Labour-Regierung in der KritikPremier Starmer verspricht «Licht am Ende des Tunnels»
Die Stimmung am Parteitag von Labour ist gedrückt. Umso mehr versucht der britische Regierungschef, Optimismus zu verbreiten. Doch Zweifel bleiben.
- Am Labour-Parteitag in Liverpool zeigt sich Unzufriedenheit mit der Starmer-Regierung.
- Die Spendenaffären um Topleute von Labour drücken auf die Stimmung.
- «Eine grosse nationale Erneuerung» habe begonnen, erklärt Premier Starmer.
- Trotz grosser Versprechungen herrscht am Ende des Parteitags Ernüchterung.
Für 20 Pfund, umgerechnet 22 Franken, hat man auf dem diesjährigen Labour-Parteitag in Liverpool ein T-Shirt kaufen können, das den Jubel über den Wahlsieg vom Juli zahlenmässig zu fassen suchte. 411 der 650 Unterhaus-Mandate, fast eine Zweidrittelmehrheit, habe man errungen, war auf der Vorderseite des Hemdchens zu lesen. 37 Mandate waren es in Schottland allein. In 211 Fällen setzten sich Labour-Kandidaten in Wahlkreisen durch, die bis dahin von anderen Parteien gehalten worden waren. 9’704’655 Stimmen insgesamt entfielen auf Keir Starmers Partei.
Zum Parteitag angereiste Delegierte zeigten allerdings wenig Verlangen, diese Resultate, mit denen Labour immerhin eine 14-jährige Tory-Ära beendete, zur Schau zu tragen. Nach knapp zwölf Wochen hat die Zuversicht des Sommers viel herbstlichem Trübsinn Platz gemacht.
Auch den Labour-Leuten am Parteitag in Liverpool ist bewusst, dass die Popularität ihrer Partei in Rekordzeit schwindet. Inzwischen erklären bereits 28 Prozent derer, die im Juli Labour wählten, sie würden aus Enttäuschung über die neue Regierung heute lieber den Grünen ihre Stimme geben. Andere beginnen, mit Nigel Farages Rechtspopulisten zu liebäugeln, die sich, am anderen Ende des politischen Spektrums, immer stärker profilieren.
Ungeschickter Umgang mit Geschenken von Gönnern
Grund für die gedrückte Stimmung bei Labour so kurz nach dem Wahlsieg ist zum Teil die Naivität, mit der die Topriege der Partei private Geschenke reicher Gönner entgegennahm, ohne sich je Gedanken darüber zu machen, wie das in der Öffentlichkeit wirken würde.
Unglücklich sind viele, auch wenn sie es kaum zu sagen wagen, mit einem Parteichef, der vier Tage brauchte, bis er versicherte, er werde nun keine persönlichen Geschenke dieser Art mehr entgegennehmen. Starmer, der schon jetzt unbeliebter ist, als es Tory-Premier Rishi Sunak zuvor war, wird vorgehalten, äusserst ungeschickt zu operieren, Dinge nicht richtig einzuschätzen und Labour-Anhänger zu verunsichern, statt sie zu inspirieren.
Besonders negativ ist ihm und Schatzkanzlerin Rachel Reeves angerechnet worden, dass sie die von den Konservativen eingeführte Obergrenze der Sozialhilfe für kinderreiche Familien nicht augenblicklich wieder abgeschafft haben. Und dass sie es für nötig hielten, zehn Millionen Rentnern dieses Jahr die Winter-Beihilfe zu streichen – just zu einem Zeitpunkt, da ihre eigene reichhaltige Bescherung durch befreundete Millionäre ans Tageslicht kam.
Guter Start mit wegweisenden Neuerungen
Dabei hatte Starmers Regierung gar keinen schlechten Start. Mit rasch geschlossenen Tarifverträgen, die Mitarbeitern der öffentlichen Dienste und der Eisenbahnen etwas Ausgleich für Lohneinbussen der letzten Jahre verschafften, beendete sie an mehreren Fronten bittere, kostspielige Streiks.
Viele Neuerungen sind in Angriff genommen worden – beschleunigter Wohnungsbau, die Wiedereinführung alter Gewerkschaftsrechte, die Nationalisierung der Eisenbahn, die Reform des Oberhauses, die Verbesserung des Verhältnisses zur EU. Umweltminister Ed Miliband hat sich energisch für die Transformation Grossbritanniens in eine «grüne Gesellschaft» eingesetzt.
Aber all diese Bemühungen fanden sich am Ende überlagert von Starmers und Reeves’ steten Warnungen, dass erst einmal für eine solide finanzielle Basis gesorgt werden müsse und dass das leider jedermann Opfer abverlange.
So viel Pessimismus, so viel Rede vom «schwarzen Schuldenloch», das die Tories Labour hinterlassen hätten und das den Spielraum der Regierung drastisch einenge, stand im Widerspruch zum optimistischen Wahlslogan der Partei, der in Liverpool bei der Konferenz auch alle Wände zierte. «Change» hatte Labour den Leuten ganz einfach versprochen – Wandel zum Besseren.
Kein Zurück zur Austerität der Tory-Zeit
Ministerin Reeves sah sich genötigt, in ihrer Parteitagsrede ein paar positivere Register zu ziehen als in den letzten Wochen. Geplant seien jedenfalls sehr viel mehr an «öffentlichen Investitionen». Sie signalisierte erstmals, dass sie zu diesem Zweck Mittel und Wege finden werde, um mehr Geld aufzunehmen. Auf keinen Fall gehe man «zurück zur Austerität der Tory-Zeit». Zugleich schloss sie nicht aus, dass es im Rahmen ihrer Haushaltserklärung Ende Oktober zu Steuererhöhungen und zu weiteren Kürzungen im Sozialbereich kommen wird.
Sehnlichst hofften die Delegierten am Dienstag darauf, dass Keir Starmer ihnen zum Höhepunkt der Veranstaltung etwas «mit auf den Weg geben» würde an neuer Zuversicht, an Optimismus. Und der Premier gab sich alle Mühe, eine Vision zu skizzieren für seine Politik. Die Arbeit für grundlegenden Wandel habe bereits begonnen, beteuerte er. «Nationale Erneuerung» sei in grossem Umfang im Gange. Er wolle Grossbritannien in ein Land verwandeln, das all seine Bürger zu schätzen wisse und ihnen Mitsprache und Kontrolle über ihr Leben verschaffe: «Ein Britannien, das Ihnen, das euch allen gehört.»
Skeptische Beobachter des Auftritts blieben dabei, dass sich für Starmer «das Licht am Ende des Tunnels» auch als etwas ganz anderes erweisen könne – als das Licht eines seiner Regierung mit Karacho entgegenkommenden Zugs.
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