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Meinung

Gastbeitrag zur Klimaerwärmung
Die Schweizer Klima­politik und der Tod meiner Mutter

Die Klimaseniorinnen posieren fuer ein Protestfoto, damit die Parlamentarier das Recht respektieren nach der Generalversammlung der Klimarserniorinnen in Bern am Dienstag, 4. Juni 2024. (KEYSTONE/Gaetan Bally)
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Ruth sass schwer atmend in ihrer kleinen Wohnung. Nur schon aufzustehen und sich ein Glas Wasser zu holen, schien ihr zu viel. Meine hochbetagte Mutter war immer rüstig gewesen, aber in den ersten heissen Tagen im Mai 2021 traf sie der Schlag. Wenige Wochen später war sie tot.

Ruth hätte sich gefreut über das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Strassburg, wonach die Schweiz zu wenig im Kampf gegen die Klimaerwärmung unternimmt. Ruth war nämlich die erste vom Gericht als Einzelperson akzeptierte Klägerin gegen die ungenügende Schweizer Klimapolitik. Das Gericht hat ihre Einzelklage abgewiesen, aber die Klage des Vereins Klimaseniorinnen wurde gutgeheissen.

Schon vor dem Urteil in Strassburg wurden Klimaseniorinnen verspottet und als vertrottelte, manipulierte Greisinnen dargestellt. Jetzt zeigt die Schweizer Politik bis hinauf zum Bundesrat grösste Mühe, die Gewaltenteilung zu akzeptieren.

Hitzebedingte Übersterblichkeit in Europa

Die Grundlagen unseres Lebens fallen nicht in die ausschliessliche Kompetenz der Politik. Der Menschenrechtsgerichtshof hat erneut grundsätzlich geklärt, wie grundlegende Rechte vor Gerichten eingeklagt werden können.

Hätte ich meiner Mutter in den ersten heissen Tagen im Mai Blut abnehmen sollen, um ihre Austrocknung zu beweisen? Die Hitze als Ursache ihres erst einige Wochen später eingetretenen Todes wäre schwierig nachzuweisen gewesen. Eine individuelle Beweisführung bis zur Schuld der Schweizer Behörden am Tod meiner Mutter war nicht möglich. Aber der statistische Nachweis der hitzebedingten Übersterblichkeit wird in Europa und gerade auch in der Schweiz leider immer besser gelingen.

Als meine Mutter noch ein Kind war, sogar noch ein Teenager, war das Menschenrecht für unseresgleichen auch in der Schweiz nur beschränkt garantiert. Menschenrechte wurden in Europa erst 1953 und werden noch zögerlicher weltweit anerkannt. Die Schweiz hat die europäische Konvention erst 1974 unterschrieben. Erst 1991 wurden die Menschenrechte von Frauen aufgrund ausländischen juristischen Drucks und durch Bundesgerichtsurteil schweizweit durchgesetzt. Das Recht, die Rechtswirklichkeit und die Welt haben sich weiterentwickelt.

Auch in einer Demokratie sind weder das Volk noch Parlament oder Regierung zuverlässige Garanten der Menschenrechte. Im Leben meiner Mutter waren Gerichte und das Recht die letzten möglichen Mittel. Ruth musste sich die selbstgerechte Untätigkeit der Schweizer Politik nicht rechtlos gefallen lassen.

André Seidenberg ist Arzt und Autor in Zürich. Er ist der Sohn der verstorbenen Ruth Schaub, die als Kämpferin für eine griffige Klimapolitik bekannt wurde.