Kommentar zum Asylstreit in ItalienMeloni und Salvini leiden an einem Demokratiedefizit
Italiens rechtspopulistische Regierungschefin und ihr Vize haben das Prinzip der Gewaltenteilung nicht verstanden. Das zeigt ihre Reaktion auf die Arbeit der italienischen Gerichte.

Wenn das nur nicht alles so an die USA erinnern würde: ein krawalliger, populistischer Spitzenpolitiker, der sich vor Gericht wegen sehr konkreter Taten verantworten muss und dem eine langjährige Haftstrafe droht. Anhänger, die während der Verhandlung draussen auf der Strasse seinen Namen skandieren, um Druck aufzubauen. Aber es geht hier nicht um Donald Trump, sondern um Matteo Salvini, den Vizeregierungschef von Italien, dem sein früheres brachiales Vorgehen als Innenminister gegen private Seenotretter zum Verhängnis werden könnte.
Salvini hatte im Jahr 2019 das spanische Rettungsschiff Open Arms tagelang davon abgehalten, im Mittelmeer aus Seenot gerettete Migranten an Land zu bringen. Das ist nach Ansicht der Anklage Freiheitsberaubung, sie plädiert auf sechs Jahre Haft. Am Freitag forderte Salvinis Verteidigerin einen Freispruch, und der Minister selbst liess vor dem Gericht seine Anhänger aufmarschieren, auch sämtliche Minister der von ihm geführten rechtspopulistischen Lega mussten antreten.
Lob für Melonis Asylpolitik beim EU-Gipfel
Für Salvini ist die Sache klar: Linke Richter («Kommunisten») machen Politik, indem sie sich der vom Volk gewählten rechten Regierung in den Weg stellen, ein Machtkampf. Und er sieht sich in dieser Einschätzung durch das Urteil des für Einwanderung zuständigen Gerichts in Rom bestätigt, das gerade der Regierung von Salvini und seiner Ministerpräsidentin Giorgia Meloni einen zentralen Pfeiler ihrer Migrationspolitik weggeschlagen hat. Für viele Millionen Euro hatte Italien als erstes EU-Land Flüchtlingslager in einem Drittstaat bauen lassen, um irreguläre Migranten gar nicht erst auf italienischen Boden vorzulassen.
Auf dem EU-Gipfel hatte Meloni dafür Interesse und sogar Lob eingeheimst, fast stand sie bereits als Vordenkerin einer neuen Asylpolitik da. Das römische Gericht hat dies mit sofortiger Wirkung gestoppt, die Lager in Albanien sind wieder leer – eine grenzenlose politische Blamage für Meloni. Jetzt ist sie empört und spricht der Justiz das Recht ab, «darüber zu entscheiden, welche Länder sicher sind», für diese Aufgabe sei sie vom Volk beauftragt worden.
Die Reaktionen von Meloni und Salvini offenbaren ein gefährliches Unverständnis betreffend die Rolle der Gewaltenteilung, die Grundprinzip eines Rechtsstaats ist: Natürlich regiert die Exekutive, aber die Judikative überwacht die Einhaltung der Gesetze. Das können italienische Gesetze und Urteile sein und europäische.
Regierung will durch alle Instanzen klagen
So beruft sich das Gericht in Rom auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 4. Oktober 2024, wonach ein EU-Mitglied ein Herkunftsland nur dann als sicher einstufen und abgewiesene Asylbewerber dorthin abschieben kann, wenn die Bedingungen dafür im gesamten Hoheitsgebiet des Landes erfüllt sind. In Ägypten und Bangladesh, den Herkunftsländern der Betroffenen, ist das nicht der Fall. Damit hätten die Betroffenen das Recht, sich frei in Italien zu bewegen. Meloni darf eine andere Rechtsauffassung haben, sie will jetzt durch alle Instanzen prozessieren. Als besonnene Politikerin hätte sie das besser vorher geklärt.
Schon gar nicht sollte sie jetzt Richtern drohen oder gar eine Entmachtung der Justiz ankündigen, so wie das manche ihrer Anhänger tun. Italien, wo ein Drittel der Wähler bis weit in die Mitte der Gesellschaft der aus dem Postfaschismus kommenden, aber meist pragmatisch agierenden Meloni die Treue halten, hat ein feines Gespür dafür, wann Politiker überziehen. Dann wenden sich die Vernünftigen schnell ab.
Fehler gefunden?Jetzt melden.