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Neuer britischer Premier
Jeder will jetzt ein Gegen-Johnson sein 

Gilt als eine der aussichtsreichsten Kandidatinnen für die Nachfolge von Boris Johnson: Aussenministerin Liz Truss in der Londoner Downing Street.
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Man kann nicht sagen, dass die britische Kulturministerin Nadine Dorries bislang durch besonders kluge Bemerkungen aufgefallen wäre, ganz im Gegenteil. Die frühere Kandidatin der britischen «Dschungelcamp»-Variante erstaunte in ihrer nun zehnmonatigen Amtszeit immer wieder mit teils haarsträubenden Einordnungen und Feststellungen. Dabei hielt sie bis zuletzt auf eine Weise zu Boris Johnson, die ihr den Beinamen «Boris-Cheerleader» eingebracht hat. Kurz nach Johnsons Rücktrittsrede aber sagte sie der «Times» etwas, was ziemlich genau das traf, was in ihrer Partei nun passiert: «Die Höllenhunde wurden losgelassen. Die Leute werden sich jetzt in den Medien gegenseitig zerreissen, es wird ein Blutbad werden.»

Die Tories hätten nun die Chance, sich von Johnsons aufwühlendem Regierungsstil zu distanzieren, aber zu dessen Erbe gehört eben auch, dass er nicht nur im Land Spaltungen hinterlassen hat, sondern auch in der eigenen Partei. Dass die Suche nach einem Nachfolger ohne Reibungen ablaufen wird, hat niemand erwartet, dafür geht es um zu viel. Aber ein «Blutbad»?

Schlammschlacht mit Geheimdossiers

Die «Sunday Times» berichtete, mindestens zwei der zahlreichen Bewerber hätten Dossiers an die Labour-Partei geleakt, in denen kompromittierende Infos über Konkurrenten enthalten seien. Es soll um zweifelhafte Finanzkonstruktionen gehen, aber mitunter auch um die Teilnahme an Orgien, Vorliebe für Prostituierte und Drogen. Besonders Rishi Sunak steht im Fokus maximaler Gehässigkeit. Ein Boris Johnson nahestehender sogenannter Insider liess sich am Montag in den Zeitungen mit den Worten zitieren, Sunak sei ein «verräterischer Dreckskerl». Und nicht zuletzt Nadine Dorries nutzt jede Gelegenheit, Sunak zu diskreditieren, vor allem auf Twitter.

Im Fokus maximaler Gehässigkeit: Der einstige britische Finanzminister Rishi Sunak in der Downing Street in London.

Bis Montagnachmittag haben sich elf Tories offiziell um die Nachfolge Johnsons als Parteichef beworben. In den Umfragen unter den etwa 100’000 Parteimitgliedern liegen Aussenministerin Liz Truss und der ehemalige Finanzminister Sunak vorne. Der bisherige Führende in den Umfragen, Verteidigungsminister Ben Wallace, beschloss «nach gründlichen Überlegungen», lieber als Verteidigungsminister weitermachen zu wollen, also nicht anzutreten.

Gute Chancen werden auch der Amtsvorgängerin von Wallace zugesprochen, Penny Mordaunt: Die 49-Jährige hat ihre Bewerbung unter das Motto gestellt, «leadership» künftig mehr auf das «ship» zu fokussieren als auf den «leader». Mordaunt wird dem eher links orientierten Tory-Flügel zugerechnet. Ihr in sozialen Medien veröffentlichtes Bewerbungsvideo brachte ihr allerdings mehr Kritik und Häme ein als Applaus: Im Video kam unter anderem Oscar Pistorius vor, der wegen Mordes an seiner Lebensgefährtin verurteilte beinamputierte südafrikanische Sprinter, ausserdem der britische Paralympics-Sportler Jonnie Peacock. Der aber war offenbar nicht um Erlaubnis gefragt worden, er forderte Mordaunt öffentlich auf, ihn «umgehend» aus dem Video zu entfernen, weil er die Konservativen nicht unterstützen will.

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Praktisch alle Kandidaten versuchen sich als eine Art Gegen-Johnson zu positionieren: seriös, glaubwürdig und ernsthaft. Dabei ist die Frage, wie Johnson selbst nun weitermacht, noch nicht ganz geklärt. Bei seiner Rücktrittsrede hatte Johnson angekündigt, so lange weitermachen zu wollen, bis ein neuer Parteichef und Premierminister gefunden sei, möglicherweise bis Herbst also. Die Opposition kündigte umgehend an, in diesem Fall ein Misstrauensvotum im Parlament einbringen zu wollen.

Ausserdem verlangte Labour eine Untersuchung der Sache mit dem russischen Oligarchen-Clan der Lebedews: Johnson gab, von britischen Medien kaum beachtet, in seiner turnusmässigen Befragung vor dem Untersuchungsausschuss zur Arbeit des Premierministers am Mittwoch zu, er habe Alexander Lebedew in Italien getroffen, als er noch Aussenminister war. Das wäre nicht nur ein potenzieller Bruch der Sicherheitsregeln, sondern auch ein politisch heikler Vorgang: Lebedew war einst hochrangiger KGB-Offizier und Spion, und Johnson traf ihn im April 2018 – zwei Tage nach einem Nato-Gipfel, in dem es vor allem um Russland ging.

Das Treffen fand demnach auf einer Party von Lebedews Sohn Jewgeni statt, der als Freund Johnsons gilt. Als Johnson dann Premierminister war, dauerte es nur ein paar Monate, ehe Jewgeni Lebedew ins Oberhaus berufen wurde. Auf Lebenszeit, wie in solchen Fällen üblich.