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Meinung

Replik zum Klima-Urteil
Wir müssen den Aktivismus der Richter bremsen

Mitglieder der Klimaseniorinnen verfolgen von der Tribuene der Zuschauenden aus die Debatte um das Urteil des Europaeischen Gerichtshofs fuer Menschenrechte, EGMR in Sachen KlimaSeniorinnen Schweiz vs Schweiz, an der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Mittwoch, 12. Juni 2024 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)
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Der von mir geschätzte Grundrechtsexperte Jörg Paul Müller kritisierte jüngst an dieser Stelle den Ständerat (und implizit auch den Nationalrat). Wir hätten zum einen nicht verstanden, wie fundiert das Klimaurteil sei. Zum andern hätten wir uns mit unserer Erklärung zu Unrecht in die Belange der Judikative eingemischt. Dem sei Folgendes entgegnet:

Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ist äusserst wertvoll. Aber mit seinem Klima-Urteil hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) seinen Auftrag, wie er durch die Menschenrechtskonvention vorgegeben ist, massiv überschritten. Erstens hat der EGMR in die Konvention einen Anspruch auf Klimaschutzmassnahmen hineingelesen, der dort nirgends steht. Die bisherige Rechtsprechung zu Umweltschäden ging von konkreten lokalen Störungen aus, nicht von globalen Problemen. Die Vertragsstaaten hatten einen solchen Anspruch in der Vergangenheit sogar ausdrücklich abgelehnt.

Zweitens hat der EGMR eine Verbandsklage für Nichtbetroffene zugelassen – in direktem Widerspruch zur Konvention. Die Rechtfertigung von Professor Müller: Das sei zwar «kühn», aber immerhin habe man so den Klimaseniorinnen den «Zugang zum Gericht ermöglicht». Bei allem Respekt: Dieser Gedanke ist seinerseits «kühn» beziehungsweise vom gewünschten Resultat her argumentiert. Mit einer solchen Begründung müssten weltweit alle Gerichte alle Personen zu allen Verfahren zulassen. Dies ist aber genau nicht die Idee der EMRK, die ausdrücklich nur individuell konkret betroffene Kläger hören will. Der EGMR selber hat festgestellt, dass die einzelnen Klimaseniorinnen für eine Klage zu wenig betroffen seien. Das muss umso mehr für ihren Verband gelten.

Das Urteil ist also unter vielen Titeln falsch. Muss man es dennoch befolgen? Unbedingt, das gebietet der Rechtsstaat. Niemand im Ständerat hat etwas anderes behauptet. Wir haben einzig festgestellt, dass man dem Urteil aus unserer Sicht «keine weitere [= zusätzliche] Folge» geben muss, da das Urteil aufgrund der jüngsten klimapolitischen Arbeiten der Schweiz schon erfüllt ist. Der EGMR schloss nämlich am 14. Februar 2024 seine Akten, die Schweiz aber nahm daraufhin im März das neue CO₂-Gesetz an und im Juni an der Urne sogar noch den Mantelerlass.

Professor Müller spricht nun dem Parlament das Recht ab, seine Meinung dergestalt kundzutun. Dabei bewegen wir uns in den vorgesehenen Pfaden: Der Bundesrat muss dem Ministerkomitee des Europarats ja melden, was die Schweiz zur Umsetzung des Urteils unternimmt. Die Bundesversammlung – neben Volk und Ständen immerhin oberstes Staatsorgan – hat ihm hierzu einzig seine rechtlich unverbindliche Einschätzung mitgegeben.

In Zukunft jedoch sollte sich die Schweiz gegen eine derart «kühne» Auslegung der EMRK verwehren. Ich habe zu diesem Zweck im Parlament zwei Vorstösse eingereicht. Zum einen fordere ich per Motion, dass der Bundesrat sich für ein neues Zusatzprotokoll zur EMRK einsetzt, das dem grassierenden Aktivismus der Richter engere Grenzen setzt. So kann sich der EGMR besser auf seine – wichtigen – Kernaufgaben konzentrieren.

Zum andern schlage ich vor, dass das Parlament künftig die Schweizer Vertretung am EGMR vorschlägt und nicht der Bundesrat. Es ist ja auch das Parlament, nicht der Bundesrat, der die Richter am Bundesgericht aussucht. Wieso soll es bei der Vertretung am EGMR anders sein? So viel Mitsprache gesteht hoffentlich auch Professor Müller unserer Bundesversammlung zu.

Andrea Caroni ist FDP-Ständerat aus Appenzell Ausserrhoden und promovierter Jurist.