Biodiversität und KlimaerwärmungWie mithilfe von Wildtieren die Klimawende geschafft werden kann
Grosse Wildtierpopulationen stärken natürliche Kohlenstoffspeicher wie Meere, Wälder, Moore und Steppen. Allein damit liessen sich 95 Prozent der Pariser Klimaziele erreichen, zeigt jetzt eine Studie.
Wenn von der Klimaerwärmung und ihren Herausforderungen die Rede ist, liegt der Fokus meist auf erneuerbaren Energien und der Veränderung des Konsumverhaltens. Fast nie ist aber von der Rolle von Wildtieren die Rede. Dabei könnten diese einen zentralen Beitrag zum Gelingen der Klimawende leisten, wie eine kürzlich in der Zeitschrift «Nature Climate Change» erschienene Studie aufzeigt.
15 Wissenschaftler aus acht Ländern untersuchten neun Wildtierpopulationen, darunter Meeresfische, Wale, Haie, Grauwölfe, Gnus, Seeotter, Moschusochsen, afrikanische Waldelefanten und amerikanische Bisons, und fanden heraus, dass durch die Wiederherstellung der Populationen dieser Tiere jedes Jahr 6,41 Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid gebunden werden könnten. Dies ist vergleichbar mit der potenziellen CO2-Reduktion durch die breitflächige Nutzung von Sonnen- und Windenergie und der Kohlenstoffbindung in der Landwirtschaft und entspricht 95 Prozent der benötigten CO2-Speicherung, die jedes Jahr gebraucht würden, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, wie das Wirtschaftsmagazin «Forbes» zur Studie schreibt. Bis 2100 könnten so 500 Milliarden Tonnen Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernt werden. In den letzten 50 Jahren sind die Wildtierpopulationen durch menschliche Einflüsse um fast 70 Prozent zurückgegangen, wie der jüngste Living-Planet-Report von 2022 aufzeigt.
Wie Bisons und Otter die natürliche Kohlenstoffspeicherung verstärken
Wildtiere sind entscheidend für funktionierende Kohlenstoffkreisläufe in Ökosystemen an Land, in Seen, Flüssen und Ozeanen: Durch ihre Bewegungen und ihr natürliches Verhalten verbreiten die Tiere Samen und Nährstoffe und stören Böden durch Graben und Zertrampeln. Dadurch steigt der Gehalt an organischen Substanzen in den Böden, sie können mehr Wasser speichern und Pflanzen können besser wachsen. So vermögen die Böden mehr Kohlenstoff zu speichern. Meerestiere wie Seeotter oder Haie halten Ökosysteme wie Tangwälder und Korallenriffe im Gleichgewicht, wodurch diese mehr Kohlenstoff aufnehmen. Schliesslich stellen die Tiere mit ihrem Körper selber Kohlenstoffspeicher dar.
«Wildtierarten sind in ihrer gesamten Interaktion mit der Umwelt das fehlende Bindeglied zwischen Biodiversität und Klima. Diese Interaktion bedeutet, dass Rewilding – also das absichtliche Zurückkehrenlassen der Wildtiere – zu den besten naturbasierten Klimalösungen gehören kann, die der Menschheit zur Verfügung stehen», erklärte der Hauptautor Oswald Schmitz dem Wirtschaftsmagazin «Forbes».
Die Studienautoren führen als Fallbeispiel die Reduktion der Gnu-Population in der Serengeti an: Gnus fressen grosse Mengen an Gras und geben dieses als Dung wieder in den Boden zurück. Der im Dung gespeicherte Kohlenstoff wird von Insekten in Form von Humus in den Boden eingelagert. Als die Anzahl Gnus Anfang des 20. Jahrhunderts wegen einer von Hausrindern übertragenen Krankheit stark zurückging, führte der Verlust der natürlichen Beweidung zu häufigeren und intensiveren Buschbränden und verwandelte die Serengeti dadurch zu einem Emittenten von CO2.
Eine experimentelle Studie aus dem Jahr 2017, die im Regenwald von Guyana durchgeführt wurde, zeigte zudem auf, dass die Kohlenstoffspeicherung in Bäumen und Böden um das Vier- bis Fünffache zunahm, als die Zahl der verschiedenen Säugetierarten auf der Versuchsparzelle von 5 auf 35 angehoben wurde.
Milliarden Tonnen Fischkot als Kohlenstoffpumpe
Den Weltmeeren und den dort lebenden Tieren kommt bei der Speicherung von Kohlenstoffdioxid eine zentrale Rolle zu: In der Dämmerungszone der Ozeane, dem sogenannten Mesopelagial, das den Bereich zwischen 200 und 1000 Metern unter der Meeresoberfläche umfasst, leben die hochmobilen mesopelagischen Fische. Sie machen bis zu 95 Prozent aller Fische im Ozean aus und wiegen zusammen schätzungsweise 10 Milliarden Tonnen. Das macht sie zur grössten Gruppe von Wirbeltieren auf dem Planeten.
Jede Nacht wandert diese riesige Masse von Fischen zur Wasseroberfläche, wo sie sich unter anderem von pflanzlichem Plankton ernährt, das durch das CO2 aus der Atmosphäre gedeiht. Nachdem die Fische diese kohlenstoffreichen Pflanzen gefressen haben, kehren sie in die tieferen Wasserschichten zurück, um tagsüber Raubtieren auszuweichen. Indem die Fische in der Dämmerungszone atmen und ihren Kot ausscheiden, transportieren sie gewaltige Mengen von Kohlenstoff von der Oberfläche in die Tiefsee, ein Prozess, der als «biologische Pumpe» bezeichnet wird. Untersuchungen aus dem Jahr 2021 legen nahe, dass so rund 1,5 Milliarden Tonen Kohlenstoff pro Jahr in die Tiefsee gelangen, wie die Umweltzeitschrift «Mongabay» schreibt.
Umweltschützer betonen darum, wie wichtig es ist, die Überfischung der Meere zu stoppen. So sagte Magnus Sylven, der Co-Direktor der «Global Rewilding Alliance», einem Zusammenschluss von 130 Naturschutzorganisationen, gegenüber «Mongabay»: «Ihre entscheidende Rolle im globalen Kohlenstoffkreislauf zu untergraben, indem man die weltweite Fischereiflotte gegen sie richtet, wäre ein katastrophaler Fehler. Meere werden oft übersehen, wenn es um Rewilding geht. Dies ist die letzte Grenze. Der Schutz der mesopelagischen Zone vor menschlicher Ausbeutung ist ein Muss. Es ist einer der kostengünstigsten Mechanismen, die der Menschheit zur Lösung der Klimakrise zur Verfügung stehen.»
Die zentrale Rolle von Spitzenprädatoren
Auch fleischfressende Tiere an der Spitze der Nahrungskette haben trotz ihrer eher geringen Anzahl einen zentralen Einfluss auf die Gestaltung ihrer Lebensräume. Indem sie Pflanzenfresser in Schach halten, verhindern sie Überweidung und stärken dadurch das Pflanzenwachstum und damit die Speicherung von CO2. So führt die blosse Anwesenheit von Wölfen in einem Lebensraum dazu, dass eine «Landschaft der Angst» geschaffen wird, welche die Nahrungsgewohnheiten von Pflanzenfressern wie etwa Elchen verändert und dazu führt, dass sie ständig in Bewegung sind.
Um eine Wiederansiedlung der Wildtiere zu realisieren, wie sie die Forscher vorschlagen, so etwa mindestens 500’000 afrikanische Waldelefanten oder 2 Millionen amerikanische Bisons, müssten grosse Landwirtschaftsflächen der Natur zurückgegeben werden, wie der Hauptautor der Studie gegenüber dem «New Scientist» erklärte: «Anstatt Viehzüchter zu sein, sollten wir darüber nachdenken, Kohlenstoffzüchter zu sein. Lasst uns den Bison zurückbringen und die Viehzüchter tatsächlich für den Kohlenstoff bezahlen, den sie speichern, und nicht für das von Rindern produzierte Fleisch.»
Da die Renaturierung grosser Landflächen mit grossen Schwierigkeiten verbunden ist, sehen Kritiker das Konzept des Rewilding zur Bekämpfung des Klimawandels allerdings sehr kritisch: Die Zeitskalen seien angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise viel zu lange und es würden zu wenig klare Beweise zuhanden der Politik geliefert.
Anderseits besteht die Gefahr, dass durch das Fortschreiten des Artenschwundes natürliche Kohlenstoffsenken wie Moore und Steppen zu Produzenten von CO₂ werden, wenn sie nämlich ihre Speicherfunktion durch ein zerstörtes ökologisches Gleichgewicht verlieren.
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