Israels Militärsprecher äussert sich «Wer glaubt, wir könnten die Hamas ausschalten, irrt sich»
Daniel Hagari widerspricht Benjamin Netanyahu, wonach nur «ein Schritt» fehle für den Sieg – der reagiert trotzig. Die Kluft zwischen Armee und Premier wird grösser.
Es war eine sehr klare Aussage, die Militärsprecher Daniel Hagari am Mittwoch machte. «Die Hamas ist eine Idee, sie ist eine Partei. Sie ist in den Herzen der Menschen verwurzelt. Wer glaubt, wir könnten die Hamas ausschalten, irrt sich», sagte er dem TV-Sender Channel 13. Er widersprach damit Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, wonach nur «ein Schritt» fehle für den «totalen Sieg». Damit meint der Premier das Ende der Herrschaft der islamistischen Terrororganisation Hamas im Gazastreifen.
Wer solche Aussagen mache, so Hagari, streue der israelischen Öffentlichkeit «Sand in die Augen». Nötig sei eine Vision für die Zukunft des Gazastreifens, in dem Israels Armee seit acht Monaten Krieg gegen die Terrororganisation führt – als Reaktion auf den Überfall vom 7. Oktober mit mehr als 1200 getöteten Israelis. Es brauche eine Alternative für die Hamas auf politischer Ebene, um sie in Gaza zu ersetzen, forderte Hagari.
Israels oberster Soldat beklagt «Sisyphusarbeit»
Netanyahus Büro liess sofort trotzig mitteilen: Die Armee wisse, dass das Sicherheitskabinett die «Zerstörung der militärischen und Regierungsfähigkeiten der Hamas» als Kriegsziel definiert habe, und sei «dem natürlich verpflichtet». Hagari betonte daraufhin, nur über «die Zerstörung der Hamas als Ideologie und Idee» gesprochen zu haben. Seine Worte seien «aus dem Kontext» gerissen worden.
Dass Hagaris Aussagen in Israel und von Zeitungen wie der «New York Times» als Beleg für die «tiefe Kluft» zwischen Israels politischer und militärischer Führung angesehen werden, liegt auf der Hand. Seit langem wird in Sicherheitskreisen beklagt, dass sich Netanyahu weigere, über eine Nachkriegsordnung nachzudenken.
Der Vorwurf: Seine rechtsextremen Koalitionspartner sind gegen einen nötigen Deal mit der Hamas, und Netanyahu stellt die eigene Macht über das Wohl des Landes. Die fehlende Strategie behindert aber die Streitkräfte. Laut CNN sagte Generalstabschef Herzi Halevi schon im Mai, seine Soldaten müssten im Gazastreifen immer wieder an Orten kämpfen, die man eigentlich zuvor eingenommen gehabt habe. Dies komme einer «Sisyphusarbeit» gleich.
Soeben konnten israelische Medien auf Einladung der Armee Reporter nach Rafah schicken, wo laut Netanyahu die letzten Kampfverbände der Hamas zerstört werden sollen. Die liberale Zeitung «Haaretz» zitiert den Kommandanten einer dort aktiven Brigade mit den Worten, dass viele Hamas-Kämpfer in Richtung Khan Younis geflohen seien – und die Terrororganisation sich auf Guerillataktiken verlagere. Nach den etwa 120 Geiseln, die sich weiter in den Händen der Hamas befinden, suche die Armee in Rafah nicht. Laut «Wall Street Journal» gehen US-Geheimdienste davon aus, dass nur noch 50 der verschleppten Israelis am Leben seien.
In den israelischen Streitkräften gibt es Sympathie für den von US-Präsident Joe Biden präsentierten Deal mit der Hamas, der neben einer mehrwöchigen Waffenruhe auch die Freilassung der Geiseln beinhalten würde. Dies liegt nicht nur daran, dass nicht alle von ihnen durch Spezialkräfte befreit werden können, wie Hagari oft betont.
Israels Armee warnt Hizbollah vor Eskalation
In Sicherheitskreisen erwartet man, dass bald noch mehr Soldaten im Westjordanland nötig sind. Zudem will sich die Armee stärker auf die Hizbollah-Miliz konzentrieren, die seit Monaten Raketen und Drohnen aus dem Libanon abfeuert. 60’000 Israelis wurden daher in Sicherheit gebracht, und nicht nur Verteidigungsminister Joav Gallant fordert, «die Situation im Norden» zu verändern, damit die Menschen sicher nach Hause kehren können.
Am Mittwochabend versicherte Israels Generalstabschef Halevi erneut: «Wir haben natürlich unendlich viel grössere Fähigkeiten, von denen der Feind meiner Meinung nach nur wenige kennt.» Zuvor hatte Hizbollah-Chef Hassan Nasrallah bei der Trauerfeier für den getöteten Hizbollah-Kommandanten erklärt, man sei bereit, ohne Einschränkungen und Regeln zu kämpfen, und Israel müsse «an Land, im Wasser und in der Luft mit uns rechnen». Er betonte aber, keinen gross angelegten Krieg mit Israel anzustreben.
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