Krieg in NahostDrei Phasen und eine Frage – das ist Israels Kriegsplan
Die Regierung gibt erstmals Einblick in ihre Strategie. Sie will sich aus Gaza zurückziehen, wenn das Hamas-Regime besiegt ist. Dann sollen andere für Sicherheit sorgen. Nur, wer?
Zu Beginn der dritten Kriegswoche stehen die Zeichen in Nahost auf Eskalation. Israels Luftwaffe hat die Angriffe auf den Gazastreifen verstärkt und obendrein in der Nacht zum Sonntag in einem höchst ungewöhnlichen Schritt auch ein Ziel in Jenin im Westjordanland bombardiert. (Lesen Sie alle News im Ticker)
Im Norden an der Grenze zum Libanon hält die vom Iran gesteuerte Hizbollah mit dosierten Angriffen die Angst vor einer zweiten Front wach. Die USA reagieren auf eine mögliche Ausweitung des Kriegsschauplatzes mit einer Verlegung weiterer Waffensystem ins östliche Mittelmeer. Immerhin einen Lichtblick aber hat es inmitten der düsteren Kriegsszenarien gegeben: Die Hamas liess die ersten beiden Geiseln aus dem Gazastreifen frei: eine Mutter und ihre 17-jährige Tochter mit US-Pässen.
Einem israelischen Militärsprecher zufolge sollen die intensiven Luftangriffe auf Gaza, denen nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums inzwischen fast 4500 Menschen zum Opfer gefallen sind, «die besten Bedingungen für die nächste Phase des Kriegs» schaffen. Dies wird als weiteres Indiz für eine bald beginnende Bodenoffensive gesehen.
Hohe eigene Verluste erwartet
Dabei rechnet das israelische Militär nach den Worten eines Sprechers mit schweren Verlusten auf der eigenen Seite. Die israelische Strategie bestehe darin, in Vorbereitung der nächsten Phase des Militäreinsatzes die Hamas zu schwächen, sagt Oberstleutnant Jonathan Conricus dem US-Sender Fox TV. «Wir gehen davon aus, dass die Hamas das Schlachtfeld vorbereitet hat und, zumindest in der ersten und in der Zwischenphase, kämpfen und den israelischen Streitkräften schwere Verluste zufügen wird.» Conricus bezieht sich bei den Vorbereitungen der Hamas vor allem auf die Tunnel, die von der radikal-islamischen Gruppe schon in der Vergangenheit für Angriffe genutzt wurden.
Verteidigungsminister Joav Gallant gab am Wochenende erstmals Einblick in Israels längerfristige Kriegsplanung. Demnach sollen die Luftangriffe und die erwartete anschliessende Invasion mit Bodentruppen nur die erste von insgesamt drei Phasen sein. Zum Ende dieser ersten Phase soll das Hamas-Regime im Gazastreifen zerstört sein. Danach, so heisst es, werde es in Phase zwei noch weiter Kämpfe mit niedrigerer Intensität geben, um verbliebene Zellen des Widerstands zu beseitigen.
In Phase drei will Israel dem Verteidigungsminister zufolge eine «neue Sicherheitsrealität» rund um Gaza schaffen und Israels Verantwortung für die im Küstenstreifen lebenden 2,2 Millionen Palästinenser komplett abstreifen. Wer dann dort das Vakuum füllen soll, lassen die israelischen Pläne offen. Infrage kämen die im Westjordanland regierende Palästinensische Autonomiebehörde von Präsident Mahmoud Abbas oder auch die UNO, die für eine Übergangsphase eine Art Protektorat errichten könnte.
Zwei Frauen kommen frei – doch die Gesamtzahl der Geiseln steigt.
Indes haben die ersten Hilfslieferungen in den Gazastreifen die humanitäre Lage nur wenig verbessern können. Nachdem bereits am Samstagmorgen 20 Sattelschlepper über den ägyptischen Grenzübergang Rafah Lebensmittel, Medikamente und Wasser zu den notleidenden Menschen gebracht hatten, folgte am Sonntagnachmittag noch einmal ein Konvoi mit 17 Wagen.
Dies jedoch reicht bei weitem nicht aus zur Versorgung der Bevölkerung. Die UNO warnt vor einer Katastrophe und schätzt, dass mindestens 100 Lastwagen-Ladungen pro Tag nötig sind, um den Mindestbedarf zu decken. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres fordert – wohl ohne Aussicht auf Erfolg – einen «humanitären Waffenstillstand», um Hilfslieferungen in grösserem Stil zu ermöglichen.
Ein Einzelfall ist bislang die Freilassung zweier US-Amerikanerinnen aus Geiselhaft am Freitagabend geblieben. Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock sprach zwar von einem «kleinen Funken Hoffnung auch für andere». Die Dimension dieses Dramas wird jedoch allein dadurch deutlich, dass nach der Freilassung dieser beiden Frauen trotzdem die offizielle Zahl der im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln gestiegen ist. Nach neuen Erkenntnissen geht Israels Armee nun von 212 Geiseln aus – mindestens.
Hamas will mit internationalen Geiseln Druck machen
Die Hamas hat mit der Freilassung gewiss ein paar Punkte sammeln wollen, vor allem gegenüber den Geldgebern aus Katar, die als Vermittler in der Geisel-Frage aktiv sind. Zudem hoffen die Hamas-Anführer womöglich darauf, dass Signale zur Freilassung von Geiseln mit ausländischen Pässen den internationalen Druck auf Israel erhöhen könnte, die geplante Bodenoffensive zu verschieben.
Israels Führung allerdings gibt dazu keinerlei Signale. Vielmehr wird mit aller Kraft demonstriert, dass die Armee nicht nur in Gaza, sondern auch an anderen Fronten kampfbereit ist. Ein Beleg dafür war der nächtliche Luftangriff auf eine Moschee in Jenin im Westjordanland, die nach israelischen Angaben von der Hamas als Terror-Kommandozentrale genutzt worden war.
Mit gleicher Entschlossenheit werden auch Angriffe der Hizbollah aus dem Libanon beantwortet. «Wir sehen jeden Tag mehr und mehr Angriffe», erklärte ein israelischer Armeesprecher. Dies sei ein «sehr, sehr gefährliches Spiel». Die Hizbollah ziehe damit «den Libanon in einen Krieg hinein, bei dem er nichts gewinnen, aber viel verlieren wird», warnte er.
Mit der Verlegung weiterer Waffensysteme in die Region hoffen die USA auf einen noch stärkeren Abschreckungseffekt. Ob dies jedoch die Hizbollah und das dahinterstehende Regime im Iran beeindruckt, ist zu Beginn dieser dritten Kriegswoche immer noch ungewiss.
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