Riesige GewinneKaum Zahlen zur Rohstoffbranche in der Schweiz – was steckt dahinter?
Für die hiesige Wirtschaft werden Glencore und Co. immer bedeutender. Wie stark, ist unklar, der Bund erhebt keine Daten. Mit ein Grund: Die Behörden schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu.
Glencore, Vitol oder Louis Dreyfus heissen die Firmen, die aus der Schweiz heraus die Welt mit Öl, Kohle, Kupfer oder Getreide versorgen. Sie machen die Schweiz zu einer bedeutenden Drehscheibe im internationalen Rohstoffhandel. Aber wie wichtig sind sie eigentlich?
Seit Jahren heisst es, dass in Genf, Zug und im Tessin rund 900 Öl-, Agrar- oder Metallhändler mit rund 10’000 Angestellten tätig sind. Rund die Hälfte des weltweit gehandelten Kaffees, des globalen Palmölverbrauchs und ein Drittel des gehandelten Kakaos soll über die Schweiz laufen.
Darüber hinaus gibt es erstaunlich wenig Angaben. Zwar hat der Bundesrat vor einem Jahr entschieden, dass er die Branche genauer unter die Lupe nehmen will. «Das Ziel ist eine verlässliche und über die Zeit vergleichbare Datengrundlage zum Schweizer Rohstoffhandel», so der Bund damals. Mehrere Departemente haben den Auftrag gefasst, verlässliche Daten zu erheben. Seither ist aber wenig passiert.
Grosse Gewinne, grosse Risiken
Das zeigt der am Mittwoch publizierte Rohstoffbericht des Bundesrates. Darin steht: «Durch die führende Rolle des Schweizer Rohstoffhandels besteht ein stark wachsendes öffentliches Interesse an der Bedeutung und den Tätigkeiten der Schweizer Rohstoffhändler.» Der Grund dafür ist klar; diese Geschäfte bringen beträchtliche Risiken mit sich, die Politik kann aber ohne Daten keine fundierten Entscheide fällen.
Dabei wäre das wichtig. Denn: «Der Rohstoffsektor sieht sich auch weiterhin mit grossen Herausforderungen konfrontiert, unter anderem in den Bereichen Menschenrechte, Korruption und Umwelt.»
«Die Schweiz ist nicht gewillt, den Hochrisikosektor Rohstoffhandel endlich angemessen zu beaufsichtigen.»
Die Nichtregierungsorganisation Public Eye kritisiert, dass der Bund weiterhin kaum Daten zur Branche hat. «Dieser Blindflug zeigt, dass weder Bundesrat noch Parlament gewillt sind, den Hochrisikosektor Rohstoffhandel endlich angemessen zu beaufsichtigen. Angesichts der wachsenden wirtschaftlichen Bedeutung des Sektors ist dies ebenso unverständlich wie gefährlich.»
Durch den Krieg in der Ukraine sei der Bedarf an Informationen weiter gestiegen, heisst es im Bericht. Der Konflikt hat zu Verwerfungen an den Rohstoffmärkten geführt – von den Preisschocks haben die Schweizer Rohstoffhändler wiederum profitiert.
Dass der Bund hier einen blinden Fleck hat, räumt er im Rohstoffbericht ein: «Insbesondere das Bedürfnis nach verlässlichen Daten über die von Schweizer Rohstoffhändlern generierte Wertschöpfung und die durch sie initiierten Handelsströme kann derzeit nicht befriedigt werden.»
Branche floriert, Ämter zögern
Klar ist, dass es den Aushängeschildern der Branche derzeit blendend geht. Der Rohstoffkonzern Glencore vermeldete jüngst einen Rekordgewinn von 17 Milliarden Dollar, mehr als das Dreifache des Vorjahres. Der Rohstoffhändler Trafigura verdoppelte den Gewinn auf 7 Milliarden Dollar. Der Ölhändler Vitol hat laut Reuters in den ersten sechs Monaten des letzten Geschäftsjahrs rund 4,5 Milliarden Dollar verdient.
Doch warum ist die Schweiz weiterhin im Blindflug?
Dafür schieben sich die zuständigen Ämter gegenseitig die Verantwortung zu. So verfügt das Bundesamt für Statistik über viele Daten zu zahlreichen Aspekten der Schweiz – beim Rohstoffhandel sind es aber offenbar nur wenige. Zu wenig, teilt das Amt mit. Es müsste erst selber Daten erheben. «Wir haben verschiedene Optionen versuchsweise geprüft. Die Verwaltungsdaten scheinen nicht auszureichen, um eine Antwort zu geben. Daher wäre eine direkte Befragung der Akteure erforderlich», so ein Sprecher.
Doch das würde kosten, und diese Kosten müssten von der zuständigen Amtsstelle getragen werden, so das Bundesamt für Statistik. Das ist in diesem Fall das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF).
«Die Frage der Kosten ist wichtig, insbesondere in Zeiten knapper Haushaltsmittel.»
Das Amt nimmt dazu nicht selbst Stellung, sondern lässt das Staatssekretariat für Wirtschaft antworten. «Verschiedene Vorschläge über den Umfang einer Datenerhebung und deren Finanzierung werden derzeit diskutiert.» Der Bundesrat werde dann darüber entscheiden.
Wo sollen die Kosten dafür anfallen? Beim zuständigen WBF oder beim Departement des Inneren, zu dem das Bundesamt für Statistik gehört? «Die Frage der Kosten ist wichtig, insbesondere in Zeiten knapper Haushaltsmittel», so der Seco-Sprecher. Auch darüber habe der Bundesrat zu entscheiden.
2025 gibt es frühestens Daten
Unabhängig davon, für welches Vorgehen sich der Bundesrat entscheidet, werde das Bundesamt für Statistik, das nationale Kompetenzzentrum für den Rohstoffhandel, für die Erhebung statistischer Daten über den Rohstoffhandel zuständig sein, so das Seco.
Schon jetzt sei aber klar, dass einige Erwartungen nicht erfüllt werden können, etwa an die Aktualität der Daten. «Denn wie bei anderen Statistiken auch benötigt die Erhebung von Daten und ihre Veröffentlichung Zeit – bis zu 20 Monate», so ein Seco-Sprecher.
Wenn der Bundesrat jetzt einen Entscheid fällen würde, lägen also frühestens 2025 Daten vor.
Schnelle Abhilfe ist also nicht in Sicht, bis dahin bleiben nur Schätzungen. Etwa diejenige der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF), über die diese Zeitung berichtete. Laut ihr macht der Transithandel bereits 8,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) der Schweiz aus. Vor zwanzig Jahren war es noch weniger als 1 Prozent des BIP.
Das entspricht einer Verdoppelung in zehn Jahren. Zum Vergleich: Das ist rund dreimal so viel wie der gesamte Tourismus mit seinen rund 160’000 Beschäftigten und fast so viel wie die Banken und Versicherungen zusammen.
Wobei man bei diesen beiden Branchen nicht derart im Dunkeln tappt.
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