Interview zu Umweltbilanz von Kreuzfahrten«Die Branche wächst schneller, als die Schiffe sauberer werden»
Klimaneutral bis spätestens 2050: So lautet das Versprechen der Branche. Klimaforscher Stefan Gössling widerspricht, und er erklärt, welche Macht bei den Häfen liegt.
Pools, Restaurants, Shoppingmeilen und Konzertsäle an Bord sowie der Besuch von pittoresken Küstenstädten: Kreuzfahrten erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Im Schnitt machen pro Jahr rund 150’000 in der Schweiz wohnhafte Personen eine Kreuzfahrt, Tendenz steigend.
In der Klimadebatte kommen Kreuzfahrten jedoch schlecht weg. Zu Recht? Und was tut die Branche, um die Umweltbilanz zu verbessern? Darüber haben wir mit dem Klimaforscher Stefan Gössling gesprochen, Professor für Tourismus an der Linné-Universität in Schweden.
Herr Gössling, die meisten Reedereien versprechen klimaneutrale Kreuzfahrten bis 2050, einige sogar schon ab 2030. Was ist davon zu halten?
Das sind schöne grüne Erzählungen, mehr nicht. Das schnelle Wachstum der Branche kann nicht mit diesen Netto-null-Zielen in Einklang gebracht werden.
Sie selbst schreiben aber in einer Publikation, dass die Emissionen pro Passagier gesunken sind, für eine einwöchige Kreuzfahrt von rund 900 kg CO₂ im Jahr 2015 auf rund 800 kg CO₂ heute. Das geht doch klar in Richtung Klimaneutralität.
Erstens muss man hier festhalten, dass 800 Kilogramm CO₂ pro Passagier ungefähr ein Fünftel von dem ist, was ein durchschnittlicher Mensch in der Schweiz im ganzen Jahr emittiert. Zweitens ist etwas anderes für das Klima viel relevanter als die Pro-Kopf-Emissionen. Nämlich die CO₂-Emissionen der gesamten Branche. Und diese steigen an.
Wie stark?
Gemäss unseren Szenarios könnten sich die Passagierzahlen von heute rund 20 Millionen pro Jahr auf 145 Millionen im Jahr 2050 vervielfachen. Damit einher geht ein Anstieg der direkten CO₂-Emissionen des Kreuzfahrtsektors von 23 Millionen Tonnen im Jahr 2019 auf 71 Millionen Tonnen bis 2050. Und das, obwohl sich die Emissionen pro Kopf in dieser Zeitspanne fast halbieren dürften. Ich sehe daher nicht, dass irgendeine Kreuzfahrtlinie es schaffen wird, ihre absoluten Emissionen zu reduzieren, einfach weil die Branche schneller wächst, als die Schiffe sauberer werden. Hinzu kommen die Emissionen der Anreise, sowohl der Passagiere als auch des Personals, sowie die Emissionen der gesamten Wertschöpfungskette.
Ist die Anreise wirklich relevant?
Durchaus. Die Anreise ist häufig mit sehr grossen Entfernungen verbunden. Wird diese Distanz mit dem Flugzeug zurückgelegt, kann das zusätzliche Emissionen verursachen, die ein Vielfaches der Emissionen der Kreuzfahrt selbst betragen. Man kann es also drehen und wenden, wie man will: Eine Kreuzfahrt samt Anreise ist leider ein wahnsinnig energieintensives Produkt.
Bei Kreuzfahrten im Mittelmeer können die Fahrgäste aber auch mit anderen Verkehrsmitteln anreisen als mit dem Flugzeug. Würde das die Emissionen substanziell reduzieren?
Am besten ist es natürlich, Bahn oder Fernbus zu nutzen. Dann sind die Emissionen der Anreise nicht nur im Vergleich zur Anreise mit dem Flugzeug, sondern auch im Vergleich zur Kreuzfahrt selbst relativ gering.
Und bei einer Anreise mit dem Auto?
Pro Kopf und pro Kilometer Strecke sind die CO₂-Emissionen beim Urlaubsauto, in dem mehrere Personen sitzen, in etwa gleich gross wie beim Flugzeug und damit viel schlechter als bei Zug oder Bus. Beim Flugzeug kommen neben den CO₂-Emissionen aber noch andere klimawirksame Emissionen hinzu, vor allem Wasserdampf, aber auch Stickoxide. Die machen das Flugzeug insgesamt etwa dreimal so klimawirksam wie das gut besetzte Urlaubsauto. Man muss auch bedenken, dass man mit dem Auto in der Regel maximal 1000 Kilometer zurücklegt, beim Flugzeug fängt es bei 1000 Kilometern eigentlich erst an.
Stimmt es, dass die grösseren Kreuzfahrtschiffe weniger umweltschädlich sind als die kleineren?
Das haben wir für den norwegischen Markt durchgerechnet. Grundsätzlich ist die Vergleichbarkeit zwischen einzelnen Schiffen schwierig, da jedes Schiff ein Unikat ist. Aber die Erwartung war in der Tat, dass grössere Schiffe effizienter sind, weil zum Teil viele Tausend Passagiere transportiert werden.
Konnten Sie das also bestätigen?
Nein. Es scheint so, dass die mittelgrossen Kreuzfahrtschiffe die effizientesten sind. Bei den grösseren werden die Effizienzgewinne durch grössere Räumlichkeiten und mehr Angebote an Restaurants, Shoppingmeilen, Theater und anderen Aktivitäten wieder wettgemacht.
Welche anderen relevanten Schadstoffe als das Treibhausgas CO₂ werden durch Kreuzfahrtschiffe emittiert?
Russ, aber auch Stickoxide und Feinstaub. Dort, wo es erlaubt ist, wird immer noch Schweröl verbrannt. Dann kommt Schwefeldioxid als Schadstoff hinzu. In Europa und damit auch in weiten Teilen des Mittelmeers muss Marinedieselöl verwendet werden. Da ist die Verbrennung etwas sauberer.
Sind diese Emissionen ein Problem für die Küstenstädte, die angelaufen werden?
Oh ja. Denn es werden erhebliche Mengen emittiert. Wenn grosse Schiffe in Häfen einlaufen, dann kann sich die Luftqualität je nach Windrichtung in den Küstenstädten deutlich verschlechtern. Das haben zahlreiche Studien belegt.
Wie sehr bemüht sich die Kreuzfahrtbranche, die Umweltbelastung zu reduzieren?
Die Branche macht kaum etwas von sich aus, sondern vor allem das, wozu sie gezwungen wird, entweder durch politische Vorgaben oder durch die negative öffentliche Meinung.
Manche werben immerhin damit, dass sie Flüssiggas einsetzen statt Schweröl oder Marinedieselöl.
Flüssiggas wird häufig als Technologie der Zukunft gepriesen, da bei der Verbrennung weniger Luftschadstoffe freigesetzt werden. Es wäre also auf jeden Fall ein wesentlicher Vorteil, wenn Flüssiggas breit eingesetzt würde. Aber für den Klimaschutz bringt es wenig. Denn gegenüber Marinedieselöl sinken die CO₂-Emissionen nur um rund 15 Prozent.
Es ist auch davon die Rede, mit regenerativen Energien hergestelltes Methanol zu verbrennen. Das wäre dann klimaneutral.
Das stimmt. Wir haben aber bei weitem nicht die Möglichkeiten, die Menge an Methanol regenerativ zu produzieren, die wir brauchen. Wir wissen nicht, wer das machen soll, wie lange das dauert und wie viel es kosten wird.
Wo ist aus Ihrer Sicht der grösste Hebel, um die Umweltbilanz der Kreuzfahrtbranche zu verbessern?
In einer Studie haben wir interessanterweise herausgefunden, dass Häfen die grösste Möglichkeit besitzen, auf die Branche einzuwirken. Denn Häfen können festlegen, welche Emissionswerte die einlaufenden Kreuzfahrtschiffe haben dürfen. Damit können Häfen die Reedereien zwingen, stärker in Technologien zu investieren, die Luftschadstoffe reduzieren.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Norwegen hat festgelegt, dass ab 2026 nur noch emissionsfreie Schiffe die westnorwegischen Fjorde befahren dürfen, die als Unesco-Welterbe geschützt sind. Wenn das tatsächlich umgesetzt wird, könnte das eine ganze Branche zum Umdenken zwingen.
Weil es sich kaum eine Kreuzfahrtlinie erlauben kann, norwegische Fjorde nicht mehr anzufahren?
Genau. Dazu ist die Konkurrenz zu gross. Wenn jetzt eine wichtige Destination im Mittelmeer, etwa Venedig, auch solche Umweltanforderungen stellen würde, hätte das ebenfalls gravierende Folgen für die gesamte Branche. Denn auch hier gilt: Keine im Mittelmeer tätige Kreuzfahrtgesellschaft kann Venedig links liegen lassen.
Könnten Kreuzfahrtschiffe dereinst auch rein elektrisch fahren?
Das halte ich für unmöglich. Man kann sich als Laie kaum vorstellen, welche Energiemengen da benötigt werden. Das ist gewaltig. Es gibt keine Batterie, die in ein Kreuzfahrtschiff passt und es auch nur für kürzere Zeiträume elektrisch antreiben könnte. Dazu müsste man einen geeigneten erneuerbaren Energieträger in Brennstoffzellen verstromen.
Auch nicht für die vergleichsweise kurze Strecke in einem Fjord?
Kaum. Mit Batterien und Elektroantrieb wird das nur bei kleineren Schiffen und auf kürzeren Strecken funktionieren, etwa bei Fähren.
Wenn jemand partout eine Kreuzfahrt machen möchte, worauf sollte er oder sie achten, um einen möglichst geringen ökologischen Fussabdruck zu hinterlassen?
Es gibt zwei Dinge, die zu beachten sind. Erstens das Schiff selbst. Man kann sich daran orientieren, welcher Veranstalter einigermassen belastbare Zahlen zu den Emissionen veröffentlicht, wer auch bereits etwas umgesetzt hat und nicht nur darauf verweist, das in der Zukunft tun zu wollen. Kreuzfahrtschiffe im Luxussegment emittieren sicherlich auch deutlich mehr. Das Zweite ist: Man sollte auf jeden Fall vermeiden, mit dem Flugzeug anzureisen.
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