Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen
Meinung

Analyse zur Stromversorgung
Keine Panik! Wir haben es (noch) in der Hand

Solaranlage auf dem Dach des Hallenbads Buchholz in Uster.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Droht ein Blackout? In der Schweiz ist eine Kontroverse um die Versorgungssicherheit entbrannt. Ausgelöst hat sie eine neue Studie aus dem Departement von Simonetta Sommaruga, die vor möglichen Strommangellagen ab 2025 warnt. Fast zeitgleich hat Wirtschaftsminister Guy Parmelin die Unternehmen aufgerufen, sich auf solche Situationen vorzubereiten. Die Schweiz, so könnte man meinen, schlittert in die nächste schwere Krise, noch ehe sie die Pandemie überwunden hat.

Man hätte sich diese Debatte früher gewünscht – bevor der Bundesrat diesen Frühling die Verhandlungen mit der EU über ein Rahmenabkommen abgebrochen hat. Denn ohne Rahmenabkommen gibt es kein Stromabkommen. Es drohen Importbeschränkungen, wenn ab 2025 unsere Nachbarländer mindestens 70 Prozent der grenzüberschreitenden Stromkapazitäten für den Handel zwischen den EU-Mitgliedsstaaten reservieren müssen.

Doch um das Stromabkommen ist es trotz seiner Bedeutung politisch seltsam still geblieben. Zu gross waren die Vorbehalte gegenüber dem Rahmenabkommen, zu gross gegenüber der von der EU geforderten vollständigen Strommarktliberalisierung.

Das ungeregelte Verhältnis der Schweiz mit der EU kann ans Existenzielle gehen.

Das rächt sich jetzt. Und erklärt ein Stück weit die Angst vor einer unsicheren Stromzukunft: Das ungeregelte Verhältnis der Schweiz zur EU kann mehr als Kollateralschäden verursachen – es kann ans Existenzielle gehen. Der Bund stuft eine Strommangellage neben der Pandemie als grösste Gefahr für die Versorgung ein. Die wirtschaftlichen Folgen eines Blackouts können bis zu vier Milliarden Franken kosten. Pro Tag. Die Erkenntnis ist nicht neu. Neu ist hingegen, dass sie ernst genommen wird.

Die Schweiz ist physisch stark ins europäische Verbundnetz integriert, Stromimporte sind ausreichend verfügbar: Unter dieser Prämisse ist nach Fukushima die Energiestrategie 2050 entstanden – die Idee vom Atomausstieg bei gleichzeitigem Ausbau der erneuerbaren Energien. Doch die Lage hat sich seither verändert. Nicht nur wegen der neuen 70-Prozent-Regel der EU. Alle Länder stehen vor der gewaltigen Aufgabe, CO2-neutral zu werden. Künftig brauchen wir mehr Strom: Verkehr und Gebäude werden elektrifiziert, fossile Kraftwerke abgestellt.

Energieministerin Sommaruga will mit der EU «vernünftige Lösungen» suchen. Das klingt nur nach vager Hoffnung. Immerhin versucht die Netzbetreiberin Swissgrid, technische Vereinbarungen zur Netzstabilisierung abzuschliessen – mehr als eine Übergangslösung ist das aber nicht.

Der Bundesrat hat die Option Gaskraft vernachlässigt.

Kurzfristig ist es sinnvoll, wie von Sommaruga geplant, ein Pflichtlager für Strom aus der Wasserkraft zu schaffen, um mögliche Engpässe im Winter zu überbrücken. Darüber hinaus muss der Bundesrat aber die Energiestrategie 2050 überprüfen, die stark auf Stromimporte im Winter setzt. Wissenschaftliche Studien zeigen: Je grösser die Palette verschiedener Energiequellen wie Solar, Wind, Biogas und Geothermie ist, desto weniger Importe sind nötig. Auch die eben veröffentlichten Pläne der Axpo gehen in diese Richtung. Der Energieproduzent will jedoch ab 2040, wenn vermutlich die letzten Atomkraftwerke vom Netz gehen, auch auf Gaskraft setzen.

Diese Option ist ein Element der Energiestrategie 2050, trotzdem hat sie der Bundesrat unter Federführung von Doris Leuthard jahrelang vernachlässigt. Erst jetzt arbeiten die Behörden ein Konzept aus. Auch Simonetta Sommaruga, seit 2019 Energieministerin, hat lange gezögert, wohl nicht zuletzt, weil mit der Abstimmung über das CO2-Gesetz eine klimapolitische Weichenstellung bevorstand. Gaskombikraftwerke produzieren CO2, doch liessen sie sich heute – wenn auch teuer – klimaschonend betreiben. Als Back-up, wenn im Winter tatsächlich Strommangel herrschen sollte, wären diese Kraftwerke eine beruhigende Versicherung.

Die unbeliebte Option Gaskraft wird länger je mehr unausweichlich, solange wir mit dem Ausbau der inländischen erneuerbaren Stromversorgung zuwarten. Es braucht nun einen grossen Effort. Der Ruf nach Kernkraftwerken der neuen Generation, die sicherer sind, hilft uns wenig. Deren Bauzeit dürfte in der Schweiz wegen Einsprachen mindestens 15 Jahre dauern. Zudem wird sich kein Investor derzeit in das Kernkraft-Abenteuer einlassen.

Es geht um ein Jahrhundertwerk wie vor hundert Jahren die Wasserkraft.

Wir müssen deshalb politisch alles daran setzen, dass die dezentrale Energieversorgung in der Schweiz so schnell wie möglich Wirklichkeit wird. Die Politik muss dafür ein Prämiensystem und verkürzte Beschwerdewege einführen, damit die inländischen Stromproduzenten nicht mehr im Ausland, sondern im Inland ihre Solar- und Windanlagen bauen. Hauseigentümer sollten mit entsprechender finanzieller Unterstützung überzeugt werden, als stolzer Besitzer einer Fotovoltaikanlage einen Teil für die Sicherheit der Schweizer Energieversorgung beizutragen.

Das mag nun sehr pathetisch klingen. Aber schliesslich geht es hier um ein Jahrhundertwerk wie vor mehr als hundert Jahren die Wasserkraft.