Corona in GriechenlandDie schöne neue Welt stösst an Grenzen
Die Tourismussaison hat gerade erst mit viel Hoffnung begonnen, und schon geht in Griechenland die Angst um, sie könnte wegen der Delta-Variante viel früher wieder zu Ende sein als gedacht.
Das Ministerbüro von Kyriakos Pierrakakis ist tiefgekühlt, die Athener Gluthitze bleibt ausgesperrt. Pierrakakis stützt sich mit beiden Händen auf die Stuhllehne, er mag sich nicht setzen, sein Rücken schmerzt. Er ist auffallend gross, 38 Jahre alt und Minister für Digitales in einem Land, in dem noch vor nicht langer Zeit Steuerakten von Hand geführt wurden und in dunklen Verliessen verstaubten. Alles mythische Vergangenheit. «Wir haben verstanden, dass wir unsere digitalen Systeme aus der Sicht der Bürger gestalten müssen und nicht nach den Bedürfnissen der Bürokratie», sagt Pierrakakis. «Unkompliziert und transparent.»
Griechenlands Impfkampagne hat nach diesem Muster bislang gut funktioniert, die Website (emvolio.gov.gr auf Griechisch und Englisch) wurde im Ministerium des Harvard-Absolventen Pierrakakis entworfen. «Wir haben auf Callcenter verzichtet, wir wussten, die wären sofort überfordert.» Viele Griechen staunten, als sie ihre Impftermine einfach aufs Handy bekamen. Selbst Ärzte wunderten sich: «Dies ist ein neues Griechenland», sagte ein Mediziner aus Nordgriechenland im Gespräch.
Die schöne neue Welt stösst an Grenzen
Möglich wurde dies, weil es in Griechenland mittlerweile digitale Arztrezepte gibt, eine Folge der Reformen aus der Zeit der Eurokrise. «Früher war derjenige im Vorteil, der die verschlungenen Wege der Bürokratie besonders gut kannte, digitale Systeme beseitigen solche Ungleichheiten», sagt Pierrakakis, der sich nun doch auf seinem Stuhl niederlässt und kurz die Maske abnimmt. «Ich bin doppelt geimpft», sagt er. Und: «Die Pandemie war ein Katalysator für die digitale Transformation Griechenlands.»
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Aber die schöne neue Welt stösst an Grenzen. Auch in Griechenland steigen die Zahlen der Infizierten wieder, und ausgerechnet jetzt stockt die Impfkampagne. «Ende August werden wir wieder 1000 neue Fälle am Tag haben», warnte der Experte Dimosthenis Sarigiannis von der Aristoteles-Universität in Thessaloniki schon Anfang Juli im TV-Sender Antenna. Die Wirklichkeit hat die Prognosen des Professors inzwischen längst überholt. Am 7. Juli war die Marke mit 1820 neuen Fällen in 24 Stunden weit überschritten, am Donnerstag waren es 2107, Tendenz steigend.
Die Regierung hat sofort ein paar Schuldige ausgemacht: die jungen Leute, die Clubs und Bars bevölkern, zwar alles im Freien, aber eben dicht an dicht, Abstandsregeln ade. Nun müssen alle Gäste wieder auf Stühlen vor den Bars sitzen, dürfen nicht mehr tanzen. Clubbesitzer, die das nicht durchsetzen, sollen hart bestraft werden, bis zum Verlust der Lizenz, verkündete Vizezivilschutzminister Nikos Hardalias.
«Griechenland wird seine Wirtschaft nicht für eine ungeimpfte Minderheit erneut völlig herunterfahren.»
Eigentlich hatte sich die Regierung gerade vorgenommen, die Jungen nicht zu beschimpfen, sondern zu umwerben. Ab 15. Juli erhalten alle 18- bis 25-jährigen Geimpften ein Guthaben von 150 Euro aufs Handy, mit dem sie Schiffs- und Flugtickets oder Eintrittskarten für Konzerte bezahlen können. Premierminister Kyriakos Mitsotakis preist dies als «Freiheits-Pass», 940’000 junge Menschen könnten davon profitieren.
Pierrakakis sagt, die 150 Euro seien eine «Anerkennung» dafür, dass die Jungen besonders unter den langen Einschränkungen der Bewegungsmöglichkeiten gelitten hätten. Es fällt auf: Die Regierung bemüht sich um den richtigen Ton, nachdem in den Medien wegen der 150 Euro schon das böse Wort «Bestechung» aufgetaucht ist.
Regierungschef Mitsotakis ist jetzt genau zwei Jahre im Amt. Umfragen sehen seine konservative ND 13 Prozentpunkte vor der Linken von Alexis Tsipras. Mitsotakis nutzt den Vorsprung für klare Ansagen. Griechenland werde seine Wirtschaft «nicht für eine ungeimpfte Minderheit erneut völlig herunterfahren», sagte er der Zeitung «Kathimerini». Er könne das Impfen nicht zur Pflicht machen, «aber jeder hat Verantwortung», und inakzeptabel seien «Trittbrettfahrer», die nach dem Motto handelten: Sollen sich andere impfen, dann bin ich auch geschützt.
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Für Griechenland steht viel auf dem Spiel. Die Tourismussaison hat gerade erst mit viel Hoffnung begonnen, nun geht die Angst um, sie könnte früher wieder zu Ende sein als gedacht, wenn die Delta-Variante einen neuen Virus-Sturm in der Ägäis entfacht. Jeder fünfte Job hängt am Geschäft mit Sonne und Sand. Die Regierung will nun sogar eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen einführen, unter anderem für medizinisches Personal. Details würden bald bekannt gegeben, sagte eine Regierungssprecherin.
Und die Regierung geht jetzt – allen digitalen Erneuerungen zum Trotz – auch einen ganz alten Weg. In den kleinen Orten und auf vielen Inseln sollen nun Bürgermeister, Priester, Ärzte und andere Vertrauenspersonen von Tür zu Tür gehen und versuchen, die Nichtgeimpften zu überzeugen. Weil man herausgefunden hat, dass in einem von vier Orten mit weniger als 50’000 Einwohnern die Impfrate unter 30 Prozent liegt, während sie im Touristen-Hotspot Mykonos schon 100 Prozent beträgt. Derzeit sind 38 Prozent der Griechen voll geimpft, für eine Herdenimmunität wäre mindestens das Doppelte nötig, sagen Experten.
Wer ein Schiff besteigt, muss geimpft, genesen oder getestet sein.
Eigentlich wollte man schon weiter sein, die Kampagne hatte ja so gut angefangen, und Pierrakakis und seine Leute hatten wesentlichen Anteil daran. Aber da gibt es eben die Skeptiker und die Zweifler, wie überall. Und immer wieder stösst das neue Griechenland auf das alte: Wer am Athener Flughafen nach 23.30 Uhr ankommt, hat die letzte Metro in die Stadt verpasst. Im Flughafenbus drängen sich dann die Menschen so dicht, als hätte es Corona nie gegeben. Zwar alle mit Maske und, weil es ein alter, klappriger Bus ist, mit offenen Fenstern, aber die Unsicherheit fährt mit.
Wer ein Schiff besteigt, muss geimpft, genesen oder getestet sein, wobei ein einfacher Selbsttest nun schon nicht mehr genügt. Das Testergebnis trägt man in ein Papier ein, überprüft wurde es bisher nicht. Das soll sich auch ändern: Das Marineministerium kündigte Stichkontrollen an, auch auf privaten Jachten.
Regierungschef Mitsotakis versucht derweil mit Zahlen zu überzeugen: 2245 Griechen zwischen 60 und 80 Jahren seien von April bis Juni an Covid gestorben. «Nur 22 davon waren geimpft.» Die anderen 2223 hätten sich längst impfen lassen können – «und haben es nicht getan».
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