Krieg, Corona, KlimaJetzt muss sich Scholz als Krisenkanzler bewähren
Lange war der neue deutsche Regierungschef beinahe unsichtbar, das Vertrauen in ihn brach ein. Angesichts des Kriegs in der Ukraine scheint Olaf Scholz den Tritt nun aber gefunden zu haben.
Kanzler zu werden, ist ein Prozess, selbst wenn man wie Olaf Scholz – der vormalige Vizeregierungschef – die beste Ausbildung genossen hat. Angela Merkels Koalition stürzte nach ihrem Amtsantritt 2005 schon bald in eine ernste Krise, weil sie sich über eine Gesundheitsreform öffentlich zerstritt. Gerhard Schröder musste 1999 gleich die für seinen grünen Bündnispartner fatale Frage des militärischen Eingreifens in Kosovo beantworten.
Aber wahrscheinlich noch nie wurde ein deutscher Kanzler auf Anhieb gleich von mehreren epochalen Krisen derart herausgefordert wie Scholz: einer weltweiten Pandemie, die von den drei Koalitionsparteien – Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen – teils nahezu konträr eingeschätzt wird. Einer Klimakrise, der die Ampelregierung mit neuer Dringlichkeit zu begegnen verspricht. Und nun noch einem russischen Angriffskrieg in der Ukraine, der alte Ansichten über Frieden und Freiheit in Europa brutal widerlegt.
Wortkarg bis hin zur Sprachlosigkeit
Der 63-jährige Sozialdemokrat ging sein Amt an, wie es von dem kühlen Hamburger zu erwarten war: abwartend, taktierend, moderierend – zudem wortkarg bis hin zur Sprachlosigkeit. Klar und fordernd erlebten ihn nur seine eigenen Leute und Koalitionäre hinter den Kulissen. Gleich in den ersten Wochen bildete sich so in der Öffentlichkeit das Bild eines Kanzlers, der zögerlicher schien, als er war. Und je mehr dies so schien, umso mehr wurde es zu einem realen Problem.
In der Corona-Politik musste Scholz stets Rücksicht auf die FDP nehmen, die alle Schutzmassnahmen gegen das Virus lieber heute als morgen beendet hätte. SPD und Grüne bekundeten dagegen Mühe, trotz abflauender Omikron-Welle jenen Rest an Vorsicht zu wahren, den die meisten Deutschen von ihrer Regierung erwarten. Bei der allgemeinen Impfpflicht, die Scholz durchzusetzen schon Ende November versprochen hatte, erzwang die FDP ein offenes Verfahren im Bundestag. Ohne eigene Vorlage und Mehrheit der Regierung steckt das Vorhaben seither fest.
Macron stahl ihm die Show
Was den ökologischen Umbau der deutschen Energieversorgung und Industrie angeht, den der grüne Vizekanzler Robert Habeck verantwortet, drohen die Sorgen um die extrem gestiegenen Energiepreise und die damit einhergehende hohe Inflation die Akzeptanz des gesamten Projekts zu unterminieren.
Bei den am Ende erfolglosen diplomatischen Bemühungen, einen Krieg in der Ukraine zu verhindern, stahl der französische Präsident Emmanuel Macron dem deutschen Kanzler instinktsicher die Show. Nach Merkels Abgang und kurz vor den Wahlen empfahl er sich den Französinnen und Franzosen als Europas neuer Anführer in der Krise.
Scholz wurde indes nicht nur von Macron gebremst, sondern auch von den zahlreichen Friedensbewegten, Russland-Romantikern und -Lobbyisten in seiner eigenen Partei. In Washington, Kiew und Moskau kam der Deutsche an, als der Krieg in Wahrheit schon nicht mehr zu verhindern war. Währenddessen wurden in den USA und in Osteuropa bohrende Fragen nach Deutschlands Verlässlichkeit als Verbündeter gestellt.
Innert eines Monats hatte der Wahlsieger Scholz ein Drittel bis die Hälfte des Vertrauens in der Bevölkerung eingebüsst.
«Wo ist Scholz?», stichelten die Medien nun fast täglich. Umfrageinstitute meldeten, der Wahlsieger vom Herbst habe innert eines Monats ein Drittel bis die Hälfte des Vertrauens in der Bevölkerung eingebüsst.
Erst jetzt, unter höchstem Druck der Verbündeten und dem Schock des Krieges im Osten, befreite sich Scholz. Als Wladimir Putins Panzer die Grenze zur Ukraine überrollten, stoppte der Kanzler umgehend die russisch-deutsche Gaspipeline Nord Stream 2 – deren Namen er zuvor wochenlang nicht in den Mund nehmen wollte.
Am Wochenende stellte er die gesamte deutsche Aussen- und Sicherheitspolitik auf den Kopf: Scholz versprach der Ukraine deutsche Raketen zur Abwehr – und der Bundeswehr eine historische Wiederaufrüstung. Es gehe jetzt um die Verteidigung von Frieden und Demokratie in Europa. Statt nur mit Worten und Geld schickt sich Deutschland an, auch mit Taten und Militär mehr Verantwortung in der Welt zu übernehmen.
Jetzt beginnen die Probleme erst
Freilich beginnen die Probleme für Scholz nun erst richtig. Die harten Sanktionen gegen Russland dürften Deutschland besonders schaden, etwa, was die Versorgung mit russischem Gas angeht. Die Bundeswehr wird zusätzliche Truppen nach Osteuropa und ins Baltikum entsenden, die Bundesländer sich auf Zehntausende, vielleicht Hunderttausende ukrainische Flüchtlinge einstellen müssen. Die Energiewende wird eher noch schwieriger, die Corona-Impfpflicht droht im Bundestag zu scheitern.
Und Scholz steht erst an Tag 83 seiner Kanzlerschaft.
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