Kästen auf. Nicht einmal die elterliche Nachricht, sie erhielten morgen ein Pony, in dessen regenbogenfarbenem Schweif lauter Süssigkeiten steckten, könnte sie aus ihrer digitalen Entrückung holen.

Die göttliche Ruhe, diese so charmante Abwesenheit von Diskussionen, Sandburg bauen, Gestreite und den immer gleichen Fudi-Gaggi-Witzen, löst nicht selten ein Glücksgefühl aus.

Diese Glückseligkeit ist aber auch das Einzige, was sie gerade mit ihren Eltern teilen. Denn auch bei diesen löst die plötzliche, göttliche Ruhe, diese so charmante Abwesenheit von Diskussionen, Sandburg bauen, Gestreite und den immer gleichen Fudi-Gaggi-Witzen, nicht selten ein Glücksgefühl aus. Die Woche war streng. Die Ferien sind zu heiss. Die Ferien sind zu kalt. Und jetzt bitte einfach mal Ruhe. Wie verführerisch einfach ist sie herbeizuführen, öffnet ein kleines Gerät den Erwachsenen plötzlich den Blick aufs Meer. Oder im Zug aufs Chileli von Wassen.

Nur zu schade, dass der Moment der elterlichen Ruhe schnell mal ebenfalls einer leicht unterversorgten Nervosität Platz macht, sodass auch ihr Griff zum Handy nicht lange auf sich warten lässt. Bis ein Zugabteil, in dem eine Familie sitzt, von oben aussieht wie vier erstarrte Spielfiguren auf einem eingefrorenen Spielbrett, dessen Spiel keiner mehr spielt.  

Jetzt sollte aber kein falscher Eindruck entstehen. Wenn Sie glauben, ich würde auf einer Zugfahrt sieben Stunden «Tom Sawyer» vorlesen und selig lächeln, wenn ich mich im engen Abteil bald wie eine erfolglos wiederbelebte Sardine in der Dose fühle, ohne den Satz zu sagen: «Isch guet, ihr dörfed game!» – der mich von der Sardine in eine freie Forelle verwandelt –, täuschen Sie sich. Medien sind ein grosses Thema bei meinen Kindern und ja, manchmal nutze ich Rabenmutter dies, um mein Bedürfnis nach Ruhe zu stillen. 

Wenn wir den Frustrationen des Lebens immer mehr per Knopfdruck aus dem Weg gehen, werden wir verarmen.

So wie damals, als meine Freundin aus Frankreich zu Besuch kam, mit der die Kinder so endlos spielen wollten, wie ich mit ihr zu plaudern mir ersehnte. Bis ich den Kindern verzweifelt zujapste: «Jetzt gamet doch ändlich!» Natürlich hätte ich auch sagen können: «Nun lest doch mal ein Buch!» Aber wenn eigene Bedürfnisse schneller dahinschmelzen als Eis in der Sonne, braucht es fast unmenschliche Kräfte, sich endlosen Diskussionen zu stellen, statt Prinzessin Lilifee schnell mal ihren Zauberstab schwingen zu lassen. 

Und so bröckeln Visionen und Ansprüche unberührt wie trockene Biskuits auf der Untertasse des Cappuccinos, weil dieser einfach zu verführerisch duftet. Und manchmal ist das auch völlig okay. Und doch. Der Trend ist problematisch. Denn das eingefrorene Spiel heisst «Leben». Eines, in dessen komplexen Verlauf, schwierige Gefühle, Konflikte, Überforderung und Langeweile nicht nur Gegenstand des Spiels, sondern ausgesprochen zentral sind, um überhaupt mitspielen, um als einzelne Figur und als ganzes Spiel wachsen zu können.

Wenn wir den Frustrationen des Lebens immer mehr per Knopfdruck aus dem Weg gehen, wenn Kinder die Fähigkeit, schwierige Gefühle zur durchleben, nicht trainieren können, werden wir verarmen. In unseren Beziehungen, in unseren Wahrnehmungen, in unserer Fähigkeit, mit den komplexen Ansprüchen des Lebens klarzukommen. Etwas, worauf unsere Welt mehr denn je dringend angewiesen ist. Denn noch sind wir Menschen. Und das sollen wir bitte auch bleiben.