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Jahrestag 7. Oktober
Jüdische Bevölkerung traut sich kaum auf die Strasse

Protesters hold placards and Palestinian flags during a rally in support of the Palestinian people in Basel, Switzerland, 05 October 2024. Upcoming 07 October 2024, marks one year since the Palestinian militant group Hamas launched a surprise attack on Israel, killing 1,200, and one year since Israel began its war on Gaza, killing more than 41,000 and destroying the Palestinian enclave (KEYSTONE/Ennio Leanza)
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In Basel demonstrierten am Samstagnachmittag rund 3000 Personen für «Frieden in Palästina», aufgerufen hatten über 100 Bewegungen und Organisationen, manche mit kommunistischem oder marxistischem Hintergrund. Zu hören waren auch israelfeindliche Parolen. Anwesende berichteten etwa von einer Flagge, bei welcher der Davidstern durch ein Hakenkreuz ersetzt worden war. In einer Rede wurde Israel des Genozids, der Apartheid und der ethnischen Säuberung bezichtigt. Und es gab Slogans und Sprechgesänge wie «Israel Is a Racist State» oder «From the River to the Sea».

Seit dem Überfall der Hamas auf Israel vor zwölf Monaten haben in den Schweizer Städten propalästinensische Aktionen dominiert, wie eine Umfrage in Zürich, Bern und Luzern zeigt.

«Wurden herablassend behandelt»

Pedro Bilar, Innerschweizer Unternehmer und Mitglied der jüdischen Gemeinde Chabad, überlegte sich, mit einer Gruppe von Aktivisten im Hinblick auf den Jahrestag in Luzern eine ungewöhnliche Aktion zu lancieren: Er wollte Bilder von Opfern des Hamas-Massakers aufhängen, an Bäumen und Brücken, heimlich, ohne Bewilligung. Denn er und seine Mitstreiter fühlen sich von den Luzerner Behörden unfreundlich behandelt.

Im letzten Dezember stellten sie ein Gesuch für eine Kundgebung, die Anfang Januar hätte stattfinden sollen. Die Stadt lehnte ab, und den Wortwechsel, der sich daraufhin zwischen der städtischen Mitarbeitenden und dem Gesuchsteller ergab, empfand die jüdische Seite als «herablassend», wie Bilar erzählt. Zudem fänden in Luzern hauptsächlich Palästina-Demonstrationen statt. Eine Nachfrage beim Luzerner Sicherheitsdepartement bestätigt, dass von vier öffentlichen Aktionen zum Thema Nahost in den vergangenen zwölf Monaten alle von propalästinensischer Seite organisiert worden sind. 

In Bern gab es seit letztem Oktober über 80 öffentliche Anlässe für die palästinensische Bevölkerung und gegen die Israel-Politik – und lediglich sieben für Israel. Für die proisraelische Community sei es ganz klar schwieriger, sich zu äussern und öffentlich wahrgenommen zu werden, sagt die Berner Kommunikationsexpertin und ehemalige Grossrätin Lea Kusano. Das fange schon im Kleinen an. Ihre Kinder tragen keinen Davidstern mehr an der Halskette, Pullis mit hebräischem Schriftzug vermeiden sie. Spätestens seit in Zürich im März ein orthodoxer Jude auf offener Strasse lebensgefährlich verletzt wurde, überwiegt die Vorsicht. Zur gleichen Zeit häuften sich an Berner Schulen antisemitische Vorfälle: Auschwitz-Memes, Hitlergrüsse in Chats, Hakenkreuze auf dem Schulweg und städtische Schulverantwortliche, die sich gemäss Lea Kusano erst auf öffentlichen Druck hin damit auseinandergesetzt haben.

All dies sorge für Vorsicht sowie Angst vor Übergriffen und Beschimpfungen. Kusano gab diesen Sommer einer lokalen Berner Wochenzeitung ein Interview zum Thema, der Redaktionsleiter kippte den Text kurz vor der Publikation aus dem Blatt. Er wolle sich nicht wochenlang mit propalästinensischen Leserreaktionen beschäftigen, habe er gesagt.

SP wegen Israel-Statements verlassen

Lea Kusano war in der SP aktiv, 2020 ist sie aus der Partei ausgetreten. Stellungnahmen zu Israel, die Kusano als einseitig empfand, waren der Hauptgrund. Dasselbe passierte der Zürcherin Nadine Jositsch, die sich nach dem 7. Oktober bei Yellow Umbrella engagierte und vor wenigen Monaten aus der SP ausgetreten ist – wegen deren Parteinahme für palästinensische Opfer bei gleichzeitigem Schweigen, wenn es um israelische Opfer ging. Auch von den Behörden hätte sie sich oft mehr Courage gewünscht, sagt Jositsch. Sie vermute, dass «Feigheit und Antisemitismus» die Zürcher Stadtregierung daran gehindert hätten, die jüdische Bevölkerung konsequent zu schützen und klar Stellung zur Gewalt gegen israelische Frauen am 7. Oktober zu beziehen.

In Zürich zählte das städtische Sicherheitsdepartement 23 Anlässe für Israel und 13 für die palästinensische Bevölkerung. Wobei es für Israel mehr Kundgebungen gab, die still und an Ort blieben.

Dennoch ist Dan Deutsch, Präsident von «Never Again Is Now Switzerland», beunruhigt. Aktionen im propalästinensischen Lager seien hetzerisch, mit Parolen werde offen zu Gewalt aufgerufen. Bedenklich sei, dass die Behörden dies duldeten, selbst wenn die Veranstaltungen in Liegenschaften wie der Roten Fabrik oder der Zentralwäscherei stattfänden. Oder dass die Stadt ausgerechnet am Holocaust-Gedenktag Anfang 2024 eine propalästinensische Demonstration auf dem Helvetiaplatz erlaubt habe.

Trotzdem erlebe er die Zusammenarbeit mit den Behörden als zunehmend positiv, gerade nach der Messerattacke im März 2024 habe er mit der Stadt gute Erfahrungen gemacht. «Bedauert habe ich, dass es einen solchen Vorfall brauchte, um zu handeln.»