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Mamablog: Familienleben im Krieg
«Gibt es morgens bereits Bombenangriffe, bleiben die Kinder zu Hause»

Das Essen ist knapp: In Yangon, der grössten Stadt in Myanmar, verteilen wohlhabende Einwohner Essen, wofür Menschen jeweils stundenlang anstehen.
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Als ich 2005 das kleine asiatische Land Myanmar bereiste, wurde ich in der damaligen Hauptstadt Yangon von einem jungen Mann angesprochen, der seine Deutschkenntnisse verbessern wollte. Dieser Mann war Ngyo. Was als zufällige Begegnung begonnen hatte, entwickelte sich mit der Zeit zu einer E-Mail-Freundschaft, die sich über die Jahre hinweg hielt. Währenddessen erlebte Myanmar zuerst einen demokratischen Wandel und später, im Jahr 2021, einen Militärputsch, auf den ein beispielloser Bürgerkrieg folgte. Ngyo, seine Frau und ihre sieben- und zwölfjährigen Söhne sind mittendrin. Für den Mamablog habe ich bei ihm nachgefragt, wie sich ihr Familienleben im Krieg anfühlt.

Danke Ngyo, dass du dich bereit erklärt hast, über euer Leben als Familie mitten im Bürgerkrieg zu berichten.

Es ist beinahe unmöglich, Informationen über die Lage in Myanmar nach aussen zu bringen. Ich bin sehr froh, diese Gelegenheit zu haben, unsere Geschichte zu teilen. Wir sind quasi von der Aussenwelt abgeschnitten und die Propaganda des Militärs färbt alles, was wir hören. Wir leben hier abgeschnitten vom Rest der Welt, sind der Willkürlichkeit einer äusserst brutalen Armee ausgeliefert und auf uns allein gestellt. Die Welt mag zwar um uns besorgt sein – das hören wir zumindest immer mal wieder – aber konkrete Hilfe bleibt aus. Vermutlich, weil die Armee sämtliche Angebote boykottiert.

Gehe ich richtig in der Annahme, dass sämtlicher Mailverkehr vom Militär überwacht wird? Bringt dich dieser Austausch nicht in Gefahr?

Das stimmt: Alle unsere Mails werden vom Militär überwacht. Aber keine Sorge, ich nutze einen sicheren Maildienst, sodass wir bedenkenlos kommunizieren können. Es wäre viel zu riskant, ja lebensgefährlich, über politische Themen auf herkömmlichem Weg zu schreiben.

Wie ist denn deine aktuelle Situation, bist du noch berufstätig?

Ja, ich habe das grosse Glück, als Übersetzer in einer kleinen Firma arbeiten zu können. Doch leider reicht mein sehr bescheidener Lohn nicht aus, um meine Familie zu ernähren. Die Lebensmittelpreise sind seit dem Beginn des Krieges explodiert und wir leiden oft unter Hunger. Für die Tausenden von Arbeitslosen, welche der Zusammenbruch der Wirtschaft hervorgebracht hat, ist die Lage noch verheerender. Menschen sterben an Hunger. Zum Glück verteilen einige reiche Einwohner in Yangon täglich Essen. Da stehen die Menschen jeweils stundenlang an, um eine Schale Reis zu bekommen.

Besuchen eure Kinder noch die Schule?

Ja, in Yangon sind die Schulen noch geöffnet, aber auf dem Land sind sie längst geschlossen. Dennoch bleiben auch unsere Kinder an manchen Tagen zu Hause. Wenn es morgens bereits Bombenangriffe gibt, lassen wir sie nicht zur Schule gehen. Aber selbst wenn keine Angriffe stattfinden und die Kinder in der Schule sind, leben wir Eltern in ständiger Angst vor dem nächsten Luftangriff. Wir hören andauernd Nachrichten über die aktuellen Kämpfe und bereiten uns auf den Notfall vor, an einen sicheren Ort zu fliehen. Hört meine Frau auch nur das geringste Anzeichen eines Angriffs, eilt sie los, um die Kinder von der Schule zu holen und sicher nach Hause zu bringen.

Das klingt sehr gefährlich.

Ja, das ist es auch. Aber wir kennen die Fluchtrouten gut. Die Alternative wäre, die Kinder nicht mehr zur Schule zu schicken, aber das wäre nicht gut für sie. Sie dürfen ja bereits nicht mehr draussen spielen. Es ist wichtig, dass sie noch Kinder sein dürfen, lernen und singen, und nicht nur in der Wohnung herumsitzen. Die Schulzeit ist normalerweise eine schöne Zeit in Myanmar, weil man Wissen erlangt. Deshalb haben wir uns für die Fortsetzung des Schulbesuchs unserer Kinder entschieden.

Was gibt euch in dieser Situation Kraft?

Die Überzeugung, dass die Diktatur in Myanmar hoffentlich bald enden wird. Wir glauben daran, dass wir die Revolution gegen das Militär erfolgreich führen können. Diese Gedanken teilen meine Frau und ich immer wieder, auch mit unseren Kindern. Das gibt uns allen die Kraft, weiterzumachen und trotz allem so was wie Alltag zu leben.

Und welche Ängste beschäftigen euch am meisten?

Unsere grösste Angst ist, dass die Revolution scheitert, und dass einem Familienmitglied etwas zustösst.

Wie geht es euren Kindern in dieser Situation?

Unsere Kinder wissen gut Bescheid über den Bürgerkrieg und seine Hintergründe. Sie hassen die Armee. Wir versuchen, ihnen zu erklären, was Demokratie bedeutet und dass wir uns dorthin bewegen wollen. Es fällt ihnen jedoch schwer, sich das vorzustellen. Sie sehnen sich einfach danach, draussen unbeschwert mit Freunden zu spielen, anstatt ständig um ihr Leben zu rennen. Es schmerzt uns als Eltern, dass wir ihnen genau das nicht bieten können.

Als der Militärputsch 2021 stattfand, hast du mir geschrieben, dass du und viele andere in Yangon täglich gegen das Militär demonstrierten. Wie sieht das jetzt aus?

Es gibt keine Demonstrationen mehr. Das Militär begann sehr bald damit, wahllos Demonstranten niederzuschiessen, und hat uns einmal mehr mit seiner Macht der Gewalt ruhiggestellt.

Menschen werden auf offener Strasse erschossen?

Ja, und nicht nur Demonstranten. Es kann jeden treffen, der zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Jemand geht die Strasse entlang, das Militär kommt, – und peng, die Person ist tot. Völlig willkürlich. Einfach so. Deshalb haben wir immer Angst, wenn wir draussen sind. Es ist sehr gefährlich. In meinem Heimatdorf wurden meine Tante und mein Onkel erschossen,während sie auf dem Acker ihres Bauernhofs arbeiteten. Das war schlimm für mich.

Gibt es internationale Hilfe, die für euch spürbar ist?

Die EU und die USA haben Sanktionen gegen Myanmar verhängt. Aber das hat kaum etwas verändert, höchstens die Wut des Militärs noch geschürt. Wir als Volk erhalten keine Hilfe. Es gibt 2 Millionen Kriegsopfer im ganzen Land, viele von ihnen verstecken sich schwer verletzt und hungernd im Wald. Sie alle bräuchten dringend Hilfe. Doch die Armee boykottiert jede Form von Unterstützung.

Wie könnt ihr euren Kindern in solch schlimmen Zeiten Zuversicht geben?

Wir sind Buddhisten, das gibt uns Halt. Wir lassen uns nicht nur von der Angst dominieren, sondern ermöglichen es unseren Kindern, auch Kinder zu sein. Und wir reden mit ihnen über Politik, über die Pläne der Revolution. Das gibt ihnen Mut und lässt sie wissen, dass es viele Menschen gibt, die dafür kämpfen, dass sich ihr Leben ändert und sie eines Tages wieder frei draussen spielen können.