Klimawandel und ArtensterbenAnpassen oder aussterben
Wenn der Klimawandel die Meere weiter erwärmt und versauert, finden viele Tiere und Pflanzen schon bald keine Nischen mehr um zu überleben. Eine drastische evolutionäre Auslese wäre die Folge.
Unter der Wasseroberfläche spielt sich gerade eine Umverteilung des Lebens ab. Weil sich die Weltmeere erwärmen, versuchen Fische, Plankton und sogar Korallen, in Richtung der Pole auszuweichen – also dorthin, wo kühlere Bedingungen herrschen. Im Gegensatz zu den Landbewohnern reagieren Lebewesen im Meer viel unmittelbarer auf Temperaturveränderungen. Und sie können das auch: Die Ozeane bieten ihnen den Raum, um davonzuschwimmen oder sich davontreiben zu lassen.
Anders ist die Situation an Land, wo Berge und Flüsse, Siedlungen, Ackerflächen und Strassen den Arten den Weg verstellen. Im Schnitt legen Meeresbewohner 72 Kilometer pro Jahrzehnt in Richtung der beiden Pole zurück, Landbewohner aber nur 17 Kilometer pro Jahrzehnt.
Daher nahmen Biologinnen und Biologen bislang an, dass Fische, Krebse und Meeressäuger durchaus in der Lage sind, dem Klimawandel zu entfliehen. Das gilt allerdings nur, solange sich auf der Erde die Klima-Nischen der Meeresorganismen nur verschieben, nicht aber völlig verloren gehen oder ganz neue Klimabedingungen entstehen, an die Tiere und Pflanzen nicht mehr angepasst sind. Genau das droht aber, wie Umwelt- und Erdwissenschaftler um Katie Lotterhos vom Meeresforschungszentrum der Northeastern-Universität in Nahant im US-Bundesstaat Massachusetts im Fachblatt Scientific Reports beschreiben.
Ganz neue Klimabedingungen dürften eine massive Auslese vorantreiben, die Evolution beschleunigen und viele Arten eliminieren.
Anhand von Klimasimulationen haben sie nachgewiesen, dass Erwärmung und vor allem Versauerung im Laufe des Jahrhunderts über weite Teile der Meeresoberfläche neue Klimabedingungen schaffen könnten, wie es sie in den vergangenen 200 Jahren nicht auf der Welt gegeben hat. Würde sich die Erde weiter wie bisher erwärmen, könnten sich bis zum Ende des Jahrhunderts auf mehr als 80 Prozent der Meeresoberfläche neue Klimabedingungen entwickeln, im Falle des etwas gemässigteren Szenarios von rund 2,6 Grad Erwärmung auf mehr als zehn Prozent. «Es macht also einen Riesenunterschied, ob wir die Welt um 2,6 Grad oder um 4,8 Grad erwärmen», sagt Lotterhos.
Zugleich dürften Klimabedingungen, wie sie derzeit noch in Teilen der Weltmeere zu finden sind, in Zukunft verschwinden, und zwar je nach Szenario für rund 36 bis 95 Prozent der Meeresoberfläche. Beide Szenarien würden die Unter- und Obergrenze der aktuellen Emissionsentwicklung ziemlich realistisch abbilden. Lotterhos vergleicht das mit einem Umzug: «Wenn das gewohnte Klima verschwindet, bedeutet das: Unser Haus verschwindet, und wir haben keinen Ort mehr, wo wir hin können», sagt sie. «Wenn es aber ein neues Klima gibt, heisst das: Wir müssen an einen neuen Ort, an dem wir nie zuvor gewesen sind, und das Wetter dort ist völlig anders.»
Ende des Jahrhunderts könnten also in weiten Teilen der oberen Meeresschichten Klimabedingungen herrschen, die viele Arten nicht mehr tolerieren dürften. Der Hitze und der saureren Umgebung auszuweichen wäre dann keine Option mehr, da es keinen Ausweg gibt. Die Alternative hiesse: anpassen oder aussterben.
Erwärmt sich die Welt also weiter so stark wie bisher, werden die Ozeane in einigen Jahrzehnten kaum wiederzuerkennen sein. Ganz neue Klimabedingungen dürften eine massive Auslese vorantreiben, die Evolution beschleunigen und viele Arten eliminieren, so die Autoren. Die Artengemeinschaft in den oberen Meeresschichten würde sich vollkommen neu zusammensetzen, und es sei mit weiteren «unvorhersehbaren ökologischen Überraschungen» zu rechnen.
«Die meisten Leute haben eine extreme Vorstellung: Entweder wird alles sterben oder das gesamte Leben findet doch irgendwie einen Ausweg.»
Zuallererst und am stärksten dürfte der Indo-Pazifik betroffen sein, eines der artenreichsten Gebiete der Welt. Besonders in den Gewässern rund um Indonesien könnten bis zum Ende des Jahrhunderts extreme neue Klimabedingungen herrschen oder alte Klimabedingungen verschwinden und die Korallenriffe könnten damit zu den ersten Opfern des Klimawandels gehören.
Was aber tatsächlich mit den Meeresbewohnern passieren wird, wenn neue Klimabedingungen auftauchen oder alte verschwinden, können die Autoren nicht sagen. Möglicherweise können bestimmte Arten die für sie unbekannten Bedingungen bis zu einem gewissen Grad tolerieren oder sich daran anpassen, wie es in Experimenten für pflanzliches Plankton nachgewiesen wurde, das hohen CO₂-Konzentrationen ausgesetzt wurde. Allerdings gebe es erst wenige Beispiele von Anpassung an den Klimawandel, so Lotterhos.
«Die meisten Leute haben eine extreme Vorstellung: Entweder wird alles sterben oder das gesamte Leben findet doch irgendwie einen Ausweg», sagt die Meereswissenschaftlerin. «Die Antwort liegt aber sehr wahrscheinlich in der Mitte.» Dieses Ereignis liesse sich allerdings noch umgehen – und zwar mit einer Begrenzung der Erderwärmung auf unter zwei Grad. Damit liesse sich den Modellen der Forschenden zufolge ein völlig neues Meeresklima verhindern. «Als Wissenschaftlerin wäre das Phänomen natürlich ein interessanter Untersuchungsgegenstand», sagt Katie Lotterhos. «Trotzdem würde ich es bevorzugen, nicht mit ansehen zu müssen, was in so einem Fall passiert.»
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