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Kantonale Initiativen
Die Urheber der Konzern­verantwortung wittern eine zweite Chance

Vielerorts hängen die orangen Fahnen auch noch zweieinhalb Jahre nach der gescheiterten Konzernverantwortungsinitiative. In zwei Kantonen werden sie nun wieder aktuell.
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Es war einer der wohl emotionalsten Abstimmungskämpfe der letzten Jahre: Jene zur Konzernverantwortungsinitiative im Jahr 2020. Zwar stimmten 50,7 Prozent dafür, dass grosse Unternehmen die Menschen- und Umweltrechte verpflichtend wahren müssen. Doch die Initiative scheiterte am Ständemehr.

Noch heute flattern die orangen Fahnen an vielen Balkongeländern. Und dürften schon bald wieder zahlreicher werden.

Denn die Koalition für Konzernverantwortung nimmt einen zweiten Anlauf. Was bislang nur als Idee diskutiert wurde, wird nun konkret: In Basel-Stadt und Genf werden diese Tage konkrete Volksinitiativen vorgestellt. Antrieb verleiht den Initiantinnen und Initianten die EU, die punkto Konzernverantwortung vorwärtsmacht.

Kein Klagerecht, dafür eine Aufsichtsstelle

Der neue Initiativtext, der dieser Zeitung exklusiv vorliegt und für beide kantonalen Initiativen identisch ist, stimmt inhaltlich grösstenteils mit dem alten überein: Ein Konzern soll Verantwortung für die eigene Lieferkette übernehmen. Die Wahl der Kantone ist kein Zufall, haben doch weltweit agierende Konzerne wie Roche, Novartis, Lonza oder Syngenta ihren Sitz in Basel-Stadt. Oder Rohstoffhändler Trafigura oder die weltweit grösste Reederei MSC in Genf.

Sie sollen dafür sorgen, dass bei ihren Geschäften Menschenrechte und Umweltstandards eingehalten werden. Neu soll auch explizit festgehalten werden, dass die Konzerne ihre CO2-Emissionen reduzieren müssen. Bei Verstössen soll der Konzern bestraft werden.

Allerdings sieht die kantonale Initiative kein Klagerecht mehr vor und damit keine Schadenersatzzahlungen an Betroffene. Neue Haftbestimmungen, die das Zivilrecht betreffen, können nämlich nur auf nationaler Ebene eingeführt werden. Auch die bei der nationalen Initiative sehr umstrittene Beweislastumkehr gibt es nicht. Dabei musste der beklagte Konzern und nicht die Klägerin nachweisen, seiner Sorgfaltspflicht Genüge getan zu haben.  

Am 1. Dezember 2022 marschierten Freiwillige mit über 200’000 Unterschriften für die Petition «für ein griffiges Konzernverantwortungsgesetz» vor das Bundeshaus – ein starkes Signal an Bundesrat und Parlament.

Doch auch ohne Klagerecht sollen Basler und Genfer Konzernen Sanktionen drohen können: Eine neu geschaffene, unabhängige Aufsichtsstelle soll möglichen Verletzungen nachgehen und Bussen verhängen können. «Es ist wichtig, dass Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden endlich sanktioniert werden. Eine unabhängige Aufsichtsstelle kann Verstösse untersuchen und Bussen aussprechen», sagt Oliver Heimgartner, Co-Geschäftsführer der Koalition für Konzernverantwortung.

EU drückt aufs Gas …

Der Bundesrat – vor allem Justizministerin Karin Keller-Sutter – hatte im Abstimmungskampf 2020 stets betont, die Schweiz wolle keinen Alleingang. Es brauche «international möglichst einheitliche» Bestimmungen, lautete das Argument.

Nun gerät der Bundesrat in Zugzwang: Brüssel steht kurz davor, den Konzernen eine weltweite Sorgfaltspflicht aufzuerlegen. Noch diesen Monat stimmt das EU-Parlament über seine Lieferketten-Richtlinie ab. Sie will Konzerne in der EU verbindlich dazu verpflichten, Menschenrechte einzuhalten, die Umwelt nicht zu zerstören und klimaschädliche Emissionen zu reduzieren.  

Bundesrätin Karin Keller-Sutter im Oktober 2020 an einer Medienkonferenz über die Konzernverantwortungsinitiative. Dem Bundesrat ging die Initiative zu weit.

«Wir rechnen mit einer Verabschiedung bis Anfang 2024», sagt eine Sprecherin des deutschen Bundesministeriums für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit auf Anfrage. Die EU-Richtlinie muss letztlich von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden, bevor sie Unternehmen betrifft. Das dürfte bis 2027 der Fall sein.

Was schon jetzt klar ist: «Europäische Unternehmen ab einer bestimmten Grösse werden künftig zivilrechtlich haften, wenn sie ihren Sorgfaltspflichten zur Achtung der Menschenrechte und Umweltstandards bei ihren weltweiten Zulieferern nicht nachkommen.» Gemäss der Sprecherin des Ministeriums sehen dies alle drei EU-Entwürfe vor. Sie gehen auch weiter als das schon bestehende deutsche Lieferkettensorgfaltspflichten-Gesetz. Dieses kennt keine neue zivilrechtliche Haftung, die über die bestehenden rechtlichen Vorgaben an Unternehmen hinausgeht.

Unternehmen haften allerdings nicht automatisch, wenn Zulieferer gegen Menschenrechte verstossen. Nur wenn den betroffenen Unternehmen nachgewiesen werden kann, dass sie gegen drohende oder vorhandene negative Auswirkungen auf Menschenrechte oder die Umwelt bei Zulieferfirmen nicht – oder nicht ausreichend – vorgegangen sind, drohen ihnen Konsequenzen.

Offen ist noch, ab welcher Firmengrösse die Richtlinie angewendet werden soll und wie weit sie in die Lieferkette reichen soll. Das heisst vor allem, inwieweit die sogenannte «nachgelagerte Wertschöpfungskette» erfasst werden soll. Beispielsweise, ob ein Smartphone oder T-Shirt nach Gebrauch richtig entsorgt wird und nicht auf einer Müllkippe in einem Entwicklungsland landet.

… doch der Bundesrat zögert

«Obwohl absehbar ist, dass auf EU-Ebene bis Anfang 2024 eine umfangreiche Richtlinie verabschiedet wird, entschied der Bundesrat im Dezember, das Thema Konzernverantwortung weiterhin auf die lange Bank zu schieben», ärgert sich Heimgartner. «Dabei hatte der Bundesrat im Abstimmungskampf über die Konzernverantwortungsinitiative versprochen, international abgestimmt vorzugehen.»

Der Bundesrat liess einen Bericht dazu erstellen, inwiefern in der Schweiz wegen der EU Anpassungsbedarf besteht. Zwar erkannte die Regierung im Dezember an, dass der EU-Vorschlag mit umfassenden Sorgfaltsprüfungspflichten für Konzerne weiter geht als der Schweizer Gegenvorschlag. Dieser trat 2022 in Kraft und verlangt im Wesentlichen, dass Konzerne Bericht über die Risiken ihrer Geschäftstätigkeit und ergriffene Massnahmen erstatten müssen. Sorgfaltspflichten gelten nur in spezifischen Fällen, etwa bei Verdacht von Kinderarbeit.

«Startet der Gesetzgebungsprozess nicht jetzt, droht die Schweiz ein Umgehungsstandort für dubiose Konzerne zu werden.»

Oliver Heimgartner, Co-Geschäftsleiter Koalition für Konzernverantwortung

Die Initianten hatten den Gegenvorschlag immer als wirkungslos kritisiert, weil bei Verstössen keine Konsequenzen drohen. Im Dezember entschied nun der Bundesrat, lediglich die Berichterstattungspflichten anzupassen – nicht aber verbindliche Sorgfaltspflichten einzuführen. Für Heimgartner ist das unverständlich: «Startet der Gesetzgebungsprozess nicht jetzt, droht die Schweiz ein Umgehungsstandort für dubiose Konzerne zu werden – denn ein Gesetzgebungsprozess in der Schweiz dauert im Schnitt vier Jahre.»

Mit den kantonalen Initiativen in Basel-Stadt und Genf will die Konzernverantwortungs-Koalition den Druck nun erhöhen. Sie sollen generell für Firmen ab 250 Mitarbeitenden, einer Bilanzsumme über 20 Millionen oder einem Umsatz über 40 Millionen Franken gelten.

Die Chancen für die kantonalen Neuauflagen stehen gut: Bei der Abstimmung im Herbst 2020 war die nationale Initiative in Basel-Stadt mit knapp 62 Prozent angenommen worden, in Genf mit 64 Prozent. Parallel diskutiert die Koalition auch über eine neue nationale Initiative. Der finale Entscheid dazu soll im Herbst fallen.