Begriffe zu Nachhaltigkeit«Klimaneutral» und «netto null» sind mit Vorsicht zu geniessen
Firmen geben vermehrt Versprechen ab, die das Gewissen der Konsumentinnen und Konsumenten beruhigen – zu Recht? Experten über den schmalen Grat zwischen Nachhaltigkeit und Greenwashing.
Praktisch jedes Unternehmen veröffentlicht heute einen Nachhaltigkeitsbericht. Begriffe wie «nachhaltig», «umweltbewusst» oder «klimaneutral» sind nicht mehr aus der Werbung wegzudenken. Produkte, Dienstleistungen oder ganze Unternehmen werden gerne mal als umweltfreundlich bezeichnet.
«Vom Schokoriegel bis zum T-Shirt gab es kaum ein Produkt, das dem Konsumenten nicht ein gutes Gewissen versprach», sagt Umweltforscher Rolf Wüstenhagen von der Universität St. Gallen. Die Credit Suisse habe sich schon 2006 als klimaneutrale Bank bezeichnet, gleichzeitig aber weiterhin Projekte für fossile Energien wie Öl und Gas finanziert.
Inzwischen sind sich aber mehr und mehr Unternehmen bewusst, dass man mit solchen Behauptungen sorgfältig sein muss. «Bricht man es auf eine einzige Dienstleistung oder ein Produkt herunter, kann man durchaus eruieren, ob etwas klimaneutral ist», sagt Ökologie-Professor Jürg Rohrer von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Für ein gesamtes Unternehmen ist es dagegen deutlich schwieriger, klimaneutral zu sein.
Gänzlich klimaneutrale Unternehmen gibt es laut Umweltforschern praktisch keine. Es gibt aber Firmen, die sich zu nachhaltigem Handeln verpflichtet haben und aktiv auf Klimaneutralität hinarbeiten, wie Wüstenhagen sagt: «Der englische Fussballclub Forest Green Rovers zum Beispiel: Von der veganen Stadionverpflegung über den Solar-Rasenmäher bis zur flugfreien Anreise zu Auswärtsspielen hat man dort die Idee von Klimaneutralität sehr konsequent umgesetzt.»
Patagonia und Tesla auf gutem Weg
Paolo Gabrielli, Umweltforscher von der ETH Zürich, nennt den Outdoorkleider-Hersteller Patagonia als Vorzeigekandidaten: «Sie haben Massnahmen zur Reduzierung ihres CO₂-Fussabdrucks umgesetzt, wie die Verwendung von recycelten Materialien, die Förderung von Reparatur und Wiederverwendung von Produkten sowie Investitionen in erneuerbare Energieprojekte.» Einen Teil ihres Umsatzes spende die Firma Patagonia für Umweltzwecke.
Zudem weist auch Tesla eine gute Öko-Bilanz auf: Ihre Fahrzeuge seien darauf ausgelegt, emissionsfrei zu sein. In den Produktionsstätten werden bereits nachhaltige Praktiken umgesetzt. «Ich glaube zwar nicht, dass sie bereits vollständig klimaneutral sind, aber sie gehen in die richtige Richtung», so Gabrielli.
Unterschied zwischen «klimaneutral» und «netto null»
«Klimaneutralität zu erreichen, ist sehr schwierig», sagt ZHAW-Ökologe Rohrer. Laut der Definition des Weltklimarates bedeutet Klimaneutralität, dass es unter dem Strich keinen Einfluss auf das Klima hat. «Das ist natürlich etwas anderes als netto null, womit gemeint ist, dass wenn ein Unternehmen Emissionen verursacht, es diese zu einem anderen Zeitpunkt und an einem anderen Ort wieder kompensiert.» Hierbei stelle sich natürlich die Frage, in welcher Zeitspanne ein Konzern diese Emissionen kompensiere.
Die Begriffe «Klimaneutralität» und «netto null» werden oft als Synonym verwendet, obwohl sie eine andere Bedeutung haben. Sogar der Bund hatte bei der Abstimmung zum Klima- und Innovationsgesetz den Begriff «klimaneutral» verwendet, obwohl konkret eigentlich «netto null» gemeint war.
Wird ein Produkt als «klimaneutral» angepriesen, wirkt das auf den ersten Blick möglicherweise verlockend. Doch eigentlich sei der Begriff für Konsumentinnen und Kunden verwirrend, findet Rohrer. «Viele denken, dass, wenn sie solche Produkte kaufen, sie das Klima nicht schädigen.»
Klima-Labels unter Druck
Geht es um Klimakompensationen, gibt es einen regelrechten Dschungel von verschiedenen Labels, der sehr intransparent ist. Bereits 2020 ergab eine Studie der EU-Kommission, dass über die Hälfte der überprüften Umweltaussagen wie «CO₂-neutral» als vage, irreführend und unfundiert zu beurteilen sind.
Jüngst zeigte sich das auch am Beispiel des Weltmarktführers für freiwillige CO₂-Kompensationen: South Pole geriet in Verruf, da sie bei einem Waldschutzprojekt in Zimbabwe viel weniger CO₂ eingespart haben soll, als sie ursprünglich behauptete. Die Firma mit Sitz in Zürich bestreitet die Kritik an dem Projekt. Sie hat vor kurzem ein neues Klima-Label namens «Funding Climate Action» lanciert*.
Klimaschutzunternehmen wie Climate Partner Switzerland oder die Organisation Myclimate haben ihre «Klimaneutral»-Labels bereits beerdigt, wie diese Zeitung berichtete. Auf die Begriffe «Klimaneutralität» und «Kompensation» wird nun verzichtet. Anstatt «klimaneutral» wurde dafür bei Myclimate ein neues Label mit dem Claim «Wirkt. Nachhaltig» ins Leben gerufen.
Kompensieren als letzte Massnahme
Wenn eine Firma klimaneutral werden möchte, müsse sie als Erstes versuchen, im eigenen Hause Emissionen zu vermeiden, sagt Jürg Rohrer. «An zweiter Stelle sollten die restlichen Emissionen reduziert werden. Und erst an dritter Stelle sollten CO₂-Kompensationen stehen.»
Handelt es sich bei den Kompensationsversprechen also um reines Greenwashing der Konzerne? «Kompensationen sind besser als nichts», so der ZHAW-Dozent. «Aber es sollte der letzte Schritt sein für das, was man im Moment noch nicht ändern kann. In der eigenen Wertschöpfungskette lässt sich in der Regel viel optimieren.»
* Dieser Abschnitt wurde am 7. Juli 2023 nachträglich angepasst. South Pole bestreitet die Kritik an dem Kariba-Projekt. Die Meldungen seien teils irreführend oder schlicht falsch.
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