Verhandlungen über WaffenruheBlinken drängt auf Abkommen im Nahostkonflikt
Der US-Aussenminister mahnt bei seiner Reise nach Israel, die Kämpfe in Gaza umgehend zu beenden. Doch sind Netanyahus Regierung und die Hamas wirklich zu Kompromissen bereit?
Die Verhandlungen über ein Geiselabkommen und einen Waffenstillstand für den Gazastreifen werden von den Vermittlern weiter mit Hochdruck in Richtung Ziellinie getrieben. US-Aussenminister Antony Blinken unterstützt das mit persönlicher Präsenz in Israel, wo er am Montag die Spitzen der Regierung traf. Bei jedem seiner Auftritte sprach er von einem «entscheidenden Moment» und einer vermutlich «letzten Chance». Aufrütteln soll das – aber so spricht wohl keiner, der sich eines Erfolgs sicher ist.
An rationalen Argumenten, jetzt schnellstens zum Abschluss zu kommen, mangelt es nicht. Blinken kann darauf verweisen, dass jenseits des Schlachtfelds von Gaza die kaum kontrollierbare Ausweitung des Konflikts droht. Bei einem Scheitern der aktuellen Verhandlungsrunde drohen unmittelbar Angriffe des Iran und der libanesischen Hizbollah auf Israel.
Die jüngste Bedrohung: Eine Polio-Epidemie
Zudem wird die humanitäre Lage im Gazastreifen immer katastrophaler. Die jüngste Bedrohung: eine Polio-Epidemie, zu deren Abwehr die Weltgesundheitsorganisation WHO und das UNO-Kinderhilfswerk Unicef dringlich eine Kampfpause fordern, um Massenimpfungen vornehmen zu können. Auch in Israel selbst tauchen die Gespenster einer alten Gefahr wieder auf: Bei einer zunächst mysteriösen Explosion am Sonntagabend wurde in Tel Aviv ein Mann getötet, der einen Sprengsatz im Rucksack trug. Am Montag erklärte sich die Hamas verantwortlich und drohte mit einer neuen Welle von Selbstmordattentaten.
Aus Washingtoner Sicht besteht angesichts des wachsenden Eskalationspotenzials also akuter Handlungsbedarf. «Es ist Zeit, es zum Abschluss zu bringen», sagte Blinken nach seinem Auftaktgespräch mit dem israelischen Präsidenten Isaac Herzog. Es müsse sichergestellt werden, «dass niemand Schritte unternimmt, die diesen Prozess torpedieren könnten». Das war zum einen gewiss an den Iran und die Hizbollah sowie an die Hamas gerichtet. Schliesslich hatten die bedrängten Anführer aus Gaza unmittelbar vor Blinkens Ankunft in Israel eine erste, aber vermutlich noch nicht endgültige Absage an den am Freitag in Doha von den USA vorgestellten Kompromissentwurf veröffentlicht.
Netanyahu pocht auf «Israels Sicherheitsinteressen»
Zum anderen aber dürfte Blinken beim Stichwort «torpedieren» auch an jenen Gesprächspartner gedacht haben, den er gleich nach dem Präsidenten in Jerusalem traf: Premierminister Benjamin Netanyahu. Drei Stunden dauerte das Treffen. Hinterher sprach das Amt des Premiers in einer schriftlichen Erklärung von einem «positiven Gespräch in guter Atmosphäre». Netanyahu versicherte seine Unterstützung des «gegenwärtigen US-Vorschlags» – mit dem Nachsatz allerdings, dass er dabei eindringlich auf «Israels Sicherheitsinteressen» poche.
Im politischen Kosmos von Netanyahu bietet dieser Zusatz viel Raum für spätere Rückzugsmanöver. Dem erheblichen Druck aus Washington scheint Israels Regierungschef durch ein verwirrendes Wechselspiel seiner Position ausweichen zu wollen. Gleich am Freitag hatte er schon den Vorschlag aus Doha begrüsst. Am Sonntag, kurz vor Blinkens Landung, versammelte er dann in Tel Aviv zur wöchentlichen Kabinettssitzung die Ministerrunde inklusive der rechtsextremen Fundamentalverweigerer um sich. Laut israelischen Medienberichten erklärte er dabei, dass «die Chancen nicht hoch» seien für einen Erfolg.
Für die Vermittler drängt nun die Zeit. Mit Detailfragen befasste Verhandlungsteams sind auch nach dem Abschluss der Doha-Runde in Katar und Ägypten weiter am Werk. Auf Blinkens Programm stehen nach dem Besuch in Israel noch Gespräche in Kairo. In der ägyptischen Hauptstadt sollen gemäss ersten Ankündigungen schon in der zweiten Wochenhälfte die Chefvermittler aus den USA, Katar, Ägypten und Israel wieder zusammenkommen. Das erklärte Ziel: ein unterschriftsreifes Abkommen.
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