Israelischer Premier vor GerichtFür Netanyahu geht es um alles
Erstmals seit Prozessbeginn vor viereinhalb Jahren sagt Benjamin Netanyahu als Angeklagter aus. Ihm werden Bestechlichkeit und Betrug vorgeworfen – er sieht sich im Zentrum des Weltgeschehens.
- Der israelische Premier Netanyahu steht erstmals in einem Prozess wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht.
- Die Vorwürfe umfassen Bestechung, Betrug und Untreue in mehreren Fällen.
- Netanyahu präsentierte sich als Opfer einer Justiz- und Medienverschwörung.
- Der Prozess polarisiert die israelische Gesellschaft und spaltet die Politik.
Da steht er nun als Staatsmann, im blauen Anzug mit passender Krawatte, und alle Augen sind auf ihn gerichtet, alle Ohren lauschen seinem wohltemperierten Bariton. Doch diese Bühne ist weit weg vom gern genossenen politischen Prunk. Es ist ein stickiger Gerichtssaal in Tel Aviv, in dem er nun als Angeklagter aufzutreten hat.
«Der israelische Staat gegen Benjamin Netanyahu», so heisst es auf den Aktendeckeln. Beobachtern dieses Auftritts allerdings drängt sich schnell die Frage auf, ob es nicht eigentlich umgekehrt ist. Denn der Angeklagte tritt wie ein Kläger auf und als verfolgte Unschuld.
Vor Gericht erlebt man an diesem Dienstag einen israelischen Premierminister, der den Richtern und all den anderen Anwesenden als Erstes eine Geschichtslektion erteilt – mit ihm im Mittelpunkt des globalen Geschehens. Von alten Kriegen und vom aktuellen dramatischen Beben im Nahen Osten berichtet er, von seinen Arbeitstagen «rund um die Uhr» und all den Dingen von «weltweiter Wichtigkeit».
Gemessen an diesen Dimensionen, so lässt sich daraus folgern, müssten die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als Kleinkram erscheinen. Oder um es mit Netanyahus Worten zu sagen: als «Tropfen im Ozean», als «einfach lächerlich».
Vor acht Jahren waren die Korruptionsermittlungen gegen ihn eröffnet worden. Vor viereinhalb Jahren begann der Prozess. Nun sagt zum ersten Mal der Angeklagte selber aus. Eine Premiere ist dies auch deshalb, weil nie zuvor ein amtierender israelischer Regierungschef vor den Richtern stand.
Teure Zigarren für ihn, Schmuck und Champagner für die Gattin
In drei verschiedenen Fällen werden Netanyahu Bestechlichkeit, Betrug und Untreue vorgeworfen. In einem geht es um Geschenke von reichen Gönnern im Wert von mehreren Hunderttausend Euro: teure Zigarren für ihn, Schmuck und den bevorzugten Champagner für Gattin Sara. In den zwei anderen Fällen um den Vorwurf, Medienunternehmern Vergünstigungen für eine positive Berichterstattung eingeräumt zu haben. Bei einer Verurteilung drohen dem 75-Jährigen eine mehrjährige Haftstrafe und das Ende seiner politischen Karriere.
Kurzum, es geht um alles für Benjamin Netanyahu, folglich kämpft er mit allen Mitteln. Auch an diesem Tag im Gericht bleibt er seiner Linie treu, sich als Opfer einer Verschwörung von Justiz und linken Medien zu präsentieren. Den Ton dafür hatte er noch am Abend zuvor auf einer zur besten Sendezeit live übertragenen Pressekonferenz gesetzt. Da sprach er von einer «brutalen Hexenjagd».
Er wollte nicht erscheinen, weil es keinen Bunker gab
Auch von «Putschversuch» war früher schon die Rede und vom finsteren Wirken eines tiefen Staats. Nun aber, so erklärte Netanyahu, werde er sich gegen all diese Vorwürfe zur Wehr setzen. «Ich werde reden», sagte er. «Ich habe acht Jahre auf den Tag gewartet, die Wahrheit präsentieren zu können.»
In Wahrheit allerdings hatte Netanyahu stets versucht, seinen Auftritt vor Gericht zu verhindern oder zu verschieben. Die dramatischen Ereignisse des 7. Oktober 2023 und der anschliessende Krieg hatten ihm einen monatelangen Aufschub beschert. Bis zum letzten Tag hat er nun um weiteren Dispens gekämpft – wahlweise mit Verweis auf die nationale Sicherheit, weil er auf der Kommandobrücke unabkömmlich sei, oder aus Gründen der persönlichen Sicherheit, weil es im Jerusalemer Gerichtsgebäude keinen Bunker gebe. Noch am Sonntag hatten zwölf treue Minister seines Kabinetts einen Brief geschrieben mit der Aufforderung, die Befragung wegen des aktuellen Kriegsgeschehens zu verschieben.
«Ich sollte mich mit Syrien beschäftigen», klagt Netanyahu
Doch irgendwann verloren die Richter offenkundig die Geduld mit dem Angeklagten. Sie verlegten den Prozess nach Tel Aviv in einen gut gesicherten, aber nur schlecht belüfteten unterirdischen Bunkerraum. Und sie bestimmten, dass Netanyahu von diesem 10. Dezember an bis auf weiteres an drei Tagen die Woche von 10 bis 16 Uhr zur Aussage verpflichtet ist. Zu Beginn ist sein Verteidiger dran. Danach übernehmen die Vertreter der Anklage fürs Kreuzverhör.
In diesen Kriegszeiten ist dies gewiss eine enorme zeitliche Zusatzbelastung für den Regierungschef, und Netanyahu wird nicht müde, die Justiz dafür zu attackieren. «Ich führe das Land durch einen Sieben-Fronten-Krieg», klagt er am Dienstag im Saal, oder auch: «Ich sollte mich mit Syrien beschäftigen.» Wie schwierig das alles zu bewältigen ist, demonstriert er dadurch, dass er sich zwischendurch mehrmals von Helfern kleine Zettel mit geheimen Botschaften reichen lässt. Doch zumindest am ersten Tag lassen die Richter keine Programmänderung zu. (Lesen Sie auch: Israel versucht, das syrische Machtvakuum für sich zu nutzen.)
Geprägt ist der Tag von den harten Fronten, die sich innerhalb Israels gebildet haben. Draussen vor dem Gerichtsgebäude ist das sichtbar durch Demonstranten aus beiden Lagern: für Netanyahu oder gegen ihn. Die Gesellschaft ist polarisiert durch den Prozess, und die Politik vertieft die Gräben. Etwa durch Projekte wie die von der rechts-religiösen Regierung angestossene illiberale Justizreform, in der Kritiker die Rache des Regierungschefs an seinen Anklägern sehen. Der Kampf wird auf allen Ebenen geführt. Im Prozess gegen Netanyahu ist kein Ende in Sicht.
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