Mamablog: Familienleben mit grösseren KindernWenn die Hände freier werden
Ein Nachmittag im Tierpark machte unserer Autorin wieder einmal klar, wie viel «leichter» man mit grösseren Kindern unterwegs ist.
Da lag er vor uns: jener Mittwochnachmittag, an dem wir auf einmal nichts vorhatten. Also zwei unserer Kinder und ich nicht. Eine Musikstunde, die ausgefallen war. Kein Gspändli, das Zeit zum Abmachen hatte. Jedenfalls vier freie Stunden für drei Leute, so unvermittelt wie unvorhergesehen. (Und so ungewohnt, dass ich zweimal durch alle Zettel an der Magnetwand wühlte, um sicher zu sein.)
Draussen war Regen und Dezember. Kein Tierparkwetter. Genau da wollten sie aber jetzt hin, die 13-Jährige und der Drittklässler, und zwar wie aus dem Nichts. Denn nachdem wir früher quasi dort «gewohnt» hatten, waren wir Jahre nicht hingefahren. Die Kinder wurden grösser, es kamen Stundenpläne und Hobbys. Und es verabschiedete sich ihre Zeit für Ausflüge, manchmal auch ihre Lust. Nun aber: beides da. Und Letzteres in so seltener Einigkeit, dass der Regen gar nicht mehr so nass schien. Folglich stopften wir unsere Füsse in die Gummistiefel und fuhren los.
Uferlose Erschöpfung
Am Anfang war alles wie früher. Ich bezahlte den Eintritt, kaufte weniger Futterwürfel, als die Kinder gerne gehabt hätten, und zirkelte um den Souvenirshop. («Bei dem Wetter hat er sicher zu.») Doch oha, der Shop war gar kein Thema mehr. Und als ich mich umschaute, merkte ich: Wir, also meine Kinder, waren die grössten hier. Die Handvoll anderer Kiddies, die an diesem Regentag hergefunden hatte, befand sich eher auf Augenhöhe mit einer mittelgrossen Gämse.
Ach ja, so war das einst, dachte ich, als ich nun sah, was ihre Mütter (und ein Vater) alles leisteten. Sie schoben Kinderwagen, beladen wie volle Kleinlaster. Versuchten geduldig, stämpfelnd-täubelnde Zwerge in Regenhosen zu besänftigen. Oder zogen mit Matsch zugekleisterte Vierjährige geistesgegenwärtig von nahen Tieren weg. Vor einem Gehege stand zwei Meter von uns entfernt eine Frau mit drei kleinen Kindern. Eines trug sie rechts auf der Hüfte. Das Zweite zog an ihrem linken Arm. Das Dritte stellte ihr ohne Unterbruch Fragen. Sie wirkte abwesend, müde vor allem. Und da erinnerte ich mich auf einmal an ein Gefühl von damals. Im blassen Gesicht dieser Mutter, in ihren matten Antworten, glaubte ich es wiederzuerkennen, ja spürte es fast körperlich: die uferlose Erschöpfung.
«Leicht» unterwegs
Natürlich war es wunderschön, früher, mit den kleinen Kindern. Mit ihnen etwa hierher zu kommen. Zuzuschauen wie sie, erstmals vielleicht, auf ihren winzigen Handflächen das Futter balancierten. Aber manchmal, da gab es auch diese Tage, an denen sich die Stunden zäh ausbreiteten und schon ein verlorener Nuggi wie eine Zumutung erschien.
«Habe ich die Kleinkindjahre genügend genossen?», hört man Eltern sich oft wundern. Hatte man denn die Energie, die Ausdauer, die nötigen Pausen dazu, fragte ich mich in diesem Moment. Oder war man (zu) oft (zu) erschöpft?
Nun nämlich, an diesem Nachmittag, genoss ich es wie selten zuvor. Vielleicht auch, weil wir lange nicht mehr da, eher aber, weil wir verglichen mit früher so viel «leichter» unterwegs waren. Kein Rucksack mit Ersatzkleidern. Kein Kind, das nicht mehr laufen will. Stattdessen rannten beide hin und her, riefen «oh» und «schau» und streckten ihre Futterwürfel aus. Nun auf grösseren Handflächen, aber nicht weniger freudig. Und weil ich nichts anderes zu tun hatte – niemanden zu tragen, zu trösten oder in den Schlaf zu «wägelen» – holte ich einen Kaffee.
Kein Arm mehr zu wenig
Fast war ich überrascht, dass da, trotz Becher in der einen, noch eine zweite Hand frei war. Mit dieser strich ich nun selbst über den einen oder anderen Tierrücken, während ich den Kindern hinterher schlenderte und den Niesel im Gesicht längst angenehm fand.
Die elterlichen Sorgen, die Herausforderungen, sie ändern sich, wenn Kinder grösser werden. Es wird nicht automatisch einfacher. (Auch schon habe ich mich an dieser Stelle gewundert, wie lang denn dieses «Gröbste» dauert, aus dem sie vermeintlich mal raus sind.)
Doch wenn es um die zehrende Dauerverfügbarkeit der frühen Jahre geht, den vollen Körpereinsatz, um Gepäck auch im wörtlichen Sinn, und um das Gefühl, ständig drei Arme zu wenig zu haben … Da lichtet sich die Belastung enorm, wie mir an diesem Nachmittag wieder einmal klar wurde. So bleibt der Kopf vielleicht noch lange belegt. Die Hände aber werden freier. Und auch bei aller Nostalgie – wie gross mein doch auch immer noch Kleiner neben diesem putzigen Kindchen dort wirkt! – scheint mir das irgendwie ganz in Ordnung so.
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