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Analyse zur Klimakonferenz in Glasgow
Jahrmarkt der Zugeständnisse – und nun?

Weht in Glasgow endgültig der Wind zur postfossilen Welt? Wandmalerei an der Klimakonferenz. 
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Es war jeweils eine tiefe Genugtuung spürbar, wenn in den letzten Tagen der britische Konferenzpräsident Alok Sharma auftrat und von neuen Erfolgen berichtete. «Die Kohle ist nicht mehr König.» Diesen Satz trug er ruhig vor – und doch war etwas Triumphierendes in seiner Stimme erkennbar. Die britische Regierung wollte von Staaten und Unternehmen an der Klimakonferenz in Glasgow ehrgeizige Zugeständnisse und Versprechen.

Die haben sie bekommen. Wenn grosse Kohleverbraucher wie Polen, Indonesien oder Vietnam aus der Kohlekraft aussteigen und China, Indien und die USA kein Geld mehr in diese Energie im Ausland reinstecken wollen, dann kann man das als starkes politisches Signal werten. Wenn Brasilien und Indonesien zu den hundert Staaten gehören, die bis 2030 die Zerstörung des Regenwaldes stoppen wollen, dann ist das eine Schlagzeile wert. Und wenn Grossbanken und internationale Finanzinstitutionen sich bereit erklären, 130 Billionen Dollar ihres verwalteten Vermögens für den Kampf gegen den Klimawandel einzusetzen, dann verdient das Respekt.

Von den Versprechen darf man sich nicht blenden lassen.

Doch wie viel sind diese Papiere wert? Ist das nur einfach Ästhetik für eine Klimakonferenz, die als wichtigste seit Paris 2015 etikettiert wurde? Steckt dahinter der seit Jahren vermisste politische Wille der Weltgemeinschaft?

Der Sinneswandel kann einem durchaus suspekt vorkommen. Es ist nicht zum ersten Mal, dass solche Kooperationen zwischen Staaten gebildet werden und Finanzinstitute ihre Geldflüsse auf die Karte erneuerbare Energie setzen. Doch diesmal haben die Ankündigungen eine andere Dimension. Die Erkenntnis, dass die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft ins postfossile Zeitalter nicht mehr aufzuhalten ist, scheint sich nun auch bei Regierungen durchzusetzen, die denken, zu den Verlierern des internationalen Klimaschutzes zu gehören.

Dennoch darf man sich nicht blenden lassen. Die geopolitische Lage hat sich nicht verändert. Auch wenn die Nachfrage nach Wind- und Solarkraft im Gegensatz zu den fossilen Energien selbst in Krisenzeiten der Pandemie deutlich zugelegt hat, so ist in China trotz der enormen Investitionen in die Erneuerbaren nach wie vor die Kohle das energetische Rückgrat der Wirtschaft. Erdölstaaten wie Saudiarabien tun sich noch immer schwer, mit aller Kraft aus dem fossilen Geschäft auszusteigen, und Russland wird in Europa so lange der Hauptlieferant für Erdgas bleiben, bis das Strom- und Wärmenetz voll und ganz mit erneuerbaren Energien funktioniert.

Auch die Europäische Union, die derzeit ihre Vorreiterrolle im internationalen Klimaschutz zementieren will, muss Mitgliedsstaaten wie Polen etwas anbieten, wenn das Land aus der Kohleindustrie aussteigen will. Die Vereinigten Staaten, die unter ihrem demokratischen Präsidenten Joe Biden neuen Wind in die Klimapolitik bringen, bleiben ein Unsicherheitsfaktor.

Die armen Länder fühlen sich von den reichen Staaten im Stich gelassen.

Und dann sind da noch die Entwicklungsstaaten. Ohne sie wird das grosse Ziel des Pariser Abkommens, die Treibhausgase auf netto null zu senken, nicht erreicht. Doch die armen Länder fühlen sich von den reichen Staaten im Stich gelassen. Indonesien zum Beispiel macht seine Anstrengungen beim Ausstieg aus der Kohle davon abhängig, wie viel Hilfe das Land beim Umstieg auf saubere Energie erhält.

Die weltweite Pandemie hat das Ohnmachtsgefühl der armen Länder noch verstärkt. Dass bisher nur ein kleiner Bruchteil der Bevölkerung geimpft werden konnte, ist an der Klimakonferenz ebenfalls ein Thema. Hinzu kommt, dass es die reichen Staaten in den letzten elf Jahren nicht geschafft haben, ab 2020 die versprochenen 100 Milliarden Dollar pro Jahr für die ärmsten Nationen zu generieren – und nun auf 2023 vertrösten. Es gibt zwar inzwischen unzählige Klima- und Nachhaltigkeitsfonds auf Ebene von UNO und Entwicklungsbanken. Doch wohin die Gelder schliesslich fliessen, ist in vielen Fällen intransparent, wie Studien der Heinrich-Böll-Stiftung zeigen.

Die Vertragsstaaten haben erst ihre Hausaufgaben zu machen, bevor nach noch höheren Zielen geschrien wird.

Um die Initiativen und Kooperationen erfolgreich umzusetzen, braucht es in den nächsten Jahren nicht nur diplomatisches Geschick und Vertrauen unter den reichen und armen Staaten. Und zudem sollte Ende nächster Woche ein Regelwerk für das Pariser Abkommen auf dem Tisch sein, das garantiert, dass die Ankündigungen nachhaltig und ohne Schlupflöcher und Tricks umgesetzt werden.

Die Vertragsstaaten haben erst ihre Hausaufgaben zu machen, bevor wieder nach noch höheren Zielen geschrien wird. Die Regierungen vor allem in der westlichen Welt werden dabei gezwungen sein, bei den Massnahmen im eigenen Land Fingerspitzengefühl walten zu lassen, damit Politik, Wirtschaft und Gesellschaft am gleichen Strick ziehen. Nur so geht es im Klimaschutz spürbar vorwärts.