X-Alternative BlueskyJack Dorsey ist zurück – um Twitter den Garaus zu machen
Auch hartgesottene Fans des Kurznachrichtendienstes sehen sich nach Alternativen um. Bluesky wurde vom ehemaligen Twitter-Chef initiiert und steht in der Poleposition, um Elon Musk zu beerben.
Totgesagte leben länger, auch in der digitalen Welt. Vor einem halben Jahr führte #RIPTwitter die Hashtag-Hitparade an, und der Untergang des Kurznachrichtendienstes schien immanent. Viele der treuen Nutzerinnen und Nutzer waren frustriert über die Veränderungen nach der Übernahme durch Elon Musk. Inzwischen ist nicht einmal mehr der Name geblieben: Twitter heisst X, und der sympathische Logo-Vogel musste einem Markenzeichen weichen, das ans Halteverbots-Verkehrsschild erinnert.
Trotzdem ist Twitter noch da, und die allermeisten User sind es auch. Das erstaunt umso mehr, als Alternativen existieren – und nicht zu knapp: Mit Instagram Threads, Mastodon, Post.news, Hive und Pebble (vormals T2) gibt es fast ein Dutzend Alternativen, die allesamt liebend gerne die Nachfolge von X antreten würden.
Keiner der Herausforderer konnte sich einen Startvorteil verschaffen
Genau diese grosse Auswahl ist das Problem. Bislang konnte sich keiner der Konkurrenten in die Poleposition bringen. Threads von Meta ist unausgegoren und in Europa nicht verfügbar. Mastodon wirkt mit seinem dezentralen Ansatz auf viele zu technisch und hat Schwächen bei der Suche. Und bei den meisten anderen Diensten ist so wenig los, dass sie ausser Tech-Journalisten niemand ausprobieren mag.
Doch inzwischen sticht eine der Alternativen heraus. Bluesky (bsky.app) hat in den letzten Tagen und Wochen einen beträchtlichen Zulauf erfahren. Es ist zwar schwierig, zu quantifizieren, wie viele Nutzerinnen und Nutzer zu Bluesky wechseln. Noch schwerer ist es, abzuschätzen, wie viele den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten dorthin verlagern. Doch viele der engagierten Nutzerinnen und Nutzer sind inzwischen bei Bluesky – und sie verbreiten Aufbruchstimmung.
Bluesky fühlt sich an wie Twitter früher
Für viele fühlt sich Bluesky so an wie Twitter früher: mit einer überschaubaren Oberfläche und einer konstruktiven Grundstimmung. Das kommt nicht von ungefähr. Eine Schlüsselfigur im «blauen Himmel» ist Jack Dorsey. Er hat das Projekt 2019 noch als Twitter-Chef initiiert und Ende 2021 in ein eigenes Unternehmen ausgegliedert. Heute sitzt Dorsey im Vorstand und verfolgt seine Vorstellung, wie ein modernes soziales Netzwerk aussehen müsste: Es ist dezentral organisiert und nicht unter der Kontrolle eines einzelnen Betreibers. Wie beim E-Mail wählen Nutzerinnen und Nutzer unter verschiedenen Anbietern und können dank eines Protokolls, also eines Regelwerks für die Kommunikation, mit allen anderen interagieren. Diesen dezentralen Ansatz hat Dorsey mit Mastodon gemeinsam, doch im Gegensatz zum Konkurrenten verkompliziert er die Nutzung nicht.
Wird Bluesky X beerben? Das Rennen ist offen, und auch der Höhenflug kann abrupt enden – wie meine im Nachhinein zu optimistische Prognose zu Mastodon Ende 2022 beweist. Wenn Bluesky die Rolle als globaler Marktplatz der Ideen spielen soll, dann reicht es nicht, wenn bloss die Dauer-Twitterer wechseln: Auch Politikerinnen und Wissenschaftlerinnen, Journalisten, Sportlerinnen und Wirtschaftsgrössen müssen nachfolgen – und von denen ist bis jetzt weit und breit nichts zu sehen. Mit Ausnahme der streitbaren US-Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez, deren Ankunft bei Bluesky sogar in der «New York Times» vermeldet wurde.
Bluesky überzeugt bei den Details
Bluesky ist bislang eine geschlossene Gesellschaft. Es braucht einen Einladungscode, um sich anzumelden, und die sind bislang rar. Trotzdem steht mein Urteil, dass Jack Dorsey derzeit die besten Erfolgsaussichten hat: nicht nur, weil er das ursprüngliche Twitter-Gefühl aufleben lässt, sondern auch, weil bei Bluesky die Details überzeugen. Über den prominenten Menüpunkt «Moderation» macht es Bluesky einfach, unerwünschte Inhalte oder Personen zu blockieren. Es gibt detaillierte Einstellungen, um die Zeitleiste übersichtlich zu gestalten – beispielsweise, indem die Hürden hochgesetzt werden, ob Antworten unbekannter Nutzerinnen und Nutzer angezeigt werden oder nicht.
Muss sich Elon Musk fürchten? Er sollte Bluesky zumindest ernst nehmen. Bis jetzt war der Nutzerschwund bei X verkraftbar. Linda Yaccarino, die Geschäftsführerin von X, hat die Zahl der täglich aktiven Nutzer Ende September auf 225 Millionen beziffert. Das entspricht gemäss dem Tech-Portal «Mashable» einem Rückgang von 11,6 Prozent seit der Übernahme durch Musk. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, dann könnte sich auch in der breiten Öffentlichkeit der Eindruck verfestigen, X sei ein sinkendes Schiff.
Und Bluesky hat einen Trumpf im Ärmel. Dank der offenen Architektur ist es technisch möglich, eine Brücke zum Konkurrenten Mastodon zu schlagen, sodass die Nutzerinnen und Nutzer beider Plattformen sich austauschen könnten. Auf diese Weise entstünde eine Allianz, die Elon Musks auf alle Fälle fürchten müsste.
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