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Meinung

Kommentar zur 13. AHV-Rente
Dieses Ja ist eine Sensation

Nationalraetin Tamara Funiciello, SP-BE, Benoit Gaillard, Kommunikation SGB, Pierre-Yves Maillard, Praesident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes SGB, und Daniel Lampart, Chefoekonom SGB, von links, freuen sich ueber die erste Prognose zum Abstimmungsergebnis zur 13. AHV Rente Initiative, am Sonntag, 3. Maerz 2024, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider).
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Es ist ein historisches Verdikt: Fast 60 Prozent sagen Ja zu einer 13. AHV-Rente. Noch nie hat das Schweizer Stimmvolk eine Initiative zur AHV angenommen. Noch nie schaffte die Linke mit einem Ausbau des Sozialstaats eine Mehrheit an der Urne. Noch nie hat sie so viele bürgerliche Stimmende überzeugt. 

Historisch war auch der Abstimmungskampf: Noch nie wurde er in breiten Bevölkerungsteilen derart emotional geführt. Und noch nie haben die Medien so intensiv berichtet – weil das Interesse des Publikums so gross war wie noch nie. 

Daneben ging die mit über 70 Prozent deutlich abgelehnte Initiative der Jungfreisinnigen zur Erhöhung des Rentenalters geradezu unter. Sie kam zu einem ungünstigen Zeitpunkt: Erst vor zweieinhalb Jahren wurde das Frauenrentenalter erhöht. Auch der technische Automatismus, mit dem das Referenzalter an die Lebenserwartung gekoppelt worden wäre, dürfte viele abgeschreckt haben. 

Geschickte Kampagne der Gewerkschaften

Der Grosserfolg der Gewerkschaften bei der 13. Rente ist kein Zufall. Er hat mehrere Ursachen, die den politischen Diskurs auch in der kommenden Zeit stark prägen werden.

Erstens ist der Problemdruck real: Viele Seniorinnen und Senioren plagen Existenzängste. Die höheren Mieten, Krankenkassenprämien und Strompreise lassen sich immer schlechter mit den Renten bezahlen. Und im Unterschied zu den zurückhaltenden Vorgängergenerationen fordern die Babyboomer, die nun in grosser Zahl pensioniert werden, ihre Anliegen selbstbewusst ein. Diese Kombination erklärt, warum heute eine Initiative für einen Rentenausbau von über acht Prozent mehrheitsfähig ist. Noch vor acht Jahren scheiterte das fast identische Begehren an der Urne deutlich. 

Zweitens spielten die Gewerkschaften ihre Trümpfe sehr geschickt. Der bestechende Name der Initiative, die anschaulichen Fallbeispiele der zu kleinen Rentnerbudgets, die verbale Umarmung des Mittelstands, die Dominanz in der öffentlichen Debatte: Die Befürworter führten eine vorbildliche Kampagne. Damit mobilisierten sie nicht nur die linken Bevölkerungsteile, sondern eine ganze Rentnergeneration. 

Die Gegner machten es ihnen – drittens – auch denkbar einfach: Die bürgerlichen Parteien und die Wirtschaftsverbände müssen sich vorwerfen lassen, die Stimmung in der Bevölkerung nicht erkannt zu haben. Der inoffizielle Gegenvorschlag aus der politischen Mitte, eine milliardenschwere Rentenerhöhung für die ärmsten Senioren, kam erst im Dezember in den Nationalrat – viel zu spät. 

Die gegnerische Kampagne wirkte zudem zaghaft bis unbeholfen (Stichwort: Brief der Alt-Bundesräte). In der Verantwortung sind namentlich die SVP und Economiesuisse, die im operativen Lead waren. Eine Mehrheit der SVP-Basis wollte gemäss Umfragen für die 13. Rente stimmen. Diesen Elite-Basis-Widerspruch muss die Partei im Hinblick auf die kommenden sozialpolitischen Abstimmungen dieses Jahres aufarbeiten, wenn sie weitere Niederlagen verhindern will. 

Economiesuisse und der Arbeitgeberverband sind mit ihrem hölzernen, emotionslosen und letztlich austauschbaren Kampagnenstil zum wiederholten Mal gescheitert. Dass die Verbände nicht aus ihren Fehlern lernen, ist verheerend für die Wirtschaft: Deren Anliegen prallen zunehmend an der Bevölkerung ab. Die Bereitschaft schwindet, zugunsten des liberalen Wirtschaftsstandorts und der Firmen zu stimmen. Das haben sich die Verbände selbst zuzuschreiben: Wo sind die Unternehmerinnen und Unternehmer, die aufzeigen, welche Folgen höhere AHV-Lohnabgaben haben? Wo die jüngeren Werktätigen, die ihre Finanzen mit derselben Dringlichkeit offenlegen wie die Rentnergeneration? 

Bereits 2027 folgen Milliardendefizite

Die Gegner und die Befürworter der 13. AHV-Rente müssen jetzt rasch klären, wie stark die Lohnabgaben und allenfalls die Mehrwertsteuer erhöht werden müssen. Denn die Initiative tritt 2026 in Kraft. Bereits 2027 folgen die Milliardendefizite. Nur wenn die politischen Lager kompromissbereit handeln, lässt sich die Finanzierung unseres wichtigsten Sozialwerks nachhaltig sichern. Mit Blick auf die erbitterten Kämpfe in der Vergangenheit ist allerdings ein gewisser Pessimismus angezeigt. 

In einem zweiten Schritt muss der Bundesrat bis Ende 2026 ohnehin eine AHV-Stabilisierungsvorlage für die Zeit nach 2030 vorlegen. Allfällige Versuchungen, die Finanzierung der 13. Rente hier zu integrieren, gilt es zu unterbinden – das würde die Vorlage überladen und wäre mit Blick auf die drohende Unterfinanzierung fahrlässig. 

Historische Bedeutung

Die heutigen Abstimmungsergebnisse weisen der künftigen AHV-Finanzierung eindeutig den Weg: Trotz des starken demografischen Drucks sind einseitige Reformen nicht mehrheitsfähig. Eine Rentenaltererhöhung muss zum Beispiel mit der Anhebung der tiefsten Renten kombiniert werden. 

Die Bedeutung dieses historischen Abstimmungssonntags kann gar nicht überschätzt werden. Er setzt ein Fanal für die weiteren Urnengänge dieses Jahres. Bereits im Juni steht die Prämienentlastungsinitiative an, deren Promotoren sich nun berechtigte Hoffnungen machen dürfen. Mit dem SP-Begehren sollen die Prämien auf 10 Prozent der Haushaltsbudgets begrenzt werden. Auch hier gibt es einen unzureichenden Gegenvorschlag, und auch diese Initiative bringt hohe Kosten mit sich. Es ist aber gut möglich, dass nach dem AHV-Ja Erwerbstätige und jüngere Familien argumentieren werden: Jetzt sind auch wir einmal dran. Mit anderen Worten: Die grosse Umverteilungsdebatte ist nicht vorbei – sie fängt gerade erst an.