Künstliche IntelligenzFür einmal riskiert Elon Musk abgehängt zu werden
Mit dem Chatbot Grok steigt Musk erst spät in die Entwicklung von künstlicher Intelligenz ein. Um den Rückstand auf Google und Co. aufzuholen, sucht er händeringend nach Investoren.
Der Chef von Tesla und Spacex und Eigentümer der X-Plattform befindet sich in einer ungewohnten Position. Für einmal ist er nicht der unternehmerische Pionier, sondern startet spät in die derzeit heisseste technologische Entwicklung. Obwohl Musk 2015 einer der Mitbegründer von Open AI, der Firma hinter Chat-GPT, war, liegt er mit seinen Projekten für Anwendungen der künstlichen Intelligenz klar hinter Konkurrenten wie Google, Microsoft oder IBM zurück.
Einen Tag bevor Google die neueste Version der KI-Plattform Bard vorstellen konnte, legte Musk Pläne für die Finanzierung seiner KI-Pläne vor. X.ai heisst sein Projekt. Eine Milliarde Dollar will er für die Entwicklung beschaffen und so die weit grösseren und stärker finanzierten Produkte von Google, Microsoft, IBM, Amazon und Open AI konkurrenzieren.
Besser als Chat-GPT?
Vier Investoren haben gemäss den Börsenunterlagen bisher 135 Millionen Dollar zugesichert, doch sagte Musk am Mittwoch, dass «derzeit» keine Mittel mehr beschafft werden müssten. Das deutet darauf hin, dass er den vollen Betrag bereits beschafft hat.
Das ist keine Überraschung. Eine Investition in X.ai ergibt mehr Sinn als eine Investition in X (Twitter) selber. Die Zukunft von X ist höchst ungewiss. X hat seit der Übernahme durch Musk mehr als die Hälfte an Wert verloren, und immer mehr prominente Werbetreibende verlassen die Plattform. KI dagegen ist eine boomende Technologie, in die bereits Milliardensummen fliessen.
In diesem Zusammenhang verspricht sich Musk von der Investition in X.ai offensichtlich eine günstige Nebenwirkung. Er verfügt mit dem Kundenstamm von Twitter nicht nur über einen tiefen Datenschatz; dieser Datenschatz ist auch hochaktuell und kann zeitgerecht ausgewertet werden. Chat-GPT dagegen stützt sich auf öffentlich zugängliche und nicht topaktuelle Daten ab.
Zwar gibt es eine kostenlose Version von Chat-GPT, aber sie liefert im Quervergleich weniger gute Resultate als Grok, wie Musk seine Chatbot-Version nennt. Das Grok-Team geniesst zudem ein hohes Ansehen, da die meisten Ingenieure bei Deep Mind, dem KI-Forschungslabor von Google, abgeworben wurden.
Zugriff nur für Twitter-Kunden
Musk wurde 2018 wegen Streitigkeiten über die Vor- und Nachteile der künstlichen Intelligenz und persönlichen Animositäten mit Mitbegründer Sam Altman bei Open AI ausgebootet. Seither warnte Musk immer wieder vor dem Risiko, dass Anwendungen der künstlichen Intelligenz zu mächtig werden und die Menschheit auslöschen könnten. Wenn er dennoch ins KI-Wettrüsten einsteigt, verfolgt er wohl weniger finanzielle als strategische Ziele.
Sein Ziel sei, eine «Everything App» zu entwickeln, eine Anwendung also, die querbeet alle Lebensbereiche erfasst. Dazu sollen aktuelle Daten von Twitter und Tesla ausgewertet werden. Grok sei deshalb bereits besser als die Gratisversion von Chat-GPT, sagt Musk.
Grok ist allerdings nicht kostenlos. Zugriff haben nur Twitter-Kunden, die monatlich 16 Dollar zahlen. Die vergleichbare Chat-GPT-Version kostet 20 Dollar pro Monat. Dafür winkt den Twitter-Nutzern ein finanzieller Anreiz: Sie sollen 25 Prozent von Grok kontrollieren.
Musks Lancierung eigener KI-Projekte erscheint im Vergleich zu Unternehmen wie Google, IBM und Microsoft, die seit Jahren in die Technologie investieren, relativ spät. Allerdings kennt kaum ein anderer die Technik besser als er. Er beschäftigt sich seit 2011 mit KI und investierte 2015 in Open AI, als die Technologie noch weitgehend ungenutztes Potenzial hatte. Musks Einstieg ist der Versuch, KI in seine bestehenden Unternehmen zu integrieren und die Spitzenposition in der Raumfahrt (Spacex), bei Elektrofahrzeugen (Tesla) und bei Gehirn-Computer-Schnittstellen (Neuralink) zu festigen. Auch entwickelt sich KI so rasant, dass selbst Spätstarter wie Musk Erfolg haben können.
Dafür sind ihm viele Mittel recht. Grok soll auch anzügliche Fragen beantworten, die von anderen Plattformen umgangen werden. Auch sollen Ironie und Humor in die Antworten einfliessen und der auf anderen Plattformen grassierende «Woke-Virus» ausgelöscht werden. Mit anderen Worten: Grok ist als Spiegelbild des unberechenbaren und politisch unkorrekten Gründers geplant. Musk hofft offensichtlich, dass er damit einen Nerv in einem Land trifft, das vor einem hoch nervösen und polarisierenden Wahljahr steht.
Wen Musk wählen wird, ist unklar. Sicherlich nicht Joe Binden, sagte er kürzlich, wahrscheinlich auch nicht Trump. «Ich sage nicht, dass ich Trump wählen werde.» Musk hatte 2008 für Barack Obama gestimmt, sich aber seither politisch klar nach rechts bewegt.
Google legt einen Zacken zu
Das Rennen um die beste KI-Position geht inzwischen bereits in die nächste Runde. Google stellte am Mittwoch eine neue Version des KI-Chatbots Gemini in der Hoffnung vor, den Vorsprung von Microsoft und Chat-GPT wettmachen zu können. Die Börse zeigt sich allerdings völlig unbeeindruckt von Gemini, nachdem Google den Chatbot lediglich online vorstellen konnte und eine Reihe von öffentlichen Anlässen abgesagt hatte.
Mit Gemini will Google alle KI-Angebote für Texte, Fotos, Video und Audio in einer einzigen Anwendung zusammenfassen. Gemini soll komplexe mathematische oder physikalische Fragen lösen und auch fehlerhafte Lösungen erkennen und analysieren.
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