Aufstrebende Twitter-AlternativeSo wird Bluesky zur echten Konkurrenz für Elon Musks X
Der Twitter-Klon schickt sich an, den strauchelnden Kurznachrichtendienst abzulösen. Ein ökonomisches Rezept in fünf Schritten, wie das gelingen kann.
Man nehme:
2 durchgeknallte Milliardäre
5 bis 10 politische Streitpunkte
ein bekanntes App-Design
viele frustrierte Nutzerinnen mit grossem Kommunikationsbedürfnis (aktiv oder passiv)
Milliardäre und deren Geld in zwei Töpfe verteilen. Streitpunkte hinzufügen und aufkochen. Klumpenbildung von Nutzern abwarten, dann portionenweise von einem Topf in den anderen abschöpfen. Fertig ist der Social-Media-Klon.
1. Gleicher Look
Wäre da nicht der blaue Startbildschirm mit den weissen Wolken: Man müsste zweimal hinsehen, um sich zu vergewissern, dass man wirklich bei Bluesky ist.
Die App des neuen Kurznachrichtendienstes sieht jener von Twitter zum verwechseln ähnlich. Das ist kein Zufall: Bluesky ist eigentlich eine Twitter-Eigenkreation – konzipiert wurde es im Jahr 2019 als technischer Prototyp.
In der Zwischenzeit ist 2023. Und einiges ist passiert: Elon Musk hat Twitter gekauft und macht dort Radau. Bluesky ist selbstständig geworden und sammelt fleissig vergraulte Nutzer ein, die mit Twitter nicht mehr zufrieden sind – sei es, weil X (wie Twitter jetzt heisst) zweifelhafte Inhalte finanziell belohnt, oder weil sich Musk zunehmend als Anhänger rechter Verschwörungstheorien outet.
Rund 1,5 Millionen Nutzerinnen und Nutzer sind so bereits bei Bluesky gelandet. Das ist zwar noch nichts im Vergleich zu den über 300 Millionen Usern, die bei X verbleiben. Aber genug, um sich zu fragen, ob Bluesky dereinst X ablösen könnte.
Die erste Hürde hat die Plattform bereits genommen: Neuankömmlinge finden sich auf der App schnell zurecht. Das ist ein Pluspunkt gegenüber Alternativen wie Mastodon, das für Einsteiger komplizierter zu bedienen ist.
2. Andere Stimmung
Und auch etwas Zweites hat Bluesky richtig gemacht. Die Atmosphäre auf der Plattform stimmt. Das berichten gerade im deutschsprachigen Raum manche Nutzer, die zuletzt «im Himmel angekommen» sind und dort in weitgehend freundlichem Umgangston Nachrichten schreiben und lesen können – so, wie es in den idealisierten Anfangstagen von Twitter einmal gewesen sein mag.
Dass es auf Bluesky kaum Trolls und Fake News gibt, liegt an einer cleveren Idee: Man kommt vorerst nur mit Einladungscode auf die Plattform. Auf diese Weise soll ein geschützter Raum mit einer zivilisierten Gesprächskultur entstehen, die von einer Gemeinschaft aus Gleichgesinnten gepflegt wird.
Die Idee scheint mehrheitlich zu funktionieren – dank aktiver Hilfe von X, wo Musk zuletzt etwa einen Hamas-freundlichen Account empfahl und wegen einer Flut von Fake News zum Nahostkonflikt von der EU-Kommission abgemahnt wurde.
«Twitter ist eine einzige Trollfabrik geworden», sagt Holger Schmidt, ein Journalist bei der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» und Blogger für digitale Wirtschaft. Er war fünfzehn Jahre bei Twitter und kehrt jetzt der Plattform den Rücken. «Viele Leute, die an einer seriösen Diskussion interessiert sind, haben deshalb zu Bluesky gewechselt.»
Forscherinnen, Journalisten, Künstlerinnen, Intellektuelle, Politiker: Wenn eine Plattform zum weltweiten Forum für News und Meinungen werden will, dann muss sie diese Crowd anziehen. Doch sie braucht bald auch etwas anderes: Wachstum in der breiten Masse. Und das ist bedeutend schwieriger.
3. Nein zu Fake News
Denn einerseits benötigt Wachstum seine Zeit. Platzhirsche unter den Social-Media-Plattformen haben einen gewaltigen Startvorteil. «Wer etwas Wichtiges zu sagen hat, kann über X heute sehr viele Leute erreichen», sagt Dominik Allemann, Co-Chef bei der Kommunikationsagentur Bernet Relations. «Bis ein anderer Kanal ein solches Umfeld bietet, können Jahre vergehen.»
Und andererseits muss Wachstum verdaut werden. Je mehr User sich auf einer Plattform tummeln, desto mehr unerwünschte Inhalte werden darüber verbreitet – Pornografie, Rassismus, Fake News. Sie zu orten und zu löschen, ist ein Riesenaufwand: Facebook beschäftigt dafür an die 40'000 Personen.
Auch bei Bluesky kümmert sich ein Mitarbeiterteam um unerwünschte Inhalte. Doch im Prinzip möchte das Unternehmen diese Aufgabe an die Nutzercommunitys delegieren. Sie sollen mit einer Reihe von Reporting- und Filtering-Tools selbst für die «Content Moderation» sorgen. Bluesky will damit verhindern, dass die Firma zu viel Zensurmacht in den eigenen Händen hält.
Sogar die Technik hat Bluesky auf diese Philosophie ausgerichtet. Die Plattform baut auf einem offenen Standard auf (das sogenannte AT-Protokoll), an den in Zukunft weitere Plattformen andocken sollen. «Wird ein Account auf Bluesky gesperrt, kann dieser Account seine Inhalte und Followerinnen auf eine andere Plattform umziehen», erklärt der Social-Media-Analyst Luca Hammer.
Ob diese Idee den Praxistest besteht, ist offen. Gut möglich, dass Bluesky am Ende doch stark selber Hand anlegen muss, um unerwünschten Inhalt von der Plattform fernzuhalten. So oder so zeichnet sich ab: Wenn Bluesky richtig gross werden will, muss es früher oder später richtig viel Geld in die Hand nehmen.
4. Ja zu Werbung
Das zeigt nicht zuletzt das Beispiel von Twitter. Dort gingen 2021 gemäss den letzten veröffentlichten Zahlen rund 5 Milliarden Dollar pro Jahr für den Betrieb der Plattform drauf. Rund 90 Prozent dieser Ausgaben finanzierte Twitter damals über Werbung, die Nutzern beim Scrollen eingeblendet wird.
«Auf die Dauer führt kein Weg an Werbeeinahmen vorbei.»
Auch Bluesky wird zunehmend höhere Ausgaben haben, sei es für die Softwareentwicklung (es gibt etwa noch keine Direktnachrichten) oder für die Server-Infrastruktur (noch laufen über Bluesky keine Videos). Bis jetzt verdient die Firma aber bloss etwas Geld mit Premium-Funktionen für Mitglieder, die einen speziellen Benutzernamen eintragen wollen.
Laut Pinar Yildirim, Professorin für Marketing und Wirtschaft an der Wharton University of Pennsylvania, ist klar, dass das auf die Dauer nicht so bleiben kann. «Wenn Bluesky in der obersten Liga der Social-Media-Plattformen mitspielen will, dann führt auf die Dauer kein Weg an Werbeeinahmen vorbei.»
Bluesky selbst hat noch nicht entschieden, ob dereinst Werbung eingeblendet werden soll. Doch mit den wirtschaftlichen Sachzwängen, die auf die Social-Media-Plattform zukommen werden, kennt sich einer dort ziemlich gut aus.
5. Zurück in die Zukunft
Jack Dorsey hat Twitter gegründet und war lange dessen Chef. Nun sitzt er im Verwaltungsrat bei Bluesky. Und er weiss genau: Wo Anleger Geld hineinstecken, muss irgendwann auch wieder Geld hinausfliessen.
Paradoxerweise war Dorsey bei Twitter stets darum bemüht gewesen, dieses Prinzip nicht auf die Spitze zu treiben. So erklärt sich, dass Twitter ziemlich schlank blieb: Als quasi-öffentliche Dienstleistung sollte die Plattform nur so viel Werbung einspielen wie gerade nötig – genau das mochten Nutzer daran.
Auch dass Dorsey am Ende einverstanden war, Twitter an Multimilliardär Musk zu verkaufen, erklärt sich aus dieser Logik. Dorsey dachte, so könnte man Twitter dem Druck von Wall-Street-Investoren entziehen, die mehr Geld aus der Plattform pressen wollten. Inzwischen bereut Dorsey den Entscheid.
Schaffen es Dorsey, Firmenchefin Jay Graber und ihre Mitstreiter diesmal, die richtige Mischung zu finden – genug Einnahmen und genug Inhaltsmoderation, aber von beidem nicht zu viel –, dann könnte Bluesky an den Erfolg des alten Twitter anknüpfen, bevor dieses von Musk abgewirtschaftet wurde.
Vorausgesetzt natürlich, die Bluesky-User sehen grosszügig darüber hinweg, dass Dorsey selbst ein abgedrehter Silicon-Valley-Milliardär geworden ist, der als glühender Anhänger von Anti-Impf-Verwschwörungstheorien über X nicht weniger abstruse Weltansichten als der verhasste Elon Musk verbreitet.
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