Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Neues europäisches Powerpaar
Italien und Frankreich wagen eine Nebenbuhlerei

Die beiden mögen sich: Mario Draghi und Emmanuel Macron. 
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Alte Rivalitäten müssen nicht ewig währen. Und so üben sich nun Italiener und Franzosen in strukturierter Freundschaft – oder wie es offiziell und prosaisch heisst: «Vertrag für eine verstärkte bilaterale Zusammenarbeit». «Trattato del Quirinale» klingt schöner. Der soll am Freitagmorgen daselbst, also im römischen Quirinalspalast, dem Sitz des italienischen Staatspräsidenten, unterzeichnet werden. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron reist dafür heute an. Man möchte diesen Anlass mit Pomp begehen. Für den «Corriere della Sera», Italiens grösste und vielleicht nüchternste Zeitung, ist das ein «historischer Termin». Der «Quirinal-Vertrag» sei das Pendant zum «Élysée-Vertrag», kann man überall lesen.

Der Vergleich mit dem Freundschaftsvertrag zwischen Frankreich und Deutschland, unterzeichnet von
Charles de Gaulle und Konrad Adenauer, ist natürlich etwas abenteuerlich. Zumal er bald sechs Jahrzehnte alt ist und vor kurzem in Aachen aufgefrischt wurde, in Geist und Methode. Aber die Versuchung ist nun mal gross.

Dreissig Seiten umfasst der Vertrag der «Cousins», wie sich Italiener und Franzosen gegenseitig sehen, mit einer Präambel zu gemeinsamen Zielen. Dazu noch einmal dreissig Seiten Programm, wie man diese Ziele erreichen will. Vieles ist kopiert. In Zukunft sollen die Ministerräte aus Rom und Paris einmal im Jahr eine gemeinsame Sitzung abhalten, wie das französische und deutsche Kabinette bereits tun. Die Aussenpolitischen Kommissionen der beiden Parlamente werden sich schon in zwei Wochen in Paris ein erstes Mal treffen. Junge Italienerinnen und Italiener sollen bald mehr Französisch lernen und Französinnen und Franzosen mehr Italienisch. Auf allen möglichen Gebieten will man sich abstimmen, so etwa auch bei der Migration, in der Aussenpolitik und in der Rüstungsindustrie. In jüngerer Vergangenheit gab es gerade in diesen Bereichen Fehden und Brüskierungen unter den Nachbarn.

Jüngst balgte man sich noch häufig

Oft warfen die Italiener den Franzosen vor, dass diese sich gegen Migranten abschotteten, die in Italien europäischen Boden betraten und weiterwanderten nach Norden – etwa an den Grenzen in Ventimiglia und Bardonecchia. Als der Rechtspopulist Matteo Salvini von der Lega italienischer Innenminister war, wuchsen sich die Streitereien zu täglichen Anwürfen aus. Und Salvinis Regierungspartner in jener Zeit, die Protestpartei Cinque Stelle, hielt es für ratsam, den Gilets jaunes den Hof zu machen. Das ist erst zweieinhalb Jahre her, das Verhältnis bewegte sich damals am Gefrierpunkt.

Auch in der Aussenpolitik stritt man sich in den vergangenen Jahren mit Inbrunst, vor allem, was Libyen betraf. Viele Italiener halten den Franzosen bis heute vor, dass sie ihre frühere Kolonie mit der Demontage von Muammar al-Ghadhafi ins Chaos gestürzt hätten – angeblich auch aus geopolitischem und industriellem Kalkül. Der französische Erdölkonzern Total ist ein erbitterter Konkurrent des italienischen Gegenparts Eni. Und Paris sieht den Norden Afrikas gerne als seinen Hinterhof.

Was ist, wenn in Deutschland die Sparer wieder diktieren?

Seit Mario Draghi italienischer Premier ist, hat sich das Klima schlagartig aufgehellt. Draghi und Macron trafen sich in den vergangenen neun Monaten sechsmal, meistens am Rande von Gipfeln, einmal auch in Marseille zum Diner in einem Dreisternrestaurant an der Corniche. Die beiden mögen sich. Rom und Paris scheinen auch ein Interesse zu haben daran, ihre Achse zu stärken, während in Berlin gerade ein Epochenwechsel vollzogen wird.

In diesem Zusammenhang interessiert die neuen Vertragsfreunde vor allem, dass in Deutschland
Christian Lindner (FDP) neuer Finanzminister wird und wie somit wohl die zukünftige Finanz- und Fiskalpolitik in Europa aussehen könnte. Man ist besorgt, dass nach der jüngst expansiven Linie wieder Austerität angesagt sein könnte, wenn nun Lindner die Buchführung übernimmt und diese mit den «Falken im Norden», wie im Süden die sparsamen Länder in der Europäischen Union genannt werden, auch für den Kontinent neu ausrichtet.

Allzu viel Strategie sollte trotzdem nicht ins Timing gelesen werden: Die Idee für diesen Kooperationsvertrag wurde schon 2017 geboren, als in Rom der Sozialdemokrat Paolo Gentiloni regierte. Paris bietet sich nun die Gelegenheit, sich mal eher mit Berlin, mal eher mit Rom abzustimmen – je nach Thema und Bedürfnis. Wobei: Viel mehr als eine Nebenbuhlerei ist die neue Freundschaft nicht, dafür schwelen noch zu viele Konflikte. Wann immer ein französischer Konzern nach einem italienischen Unternehmen greift, was in den letzten Jahren oft vorkam, wird es schnell politisch. Italienische Kritiker des «Trattato del Quirinale» glauben auch, er bringe den Franzosen mehr als den Italienern. Italien, schreibt eine Zeitung, begebe sich in den Einflussbereich Frankreichs, sozusagen in dessen Schatten.