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Interview mit Klimaaktivistin
«Die Hausdurchsuchung letztes Jahr hat mich traumatisiert»

16.05.2023, Berlin: Carla Hinrichs, Sprecherin der Klimagruppe Letzte Generation, sitzt bei einer Straßenblockade der Letzten Generation mit einer auf den Asphalt festgeklebten Hand auf der Straße. Foto: Paul Zinken/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Paul Zinken)
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Eigentlich wollte die Letzte Generation damit aufhören. Kein Kleber mehr, hiess es zu Beginn des Jahres. Doch daraus wurde nichts. In den vergangenen Wochen haben sich Aktivistinnen und Aktivisten der Gruppe mehrfach auf Rollbahnen festgeklebt und ganze Flughäfen blockiert.

Die Deutsche Carla Hinrichs (27) ist eines der bekannten Gesichter der Letzten Generation – und mittlerweile mehrmals von Gerichten verurteilt worden.

Frau Hinrichs, Sie wurden im Juli zu einer Geldstrafe in Höhe von 6000 Euro verurteilt, weil Sie sich auf der Strasse festgeklebt haben. Woher nehmen Sie das Geld?

Ich habe das Geld nicht. Meine einzige Möglichkeit ist, Spenden zu sammeln. Ich habe das grosse Glück, dass sich in den letzten zwei Jahren immer wieder Menschen gefunden haben, die Geld an mich gespendet haben.

Was sind das für Leute?

Darüber spreche ich nicht, das ist ja eine private Entscheidung dieser Personen. Ich habe im Monat so 700 bis 900 Euro an Spenden erhalten. Das reicht mir zum Leben. Ich hatte von früheren Minijobs auch Erspartes, aber das ist jetzt fast weg. Für meine Arbeit im Öffentlichkeitsteam der Letzten Generation bekomme ich kein Gehalt.

Was ist, wenn die 6000 Euro nicht zusammenkommen? Eltern um Hilfe bitten? Kredit aufnehmen?

Nehmen Sie mal als Klimaaktivistin einen Kredit auf. Das können Sie vergessen. Wenn ich die Summe nicht bezahlen kann, gehe ich für fünf Monate ins Gefängnis.

Sie klingen, als würde Ihnen das nichts ausmachen.

Einerseits habe ich Angst, eingesperrt und von meiner Familie getrennt zu sein. Aber dann denke ich mir auch: Ich lebe in einer Demokratie. Wenn ich ins Gefängnis komme, dann werde ich dort nicht gefoltert. Ich habe dort etwas zu essen. Und ich komme wahrscheinlich auch wieder raus. Aktivisten in anderen Ländern müssen Angst haben, auf der Strasse erschossen zu werden, wenn sie etwa gegen die Ölindustrie protestieren.

Dennoch ordnen Sie Ihrem Aktivismus vieles unter. Sie haben Ihr Jurastudium abgebrochen, Ihr Erspartes aufgebraucht. Warum tun Sie das?

Weil wir so gottlos am Arsch sind. Und das möchte ich wirklich genauso sagen: Wir sind gottlos am Arsch. Die eskalierende Klimakatastrophe zerstört unsere Lebensgrundlagen komplett. Wir haben Nazis, die dabei sind, überall auf der Welt in die Parlamente zu marschieren, und unsere Demokratie aushebeln wollen. Beides verstärkt einander. Natürlich kann ich jetzt versuchen, mein Jurastudium fertig zu machen, dann würde ich gut Geld verdienen, könnte im Supermarkt Biogemüse kaufen und mich der Illusion hingeben, die Welt zu verbessern. Und dann könnte ich mir überlegen, ob ich ne Velotour um die Welt mache, CO2-neutrale Weltreise und so. Was für ein Bullshit. Dem globalen Süden bringt das gar nichts.

Was bringt es dem globalen Süden, wenn Sie im Gefängnis sitzen?

Aufmerksamkeit für die Katastrophe. Ich habe die Hoffnung, dass dadurch andere Menschen sehen, wie ungerecht das alles ist, und erst recht auf die Strasse gehen. Persönlich würde ich mich lieber aus der Öffentlichkeit zurückziehen und studieren. Ich bin ein eher introvertierter Mensch. Aber gerade bleibt uns nichts anderes übrig, als ganz laut Alarm zu schlagen.

Das klingt ja selbstlos.

Menschen, die altruistisch denken und handeln, werden immer skeptisch betrachtet. Das ist so absurd. Für Bauern, denen es nur um den eigenen Geldbeutel geht, haben alle Verständnis, aber nicht für Menschen, die sich für Klimaschutz einsetzen. Dabei mache ich das ja durchaus auch aus Eigennutz. Ich möchte mich auch in ein paar Jahren noch gut im Spiegel angucken können.

08.08.2024, Berlin: Carla Hinrichs, Klimaschutzaktivistin, nimmt an der Versammlung der Letzten Generation als Reaktion auf die heutigen Hausdurchsuchungen der Polizei vor dem Brandenburger Tor mit dem Banner «Oil kills» teil. Nach der Störaktion auf dem Frankfurter Flughafen vor zwei Wochen sind auf Betreiben der Frankfurter Staatsanwaltschaft Wohnungen von Mitgliedern der Klimagruppe Letzte Generation durchsucht und DNA-Proben genommen worden. Foto: Fabian Sommer/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Fabian Sommer)

Wenn Sie jetzt gerade reingucken: Wen sehen Sie?

Eine erschöpfte Carla. Momentan fühle ich mich oft, als würde ich immer wieder mit voller Kraft gegen eine Wand rennen. Oft frage ich mich: Mache ich das jetzt weiter? Und kommen wir irgendwann durch diese Wand durch?

Wie lange machen Sie das noch?

So lange, wie es nötig ist.

Aus Überzeugung oder nur noch aus Prinzip?

Ich will niemals an den Punkt kommen, an dem ich nur aus Prinzip handle. Mir ist es wichtig, auch in 10 oder 15 Jahren noch nachvollziehen zu können, warum ich etwas gemacht habe. Natürlich hinterfrage ich, was wir machen. Am Ende will ich sagen können, dass ich an einer positiven Veränderung beteiligt gewesen bin.

Und einen Privatjet orange anzusprühen, trägt zu positiver Veränderung bei? Viele Menschen finden das falsch.

Viel spannender als die Frage nach richtig oder falsch finde ich, wie die Menschen, die das machen, damit umgehen. Wenn du einen Privatjet orange ansprühst, hast du ja Schulden für die nächsten 30 Jahre. Alles, was man dann über der Pfändungsgrenze von 1500 Euro verdient, wird sofort eingezogen und in den orangen Privatjet gesteckt. Manche Leute sagen, dass das befreiend ist, sich für solch ein Leben zu entscheiden, in dem Geld keine Rolle spielt. Sie stellen ihre Werte, Zeit mit der Familie über das Ziel, möglichst viel Geld zu verdienen.

Wäre das für Sie ein Lebensmodell?

Ich weiss es nicht. Ich habe auch so ziemliche Angst vor der Zukunft. Ich bin jetzt 27 Jahre alt und habe keinen Abschluss ausser meinem Schulabschluss. Wovon finanziere ich mein Leben? Was passiert, wenn es die Letzte Generation nicht mehr gibt? Wenn ich in drei Jahren für irgendetwas verurteilt werde, erinnert sich dann noch jemand an das, was wir gemacht haben?

An einige Aktionen ganz sicher. In den vergangenen Wochen haben Kolleginnen und Kollegen von Ihnen wieder einige Flughäfen blockiert. Wollte die Letzte Generation nicht eigentlich aufhören, sich festzukleben?

Wir gehen gezielt an die Orte der fossilen Ungerechtigkeit und entlarven den zerstörerischen Kurs, auf dem unsere Regierung sich befindet. Gleichzeitig versammeln wir uns immer wieder mit vielen Menschen auf den Strassen, um zu protestieren. Mit vielen brauchen wir den Kleber nicht mehr.

Police and volunteers rush to clear protestors from the climate group Letzte Generation (last generation) trying to block the road as athletes prepare to take the start of the Berlin Marathon race on September 24, 2023 close to the Brandenburg Gate in Berlin. Kenyan Eliud Kipchoge set a world record for men of 2:01:09 on September 25, 2022, at the 2022 Berlin Marathon, beating his own previous world record by 30 seconds. (Photo by Tobias SCHWARZ / AFP)

Waren die Festklebe-Aktionen wirklich gut für das Image des Klimaschutzes?

Zuerst einmal will ich klarstellen: Der Plan war nicht, dass Strassenblockaden beliebt werden. Der Plan war, aufzurütteln. Und das hat ganz hervorragend geklappt. Studien zeigen ausserdem, dass Menschen nach wie vor für den Klimaschutz sind, auch wenn sie gegen unsere Protestform sind.

Dennoch haben Sie Ihre Strategie geändert.

Die Gerichte bestrafen uns immer härter, oft politisch motiviert, zum Beispiel im Fall «Kriminelle Vereinigung». Es wurde gefährlich für uns auf der Strasse, wir haben viel Gewalt erfahren, sowohl von Polizisten als auch von Passanten. Wir wurden getreten, bespuckt, beleidigt und angefahren. Solche Sachen prägen. Die Strategie, durch Unterbrechung den Diskurs zu prägen, hat sich nicht verändert, nur die Taktik.

Hat Ihre Bewährungsstrafe im Januar dazu beigetragen?

Am Anfang nicht. Ich fand sie so ungerecht und ich war so wütend, dass ich mich vier Tage nach dem ersten Urteil wieder auf die Strasse gesetzt habe. Inzwischen überschreite ich mögliche rechtliche Grenzen nicht mehr spontan, weil es sich richtig anfühlt, sondern überlege es mir vorher gründlich. Das ist ein grosser moralischer Konflikt, der mich oft zerreisst. Wenn ich finde, dass es mein Recht ist, irgendwo zu protestieren, dann fällt es mir schwer, wegzugehen, wenn die Polizei mich dazu auffordert. Mittlerweile mache ich es trotzdem manchmal.

Die Strafen zeigen also Wirkung?

Eine Strafe zeigt immer Wirkung. Etwas anderes zu behaupten, wäre absurd. Das Strafsystem ist darauf ausgelegt einzuschüchtern. Sowieso ist unser gesamtes Rechtssystem meiner Ansicht nach nicht auf Gerechtigkeit ausgelegt, sondern erst mal auf Durchsetzen von einer Machtinstanz, also unserem Staat. Beängstigend finde ich es, welche Mittel der Staat anwendet, um mich als friedlich protestierenden Menschen einzuschüchtern. Die Hausdurchsuchung letztes Jahr hat mich traumatisiert. Ich denke jeden Abend vor dem Einschlafen und jeden Morgen nach dem Aufwachen daran, dass jederzeit die Polizei vor meiner Tür stehen könnte.

Finden Sie es ungerecht, wie mit Ihnen umgegangen wird?

Ungerecht ist, dass Einzelne auf Kosten aller den Planeten so zerstören, dass wir nicht mehr friedlich miteinander darauf leben können. Dass es nicht mehr genug Lebensmittel und Wasser für jeden geben wird. Meine Strafen sind nicht ungerecht, ich empfinde sie einfach als falsch.

Früher wollten Sie selbst Richterin werden. Jetzt zweifeln Sie die Kompetenzen der Richter an?

Ich werde ja wegen Nötigung angeklagt. Der Nötigungsparagraf 240 ist im Strafgesetzbuch der einzige Paragraf, der eine Abwägung der Verhältnismässigkeit mit in den Tatbestand nimmt. Hier muss abgewogen werden. Ist mein Verhalten angemessen? Darf ich Strassen blockieren vor dem Hintergrund der eskalierenden Klimakatastrophe?

Die Gerichte sagen: nein.

Oft, aber was sie machen: Sie nehmen die Krise aus ihrer Beurteilung einfach raus, indem sie sagen, das ist ein Fernziel. Das ist ganz, ganz, ganz weit weg. Sie argumentieren, dass das, was ich heute mache, gar nichts im Hinblick auf die Klimakrise verändern kann. Das empfinde ich juristisch als falsch, aus klima- und protestwissenschaftlicher Sicht sowieso. Die Krise eskaliert vor unseren Augen, und unser Handeln heute entscheidet.

Wie sieht Ihrer Meinung nach die Lösung aus?

Ich glaube fest daran, dass wir die grossen Fragen lösen können, indem wir uns als Gesellschaft zusammensetzen und sie gemeinsam diskutieren. Daher fordern wir als Letzte Generation auch Gesellschaftsräte. Wir müssen wieder mehr Menschen dazu ermutigen, ihre Stimme zu erheben und sich demokratisch einzubringen.