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Meinung

Lesende fragen Peter Schneider
Gibt es gute Diktatoren?

ABD0042_20191112 - WIEN - ÖSTERREICH: Weißrusslands Präsident Aleksandr Lukaschenko zu einem Offiziellen Besuch in Österreich am Dienstag, 12. November 2019 in Wien. - FOTO: APA/HANS PUNZ
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Warum ist es für einen Diktator nicht erstrebenswerter, körperlich und geistig zufriedene Bürger zu haben, die sich in allen Belangen des Lebens frei bewegen können, als ein geknechtetes, unfreies, in Angst lebendes Volk zu züchten? A.W.

Lieber Herr W.

Das ist so, weil der Anspruch auf absolute Herrschaft nur mit Unterdrückung, Gewalt und Korruption durchzusetzen ist. In einer Diktatur gibt es darum keine Bürger*innen.

Wenn es Zufriedenheit und Wohlergehen gibt, dann beschränkt sich das auf den Kreis der korrupten Elite, deren Status allerdings auch nicht gesichert ist, wie man immer wieder feststellen kann, wenn deren Mitglieder «in Ungnade fallen». Die Idee, es könne so etwas wie wohlmeinende, fürsorgliche Diktatoren geben, wird durch einen verführerischen Vergleich genährt, den manche Alleinherrscher selbst gerne bemühen, nämlich den vom Diktator als Vater, der für seine Kinder sorgt.

De facto ist es zwar so, dass Vater-Diktatoren ihre Kinder misshandeln, in den Keller sperren, deren Göttibatzen, die Kinderzulage und das Jugendsparheft hemmungslos plündern – aber man könnte sich ja trotzdem fragen, ob das Vater-Kind-Verhältnis, wenn schon nicht empirisch, dann nicht wenigstens als Ideal taugen könnte. Spoiler: Nein.

Mit ihrer Volljährigkeit werden Kinder nicht «in die Freiheit» entlassen.

So wenig die «Familie die Keimzelle der Gesellschaft» ist, so wenig ist das Verhältnis von Bürger*innen und Staat eines zwischen Kindern, die keine Ahnung von ihren eigentlichen Interessen haben, und Eltern, die nur das Beste für ihren Nachwuchs wollen. Die die kolportierten Erzählungen, wie Eltern unbedingt mit mehr oder minder sanfter Gewalt sich gegen die Entscheidung ihres Kindes durchsetzen müssen, im Winter partout barfuss in die Schule zu laufen, sind mehr «urban legends» als Realität; im Alltag ist es so, dass das Zusammenleben von Eltern und Kindern (gemeinhin Erziehung genannt) ein zwar oft nervenaufreibender, aber wenigstens mittelfristig auf Deeskalation angelegter Prozess ist, eine fortwährende wechselseitige Abstimmung der Interessen und hoffentlich kein Kampf von Eltern-Tyrannen gegen Kinder-Tyrannen.

Dabei gibt es zwar einen Macht- und Wissenschaftsvorsprung der Eltern gegenüber den Kindern, aber ironischerweise besteht dieser gar nicht von Anfang an, sondern muss von den Eltern erst mühsam erworben werden: Man denke an die anfängliche Machtlosigkeit gegenüber dem Schreien eines Säuglings, verbunden mit den verzweifelten Versuchen, herauszufinden, was dieses Schreien bedeutet, und sich darauf einzustellen. Mit ihrer Volljährigkeit werden Kinder nicht «in die Freiheit» entlassen; mit diesem Zeitpunkt wird vielmehr ein im Grunde bereits informell demokratisches Verhältnis in ein formell demokratisches überführt. 

Der Psychoanalytiker Peter Schneider beantwortet Fragen zur Philosophie des Alltagslebens. Senden Sie uns Ihre Fragen an gesellschaft@tamedia.ch.