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Überfischung und Klimawandel
Japan gehen die Fische aus

Japan, Fischsterben, Sardinen und Makrelen am Strand von Hakodate angeschwemmt  Sardines, mackerel washed up on northern Japan beach A large number of sardines and mackerel are washed up on a beach in Hakodate, northern Japan, on Dec. 7, 2023. PUBLICATIONxINxAUTxBELxBIHxBULxCZExDENxESTxFINxFRAxGEOxGERxGRExHUNxISLxIRLxITAxLATxLTUxLUXxLIExMKDxNORxPORxPOLxROUxSVKxSUIxSRBxSLOxESPxTURxUKxUAExONLY A14AA0002213302P
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Als Mitte Dezember plötzlich die Fische kamen, war das für Mitsuko Oe zunächst ein bisschen so, als verwandelte sich ihre Heimatbucht in ein Schlaraffenland. Die 82-jährige Fischersfrau aus der nordjapanischen Stadt Hakodate zeigt von der Asphaltrampe, die im Stadtteil Hamacho zum Strand hinunterführt, in die Winterkälte hinein. «Knietief lagen die Fische hier.» Lauter Sardinen mit ein paar vereinzelten Makrelen dazwischen, insgesamt 1200 Tonnen, wie es später in den Nachrichten hiess.

Aber nach zwei Tagen war die Freude an dem silbrigen Uferteppich vorbei. Die Fische begannen zu riechen, für die Aufräumarbeiten mussten schwere Fahrzeuge kommen. 20 Tage dauerte es, bis die Fischmassen beseitigt waren.

Seltsame Geschichte. Aber was ist schon noch normal in den Fischgründen rund um Japan? Das Leben im Pazifik rund um den Inselstaat verändert sich, die Menschen bekommen es zu spüren. Japan war mal die zweitgrösste Fischfangnation der Welt hinter China. Nach Daten des Landwirtschaftsministeriums in Tokio fingen japanische Fischer im Rekordjahr 1984 insgesamt 12,82 Millionen Tonnen Fisch, 1990 immer noch über 11 Millionen Tonnen. Danach ging es steil bergab.

Massiver Fangeinbruch

Für 2022 meldete Japans Regierung den geringsten Fischfang seit Beginn vergleichbarer Aufzeichnungen: 3,85 Millionen Tonnen. «Als ich hier in eine Fischerfamilie eingeheiratet habe, waren die Kutter nach den Ausfahrten immer voll», sagt sie.

Überfischung und Klimawandel sind die Hauptgründe für die Entwicklung, das sagt längst auch Japans rechtskonservative Regierung, wenn auch eher vorsichtig und nicht grundsätzlich. Die toten Sardinen von Hakodate zum Beispiel sehen ihre Fachleute überraschenderweise getrennt von der eigentlichen Fischkrise. «Grob gesagt, gibt es zwei mögliche Gründe», sagt Hiroyasu Hasegawa von der Division für Forschung und Technologie im Fischereiamt in Tokio.

Entweder könnten die Sardinen sich auf der Flucht vor grösseren Meeresbewohnern – zum Beispiel Delfinen – in die Bucht verirrt haben. Oder eine zu kalte Meeresströmung habe den Sardinen den Weg aufs offene Meer versperrt. Hasegawa sagt, solche Massenanschwemmungen gebe es immer wieder. Statistiken dazu habe die Behörde nicht, deshalb kann Hasegawa auch nicht sagen, ob das Phänomen heute häufiger vorkommt als früher.

Fischer leisten einen wichtigen Beitrag zur Lebensmittelsicherheit. Sie prägen die Wirtschaft an den Küsten und mit ihren Meeresfrüchten die japanische Esskultur.

Journalists and bystanders look at a tuna which was bought jointly by Michelin-starred sushi restaurant operator Onodera Group and wholesaler Yamayuki for 16.9 million yen (145,290 USD) at the Toyosu fish market's New Year auction, at a restaurant in Tokyo on January 5, 2022. (Photo by Philip FONG / AFP)

Deshalb ist der Kampf gegen die Krise wichtig, aber auch schwierig, denn er bricht mit dem Stolz und den Gewohnheiten des Gewerbes. Traditionell redet der japanische Staat seinen Fischern nicht gern in ihr Handwerk rein. Die Praktiker sollen in Absprache mit lokalen Forschern selbst entscheiden, was gut für die Umwelt ist, von der sie leben.

Nationalregierung und Präfekturen geben einen gesetzlichen Rahmen für einen nachhaltigen Umgang mit den Meeresressourcen. Aber eigentlich bestimmten immer die örtlichen Fischereigenossenschaften in den rund 2000 Fischereihäfen, wann wo was gefischt wird. Einerseits ist das gut: Es bringt den Fischern mehr Freiheit und Verantwortung. Andererseits hat man an der Basis nicht immer alle Zusammenhänge der komplizierten Unterwasserwelt im Blick.

Selbstkontrolle reicht nicht

Es gibt deshalb gute Gründe dafür, dass Wissenschaftlerinnen, Naturschützer und Politiker auf der ganzen Welt verbindliche Fangquoten und andere Regeln erheben, um sowohl Artenvielfalt als auch Fischereiwirtschaft zu schützen. Und auch Japans Regierung hat eingesehen, dass das System der Selbstkontrolle nicht mehr reicht.

2018 hat Tokio per Gesetz das Ressourcenmanagement ausgeweitet. Seit 2021 nimmt sie Bestandsschätzungen für 192 Fischarten vor. Das ist eine enorme Steigerung im Vergleich zu den 50 Fischarten, die noch 2018 Ziel der Ressourcenbewertung waren. Für das Jahr 2022 stellt Japans Fischereibehörde fest, dass 56 Prozent der Fischarten in ihren natürlichen Verbreitungsgebieten zurückgehen.

Ichiro Yamagata (L) and his wife Chiharu, who had to evacuate to Tokyo for five years after the 2011 earthquake-tsunami, work on their 2-year-old fishing boat at Ukedo fishing port in Namie, Fukushima, on July 30, 2021. (Photo by Yasuyoshi CHIBA / AFP)

Neue Fangquoten mit strengeren Kontrollen sollen das ändern. Die Regierung erhebt sie Schritt für Schritt in Zusammenarbeit mit nationalen und lokalen Forschungsinstituten. Aber es gibt Streit. Shuhei Uematsu von der Tierschutzorganisation World Wildlife Fund erklärt: «Der Trend ist immer noch, dass die Fischer die Kontrollen verweigern.»

Das Fischereimanagement hat sich trotzdem bewährt. Die Thunfisch-Fänge sind stabil. Auch die Japanische Sardine, von der so viele in Hakodate angespült wurden, erholt sich wegen umsichtigeren Fischens. In den Achtzigern und Neunzigern wurden davon pro Jahr über 2,5 Millionen Tonnen gefangen – nach 2000 waren dann fast alle weg. «Dass das etwas mit Überfischung zu tun hatte, kann man nicht leugnen», sagt Hiroyasu Hasegawa in Tokio.

Klimawandel verändert den Lebensraum

Die Meere um Japan sind auch deshalb so gute Fischgründe, weil hier östlich des Inselbogens zwei grosse Strömungen aufeinandertreffen. Die kalte, nährstoffreiche Oyashio-Strömung aus dem Norden prallt auf die warme Kuroshio-Strömung aus dem Süden. Ihre Wassermassen vermischen sich zu einem wichtigen, wohltemperierten Lebensraum, in dem die grossen Fischschwärme ihre Wanderungen fortsetzen können.

Aber die warme Kuroshio-Strömung ist mit der Zeit stärker geworden. Die Eigenschaften der Unterwasserwege haben sich verändert. Die Makrelenhechte wandern auf die höhere See. Dort haben sie weniger Plankton und bleiben wegen Unterernährung kleiner.

Im Dezember 2022 meldete die Küstenstadt Choshi in der Präfektur Chiba die totale Makrelenhecht-Dürre wegen dieser Entwicklung. Der Makrelenhecht-Rekord ihrer Fischer datiert von 2009: 61’333 Tonnen. 2020 fingen sie 476 Tonnen. 2021 nur noch 18. Und 2022: null. «Dass Makrelenhechte weiter von der Küste entfernt gefangen werden als früher, wird als Folge des Klimawandels vermutet», sagt Hiroyasu Hasegawa. «Wegen des Klimawandels werden auch weniger Lachse und Tintenfische gefangen. Auf der anderen Seite gehen mittlerweile Fischarten im Norden ins Netz, die es sonst nur im Süden gab.»

Das hat Folgen: Zum Beispiel besuchen immer mehr Sushi-Liebhaber Restaurants, die nicht die traditionellen Fischarten für ihre Reishappen verwenden, sondern Beifang.