Netflix-Star Jeongkwan Snim«Chef’s Table»-Köchin gibt Tipps: «Essen kann wie Medizin wirken»
Sie ist durch die Kochserie «Chef’s Table» weltberühmt geworden. Nun hat Snim die Schweiz besucht und ihr Kochbuch vorgestellt.
Jeongkwan Snim blickt kurz vom Handy auf und nickt zum Gruss. Ihr kahl rasierter Kopf ist unter einer Häkelmütze versteckt. Die buddhistische Nonne bewegt sich langsam, ihre weiten Hosen schwingen sachte mit. Sie besucht die Schweiz, um ihr erstes Kochbuch über Tempelessen vorzustellen.
Jeongkwan Snim setzt die Mütze ab, zieht sich über den hellgrünen Wollpullover ein Seidengewand an, legt einen akkurat gefalteten Schal um den Hals und blickt erwartungsvoll aufs Gegenüber. Das Gesicht der 68-Jährigen ist glatt, bis auf einige Fältchen um den Mund. An ihrer Seite sitzt Hoo Nam Seelmann, die das Buch auf Deutsch geschrieben hat und hier im Kulturzentrum Progr in Bern als Dolmetscherin fungiert.
Jeongkwan Snim hat eine beschwerliche Reise von Tausenden Kilometern von ihrem ruhigen Kloster nach Europa unternommen. Seit sie in der Netflixserie «Chef’s Table» auftritt, ist sie weltberühmt. Und daher schon in der Welt herumgekommen, der Raum fühle sich überall gleich an, egal wo sie sei, sagt sie. «Meine Rituale wie Meditieren versuche ich wie im Tempel zu machen. Das gibt mir Energie.»
Begehren loslassen
Nicht nur das Meditieren dürfte anders, vielleicht lauter sein, sondern auch das Essen. Essen sei wichtig, solle aber kein Selbstzweck sein, sagt sie bestimmt. «Im Buddhismus versuchen wir grundsätzlich, das Begehren nach Essen loszulassen. Gibt man dieser Begierde immer sofort nach, wird sie immer grösser. Essen bedeutet Leben, da es Kraft dafür spendet. Es verbindet den Körper mit dem Geist.»
Man fragt sich sofort, was sie wohl von unserem hektischen Lebensstil denkt, wenn sie durch unsere Strassen geht. Viele von uns sind besessen von Essen. Wir tun es stehend, gehend und sogar redend. Weder haben wir das Essen selbst gekocht, noch wissen wir meistens nicht genau, woher die Zutaten kommen. «Ich schaue euer Tun nicht negativ an, jeder hat seine Gründe und Bedürfnisse. Ausserdem ist es Teil eurer Kultur. Ich masse mir nicht an, darüber zu urteilen oder sie sogar zu verurteilen.»
Buddha ass auch Fleisch
In ihrem Kochbuch, das eher ein Fotoband und Lesebuch ist, entdeckt man exotische Gemüsesorten wie Lotusblüten oder Wurzeln. «Die Tempelküche war nicht immer vegan. Buddha hat am Anfang von Essensspenden gelebt, er hat nicht ausgewählt, sondern alles angenommen, was ihm geschenkt wurde, auch Fleisch.»
Zutaten wie Knoblauch, Lauch, Zwiebeln, Schnittlauch und Frühlingszwiebeln hingegen kommen in der Tempelküche nicht vor. Das hänge mit dem Meditieren zusammen. Im aufgeräumten und sauberen Kloster – mit sauber meint sie auch geruchlich sauber – würden die Gerüche dieser Gemüsesorten stören. «Ausserdem wärmt Knoblauch auf. Und diese Hitze im Körper lenkt den Körper und den Geist ab», sagt sie und steckt ihre Hände in die weiten Ärmel. Das helle Seidengewand ist so dünn, dass es fast durchsichtig scheint.
Jeongkwan Snims Mutter ist ihr Vorbild
Während die Übersetzerin die minutenlangen Antworten übersetzt, blickt Jeongkwan Snim aus dem Fenster, nippt am Grüntee und versucht, ein Gähnen zu unterdrücken. Nicht nur die Zeitverschiebung, sondern auch den Trubel ist sie nicht gewohnt: Ihr Kloster Cheonjinam bei Baekyangsa ist ruhig gelegen, umgeben von dichten Wäldern, im Süden von Korea.
Dorthin kam sie als junges Mädchen im Jahr 1975. Als ihre Mutter starb, lief sie von daheim weg. Ohne ihrer Familie zu sagen, was sie vorhatte, ging sie zum Tempel und trat dem buddhistischen Orden bei. Die Familie erfuhr erst Jahre später, wo sie steckte. «Ich liebte meine Mutter und litt sehr an ihrem Tod. Ich wollte darum keine Mutter werden, da ich niemandem ähnliche Schmerzen zufügen wollte.»
Einen Banker als Mann?
Ihr Vater sagte einmal zu ihr, dass eine gute Köchin aus einem Strohhalm sieben verschiedene Gerichte zubereiten könne. «Er meinte damit, dass eine kluge Frau viel Wissen haben muss, um aus einer Zutat verschiedene Gerichte zu kochen», sagt sie. Und überlegt kurz. «Ich erinnere mich an eine Situation, als ich vielleicht 14 Jahre alt war. Ich habe aus frisch gepflückten Auberginen sechs Gerichte gekocht. Mein Vater war beeindruckt und meinte, dass ich bestimmt einen Banker heiraten würde.»
Dabei wollte sie ja gar keinen Mann, sondern suchte die Freiheit, die sie sich vom Alleinsein im Kloster versprach. Als sie dort ankam, wurde sie von den Nonnen gefragt: «Bist du auf Besuch, oder willst du hier leben?» Es war das Zweite.
Einfach sei es nicht gewesen, als Heranwachsende um 3 Uhr in der Nacht aufzustehen, um an Ritualen teilzunehmen. Dennoch war sie sehr glücklich im Tempel und wollte nicht nach Hause zurückkehren.
Das Klosterleben ist hart und durchorganisiert, morgens wird um 6 Uhr gefrühstückt, vorher und nachher meditiert und studiert. Abends ist früh Nachtruhe, und dazwischen wird gearbeitet.
Jeongkwan Snim rät zu nicht zu viel rohem und kaltem Essen
Jeongkwan Snim fing in der Küche an zu arbeiten, zunächst lernte sie Putzen, dann den Umgang mit Gemüse, das Zubereiten von Suppen, und erst dann durfte sie Reis kochen. Das Kochen von Reis ist grosse Kunst und fürs Tempelessen eine wichtige Tätigkeit.
Die Reiskörner speichern viel Wärme der Sonne, weshalb sie als wärmendes Essen eingestuft werden. «Wir teilen Gemüse in kühlend und wärmend ein, in Yin und Yang.» Gemüse mit grossen Blättern benötige viel Sonnenlicht, um zu überleben. Es habe eine kühlende Wirkung, was ja im Sommer nicht schlecht sein müsse, bilanziert sie.
Wurzeln hingegen haben viel Wärme gespeichert, Karotten sollte man also im Winter essen. Oder Rettich, den kann man roh essen, aber in Begleitung von warmem Gemüse. «Auch das Kochwasser des Rettichs tut gut», weiss sie. Sie rät davon ab, zu viel rohes und kaltes Essen zu sich zu nehmen. «Ich bin überzeugt, dass Essen wie Medizin wirken kann.» Ins Gleichgewicht komme man, indem man kalte Gerichte mit Fermentiertem mische.
Mit allen Sinnen essen
In der Folge der 3. Staffel von «Chef’s Table«, die mit schönen Bildern und ruhiger Kameraführung das Wesen von Jeongkwan Snim gut eingefangen hat, sagt sie einmal: «Essen wird zu mir, und ich werde zum Essen.» Man soll aufmerksam sein, was wir unserem Körper zuführen. Und mit allen fünf Sinnen zu essen, sei sehr wichtig. «Deshalb essen wir auch, ohne zu reden.»
Im Tempelgarten und in der Küche gibt es immer viel zu tun, vor allem im November. Dann ist Erntezeit, aus den Sojabohnen werden Sojasaucen gemacht und der Chinakohl zu Kimchi verarbeitet. Der Vorrat reicht meistens bis ins kommende Jahr. Aber in den Tonkrügen liege ein dreijähriger Chinakohl, der durch die Zeit eine komplett andere Konsistenz und einen anderen Geschmack bekommen habe.
Überhaupt die Zeit: Zeit ist ihr Gewürz, das Geheimnis des Tempelessens, von dem so manche Besucherinnen und mancher Besucher sagt, es habe ihr Leben verändert. Snim verwendet Sojasauce erst nach acht Jahren Fermentation, da sie dann erst den richtigen Reifegrad für ihre Küche besitzt.
Die älteste Sojasauce, die sie im Vorrat hütet, ist 30 Jahre alt, davon braucht sie nur tröpfchenweise. Bei diesem Satz fangen ihre Augen an zu strahlen, sie zeigt gegen den Himmel und meint: «Ich habe sie in einem anderen Tempel angesetzt und nehme sie immer mit mir an den neuen Ort. Wir sind Schicksalsgenossen.»
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