Lesende fragen Peter SchneiderBin ich zu alt fürs Fremdduzen?
Unser Kolumnist beantwortet die Frage einer Leserin, die ob der omnipräsenten Du-Kultur irritiert ist.
Je länger, desto mehr stört mich (59), dass sich alle duzen, notabene nicht nur beim Apéro oder am Restauranttisch, sondern eben auch in Stelleninseraten, auf Websites, in Apps usw. – das Du ist überall im öffentlichen Raum. Eine Du-Kultur bei der Arbeit, im Verein, bei «analogen» Anlässen (wie Hochzeiten, Weiterbildungen etc.) ist für mich kein Thema. Aber in der Migros, im Zug oder im Restaurant? Bin ich heillos veraltet, dass ich nicht jedem Du sagen möchte oder geduzt werden will? M. F.
Liebe Frau F.
Es hat tatsächlich mit dem Alter zu tun, wie empfindlich man auf das Du reagiert. So wie die Akzeptanz von neuen (beim Duzen auch schon längst nicht mehr so neuen) Verkehrsformen überhaupt meistens vom Alter abhängt. Die Jüngsten werden in diese jeweils hineingeboren und haben keine Probleme damit, weil sie gar nichts anderes kennen. Die Älteren und Ältesten sind verwirrt und peinlich berührt bis verärgert, weil sie die Regeln nicht kennen, nicht verstehen oder nicht akzeptieren. Die in der Mitte sind Treiber und Getriebene.
Es ist wie bei allen Moden: Sie beginnen irgendwie und irgendwo, geraten ins Gesichtsfeld, setzen sich mehr oder minder durch, werden Mainstream und schliesslich durch andere ersetzt. Zuerst finden die meisten sie schrecklich, dann gewöhnungsbedürftig und schliesslich hat man sich daran gewöhnt. Ad libitum et libido, amen. Irgendwann findet man sich vielleicht «zu alt für den Scheiss». Dann wird man (in seltenen Fällen) zeitlos elegant oder aber schrullig, ältlich, eine beige Rentnerfigur, eine unermüdliche Kämpferin gegen Windmühlen.
Ich halte mich an die Regel: Es wird zurückgeduzt.
Ich gehöre (noch ein paar Jahre älter als Sie) zu denen, die die längste Zeit ihres Lebens gesiezt haben. Auf der Zeche habe ich während Ferienjobs erstmals zaghaft das Duzen auch von Älteren gelernt; an die Uni kam ich etwa zehn Jahre zu spät, um noch zu erleben, wie man sich dort siezt; ich habe später das Gewerkschafts-Du und das Journalistinnen-Du kennen gelernt; und jetzt bin ich dabei, das Kellner-Du zu lernen (wann duzen die mich und warum?). Da gilt für mich die Regel: Es wird zurückgeduzt.
Stelleninserate jucken mich nicht mehr; Leute, die ich nicht kenne, werden erst mal gesiezt, wenn sie mich dann trotzdem duzen, nehme ich das Zeichen, dass sie mir damit ab sofort das Du angeboten haben. (Was ich übrigens gerade bei Jüngeren charmant finde.) Ich passe mich in der Regel dem Grad der Förmlichkeit bzw. Unförmlichkeit der anderen an. Das entspannt. Fühlen Sie sich also nicht veraltet und schon gar nicht heillos, sondern lediglich so verunsichert, wie man sich auch fühlt, wenn man von einem Dialekt in einen anderen zügelt. Neue Regeln lernen kann durchaus lustig sein.
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