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Eskalation im Nahen Osten
Israel plant schon «nächste Phasen» im Kampf gegen Hizbollah – die Lage im Überblick

Smoke billows from the site of an Israeli airstrike on the Lebanese city of Baalbeck in the Bekaa valley on September 23, 2024. Israeli air strikes killed 274 people, including 21 children, in south Lebanon on September 23, the Lebanese health minister said, in by far the deadliest cross-border escalation since war erupted in Gaza on October 7. (Photo by Nidal SOLH / AFP)
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In der Nacht blieb es ruhig, aber die folgenschwersten Angriffe Israels im Libanon seit fast zwei Jahrzehnten schüren die Sorge vor einer unkontrollierbaren Eskalation in der Region.

Wie viele Opfer hat es gegeben?

Die genaue Opferzahl ist unbekannt. Es liegen auch keine verifizierten Zahlen vor, die sich überprüfen lassen. Nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums wurden rund 500 Menschen bei massiven Luftangriffen getötet, darunter Dutzende Kinder – zudem gebe es mehr als 1600 Verletzte. Es ist die höchste Opferzahl im Südlibanon seit dem letzten Krieg zwischen Israel und der mächtigen Hizbollah-Miliz im Jahr 2006. 

Wo und was hat Israel angegriffen?

Das israelische Militär griff nach eigenen Angaben am Montag rund 1600 Ziele im Libanon an – und führte die Attacken in der Nacht auf Dienstag fort. Die Angriffe unter dem Codenamen «Pfeile des Nordens» zielten nach israelischer Darstellung auf Waffenlager der proiranischen Hizbollah-Miliz, die Israel seit Anfang Oktober mit rund 9000 Raketen und Drohnen angegriffen habe. Einige dieser Lager hätten sich in privaten Wohnräumen von Zivilisten befunden, die vor den Angriffen aufgerufen worden seien, sich in Sicherheit zu bringen.

Smoke billows from the site of an Israeli airstrike on the eastern areas of Baalbeck in the Bekaa valley on September 23, 2024. Israeli air strikes killed 274 people, including 21 children, in south Lebanon on September 23, the Lebanese health minister said, in by far the deadliest cross-border escalation since war erupted in Gaza on October 7. (Photo by AFP)

Bei den Angriffen wurden nach Angaben von Verteidigungsminister Yoav Gallant Zehntausende Raketen der Hizbollah zerstört. Vor Beginn ihrer Angriffe am 8. Oktober wurde das Waffenarsenal der Hizbollah auf 150’000 Raketen, Drohnen und Marschflugkörper geschätzt.

Israels Armee griff nach eigenen Angaben auch ein Ziel im Süden der libanesischen Hauptstadt Beirut an, wo am Freitag mit Ibrahim Akil ein hochrangiger Militärkommandeur der Miliz getötet worden war. Ziel des neuen Angriffs war nach unbestätigten israelischen Medienberichten der Hizbollah-Kommandeur Ali Karaki, der für die südliche Front zuständig war und Akil ablösen sollte. Die Hizbollah teilte nach dem Angriff mit, Karaki sei wohlauf. Nach Angaben der israelischen Armee ist Karaki einer der wenigen noch lebenden Köpfe der Hizbollah-Führungsriege auf der «Abschussliste» des Militärs. 

Was hat die Hizbollah getan?

Die Hizbollah, die im Libanon praktisch wie ein Staat im Staate agiert, reagierte ihrerseits mit heftigen Raketenangriffen auf israelisches Gebiet. Rund 250 Geschosse seien aus dem Libanon abgefeuert und teils von der Raketenabwehr abgefangen worden, teils in offenem Gelände eingeschlagen, teilte Israels Militär mit. Einige davon reichten nach Medienberichten deutlich tiefer in israelisches Gebiet hinein als je zuvor seit Beginn der Hizbollah-Angriffe.

Israeli Iron Dome air defense system fires to intercept rockets that were launched from Lebanon, as seen from Haifa, northern Israel, Monday, Sept. 23, 2024. (AP Photo/Baz Ratner)

Auch im Westjordanland gab es erstmals Einschläge – in ähnlicher Entfernung vom Libanon wie der Grossraum Tel Aviv. Die Hizbollah zielte nach eigenen Angaben auch auf Anlagen der Rüstungsindustrie nahe der Hafenstadt Haifa und auf Militärstützpunkte. 

Was sagt Netanyahu?

Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu gives a press conference at the Government Press Office (GPO) in Jerusalem on September 4, 2024. (Photo by ABIR SULTAN / POOL / AFP)

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu wandte sich mit einer Botschaft direkt an das libanesische Volk: «Israels Krieg ist nicht mit euch, sondern mit der Hizbollah», sagte er. «Die Hizbollah hat euch schon allzu lange als menschliche Schutzschilde missbraucht.» Um Israel gegen Hizbollah-Angriffe zu verteidigen, müssten die Waffen der Miliz unschädlich gemacht werden, sagte Netanyahu.

Wie geht es den Menschen im Libanon?

Cars sit in traffic as they flee the southern villages amid ongoing Israeli airstrikes, in Sidon, Lebanon, Monday, Sept. 23, 2024. (AP Photo/Mohammed Zaatari)

Im Süden des Libanon brach Panik unter den Menschen aus, viele flohen in Richtung Beirut oder andere Orte im Norden des Landes. Auf den Strassen kam es zu langen Staus, Schulen wurden in Notunterkünfte umgewandelt. Es herrsche «Panik und Chaos», berichteten Augenzeugen. Nach den Bombardierungen im Süden griff Israels Luftwaffe auch Stellungen in der Bekaa-Ebene im Nordosten des Libanon an, wie es aus Sicherheitskreisen hiess. 

Die israelische Regierung beschloss nach den Luftangriffen in Erwartung von Gegenschlägen einen landesweiten Ausnahmezustand. Dieser hat auch zur Folge, dass die Grösse von Versammlungen eingeschränkt werden kann. In der Nacht wurde in vielen Ortschaften im Norden Israels erneut Raketenalarm ausgelöst.

Lebanese citizens who fled on the southern villages amid ongoing Israeli airstrikes Monday, sit on their cars at a highway that links to Beirut city, in the southern port city of Sidon, Lebanon, Tuesday, Sept. 24, 2024. (AP Photo/Mohammed Zaatari)

Vor der neuen Angriffswelle soll die Zivilbevölkerung im Libanon durch automatisierte Anrufe und per SMS gewarnt worden sein. Berichten zufolge wurde dazu aufgerufen, sich bis auf weiteres von Dörfern fernzuhalten, in denen Waffen der Hizbollah gelagert seien. Das libanesische Informationsministerium bezeichnete die Aktion als «psychologische Kriegsführung» Israels. 

Seit der neuerlichen Eskalation zwischen Israel und dem Libanon mussten rund 150’000 Menschen ihre Wohnorte auf beiden Seiten der Grenze verlassen. Die kriegsähnliche Auseinandersetzung hat sich nach der Explosion Tausender Funkgeräte im Libanon sowie einem israelischen Angriff auf die Hizbollah-Führung nahe Beirut mit mehr als 50 Toten vorige Woche nochmals verschärft. Israels Armee weitete die Angriffe im Nachbarland abermals aus, auch dabei gab es Dutzende Tote und Verletzte.

Wie geht es jetzt weiter?

Generalstabschef Herzi Halevi erklärte, das Militär greife die von der Hizbollah in den vergangenen 20 Jahren für ihren Kampf gegen Israel aufgebaute Infrastruktur an. Seine Armee bereite schon «die nächsten Phasen» des Kampfes vor, sagte er, ohne Details zu nennen.

Lebanese soldiers secure the area near the site of an Israeli airstrike in Beirut's southern suburb, Monday, Sept. 23, 2024. (AP Photo/Bilal Hussein)

Bislang greift Israel den Libanon aus der Luft und mit Artillerie über die Grenze hinweg an. Eine Bodenoffensive im Süden des Libanon würde eine weitere gefährliche Eskalation des Konflikts bedeuten – und möglicherweise andere mit dem Iran verbündete Kräfte noch tiefer in den Krieg hineinziehen. Israels Armee weicht Fragen zu einem möglichen Truppeneinmarsch im Libanon bislang aus.

Was sind die Reaktionen?

Die libanesische Regierung warf Israel angesichts der Angriffe «einen Vernichtungskrieg in jedem Sinne des Wortes» vor. «Wir als Regierung arbeiten daran, diesen neuen Krieg Israels zu stoppen und einen Abstieg ins Unbekannte zu verhindern», sagte der geschäftsführende Ministerpräsident Najib Miqati.

Frankreichs Regierung beantragte wegen der kriegerischen Eskalation eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats für diese Woche. Allerdings ist das mächtigste Gremium der Vereinten Nationen selbst durch politische Konflikte nur noch eingeschränkt handlungsfähig. Am Dienstag beginnt zudem die mehrtägige Generaldebatte der UN-Vollversammlung, der Nahostkonflikt wird absehbar eine wichtige Rolle spielen. Netanyahu soll in der zweiten Wochenhälfte anreisen und dürfte eine kämpferische Rede halten – schliesslich sind viele UN-Mitglieder Israel gegenüber kritisch oder sogar feindlich eingestellt.

Chinese Foreign Minister Wang Yi speaks during "Summit of the Future" on the sidelines of the UN General Assembly at the United Nations Headquarters in New York, September 23, 2024. (Photo by TIMOTHY A. CLARY / AFP)

China hat dem Libanon seinen Rückhalt zugesichert und Israel scharf für seine Angriffe auf die Hizbollah-Miliz kritisiert. Die Volksrepublik unterstütze den Libanon entschlossen beim Schutz seiner Souveränität, Sicherheit und nationalen Würde, sagte Aussenminister Wang Yi laut seines Ministeriums in New York. Wang traf dort seinen libanesischen Kollegen Abdullah Bou Habib. Egal, wie die Lage sich entwickle, werde China auf der Seite der Gerechtigkeit und der arabischen Brüder einschliesslich des Libanon stehen, sagte Wang.

Der Chinese verurteilte Israels «wahllose Angriffe auf Zivilisten» und Kommunikationseinrichtungen im Libanon. China sei besorgt über die Lage. Wang erneuerte ausserdem die Forderung nach einem Waffenstillstand, Truppenabzug und der Zweistaatenlösung.

Was war der Auslöser des aktuellen Konflikts?

Terroristen der mit der Hizbollah verbündeten Hamas und anderer extremistischer Gruppen hatten am 7. Oktober 2023 mehr als 1200 Menschen in Israel getötet und etwa 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Das beispiellose Massaker löste den Gazakrieg aus, seither greift die Hizbollah den jüdischen Nachbarstaat fast täglich mit Raketen an. Israel will die Hizbollah wieder aus dem Grenzgebiet verdrängen, um die Sicherheit seiner Bürger im Norden zu gewährleisten und Vertriebenen die Rückkehr zu ermöglichen.

(FILES) A woman walks past a poster of US-Israeli hostage Hersh Goldberg-Polin, held in the Gaza Strip by the Hamas militants following the October 7 attack, plastered on a bus station near the US Consulate in Jerusalem on June 10, 2024. US President Joe Biden said August 31, 2024 that the body of Israeli-American hostage Hersh Goldberg-Polin was among six recovered in Gaza by Israeli forces. (Photo by HAZEM BADER / AFP)

Israel und die Hizbollah führten bereits 1982 und 2006 Krieg gegeneinander. Die Miliz ist heute deutlich stärker bewaffnet als während des Kriegs vor fast 20 Jahren. Sie handelt nach eigener Darstellung aus Solidarität mit der Hamas, die im Gazastreifen gegen Israel kämpft und ebenfalls vom Iran unterstützt wird.

Israels Militär hat die Zahl seiner Angriffe im Gazastreifen zuletzt verringert und konzentriert sich zunehmend auf die Hizbollah. Damit will es erreichen, dass sich die Miliz wieder hinter den 30 Kilometer von der Grenze entfernten Litani-Fluss zurückzieht – so wie es die UN-Resolution 1701 vorsieht, die das Kriegsende 2006 markierte. Der Resolution zufolge darf die Hizbollah entlang der Grenze nicht präsent sein. Dies wird aber weder von der UN-Beobachtermission noch von der libanesischen Armee durchgesetzt.

DPA/aeg