Innovative KunststoffeBioplastik kann die Plastikkrise nicht lösen
Biologisch abbaubare Kunststoffe können zwar einen Beitrag für die Umwelt leisten. Sie sind aber nicht in jedem Fall umweltfreundlicher.
Die Menge, die weltweit jährlich an Plastikabfall anfällt, ist mit mehr als 350 Millionen Tonnen unvorstellbar gross. Zum Vergleich: Würde man alle Menschen der Erde auf eine Waage stellen, käme man auf knapp 290 Millionen Tonnen Körpergewicht. (Das berechneten Forschende zumindest vor einigen Jahren.)
Für diesen seit 70 Jahren ungebremsten Boom der vielseitig einsetzbaren Plastikprodukte gibt es gute Gründe: die günstige Herstellung aus Erdöl und die Haltbarkeit. Doch genau diese Vorteile sind ökologisch betrachtet das grosse ungelöste Manko.
Das erste Problem: Herkömmliches Plastik wird aus fossilen Ausgangsmaterialien hergestellt und ist deshalb nicht nachhaltig. Und zweitens ist konventionelles Plastik in der Natur so gut wie nicht biologisch abbaubar. Die Kunststoffe werden höchstens mechanisch zerrieben oder zerfallen durch UV-Licht. Die Bruchstücke verbleiben aber Hunderte von Jahren in der Umwelt und verbreiten sich schliesslich als Mikro- und Nanoplastik überallhin – bis in unsere Nahrung und unsere Körper.
In Europa gehöre die Schweiz zu den grössten Plastikabfallproduzenten. Mehr als eine Million Tonnen an Plastik nutzten wir hierzulande pro Jahr. Darunter seien langlebige Kunststoffteile wie Fensterrahmen oder Autoausstattungen, schreibt das Bundesamt für Umwelt (Bafu), aber auch Verpackungen oder Einweggeschirr, die nach kurzem Gebrauch im Müll landeten oder recycelt würden. So werden pro Jahr 790’000 Tonnen Kunststoffe in Kehrichtverbrennungsanlagen oder in Zementwerken verbrannt – und die dabei entstehende Energie wieder genutzt. Ein Teil davon wird recycelt, sodass aus einer PET-Flasche wieder eine PET-Flasche wird. Oder das Plastik wird in einem anderen Produkt wiederverwertet und so dem Stoffkreislauf wieder zugeführt.
14’000 Tonnen Plastik in Schweizer Böden pro Jahr
«Dennoch gelangen in der Schweiz jedes Jahr rund 14’000 Tonnen Kunststoffe in die Böden und Gewässer – hauptsächlich durch den Abrieb und die Zersetzung von Kunststoffprodukten», schreibt das Bafu. Und dann gibt es noch die Kunststoffabfälle, die Leute «unsachgemäss entsorgen», wozu neben Verpackungen oder Flaschen auch Zigarettenfilter gehören.
Wäre die Lösung, die Plastikherstellung grundlegend zu überdenken? Welchen Beitrag kann zum Beispiel Bioplastik leisten? Über diese Fragen diskutierten Expertinnen und Experten im Oktober bei den Engelberger Dialogen 2023 auf Einladung der Academia Engelberg.
Was gut klingt, ist erst einmal verwirrend. «Der Begriff Bioplastik ist schwammig», sagt Claudia Som von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa). Dabei geht es einmal darum, ob die Kunststoffbestandteile aus nachwachsenden oder fossilen Ausgangsstoffen stammen (wobei es auch Mischformen gibt). Das zweite Kriterium ist, ob das Plastik biologisch abbaubar ist oder nicht. Wobei die Bedingungen je nach Material unterschiedlich sind. Manches biologisch abbaubare Plastik könnte zwar im eigenen Kompost verrotten, andere Materialien benötigen dafür aber spezielle Bedingungen von industriellen Kompostieranlagen, etwa eine Temperatur von 70 Grad.
Claudia Som schaut sich unter anderem die Umweltbilanzen von Kunststoffen an. Die Umweltwissenschaftlerin findet grundsätzlich das Recycling von Biokunststoffen sinnvoller als den biologischen Abbau. «In den biobasierten Kunststoffen ist CO₂ fixiert, wenn wir diese durch Mikroorganismen abbauen lassen, so wird das CO₂ wieder freigesetzt», sagt Som. «Wenn wir die Stoffe hingegen wiederverwenden, bleibt das CO₂ gebunden und wird so der Atmosphäre entzogen.»
Wünschenswert sei, mit biobasiertem Plastik fossile Materialien zu ersetzen, sagt Som. Die biobasierten Stoffe sollten dazu eine lange Lebensdauer und hohe Qualität erreichen, sodass sie recycelt werden können. Optimal wäre es, für diese Prozesse erneuerbare Energien einzusetzen. Allerdings müssten die Firmen, die sich auf umweltfreundliche Plastikalternativen spezialisieren, das gleiche Material herstellen, um die Kreisläufe für diese neuen Stoffe zu etablieren.
Davon sind wir weltweit und in der Schweiz noch weit entfernt.
Derzeit ist unter den biobasierten und biologisch abbaubaren Kunststoffen PLA (Polymilchsäure) führend. Die Milchsäure für PLA wird aus Zucker und Stärke hergestellt, die Rohstoffe dafür sind Mais oder Zuckerrohr. Zwei Firmen aus den USA und Thailand sind die wichtigsten Produzenten. «Die Rohstoffe für PLA haben den Nachteil, dass sie in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion stehen», sagt Som. Hinzu komme der «ökologisch negative Rucksack», da Mais oder Zuckerrohr in der Regel in intensiver Landwirtschaft angebaut werden, also mit Pestiziden, Düngemitteln und Maschineneinsatz. «Bioplastik ist also nicht per se umweltfreundlicher», sagt Som. Aber es seien viele weitere spannende Stoffe in der Pipeline, zum Beispiel Materialien, die aus Schweizer Holz gewonnen werden könnten.
Michael Sander von der ETH Zürich ist davon überzeugt: «Biologisch abbaubare Kunststoffe können zwar die weltweite Plastikkrise nicht lösen, aber dieses Plastik ist ein Teil der Lösung.» Denn für manche Anwendungen sei es sinnvoll, biologisch abbaubares Plastik einzusetzen. «Immer dann, wenn das Plastik in der Umwelt verwendet wird und danach nicht wieder vollständig zurückgeholt werden kann», sagt Sander. Der Umweltchemiker untersucht das Umweltverhalten dünner Mulchfolien in der Landwirtschaft. Dank dieser Folien haben Feldpflanzen eine längere Wachstumsperiode, benötigen weniger Wasser und Pestizide, da unter der Folie keine Unkräuter gedeihen. Der Nachteil: Weil sie so dünn sind, zerreissen sie schnell, und nicht alle Stückchen können vom Acker geholt werden. Handelt es sich um Folien aus herkömmlichen Kunststoffen, meist Polyethylen, verbleiben die Reste im Boden.
«Die Schweizer Landwirtschaft verbraucht schätzungsweise 19’500 Tonnen Plastik pro Jahr. Das sind etwa 2 bis 4 Prozent der nationalen Plastiknachfrage in der Schweiz», schrieben Forschende der Agroscope und Empa 2019 in der Fachzeitschrift «Agrarforschung Schweiz». Davon verbleiben etwa 160 Tonnen pro Jahr in den Böden – so viel wiegt ein Blauwal.
«Hier können biologisch abbaubare Folien sinnvoll sein», sagt Sander. Diese dünnen Folien sind bereits auf dem Markt. Der ETH-Forscher untersucht, unter welchen Bedingungen sie auf den Feldern verrotten. «Je nach Bodenbeschaffenheit, pH-Wert, Temperatur oder Feuchtigkeit können die untergepflügten Folien unterschiedlich schnell von den Mikroorganismen abgebaut werden.»
Stabil oder biologisch schnell abbaubar?
Das Material der Folien ist bisher nicht vollständig biobasiert, da neben der Polymilchsäure (PLA) auch ein zweites Polymer, PBAT, mit fossiler Herkunft enthalten ist. Dieses Polymer kann aber von Mikroorganismen im Boden ebenso wie biobasierte Materialien abgebaut werden. PBAT ist chemisch so aufgebaut, dass die Bodenmikroorganismen die Strukturen knacken können. «Bioabbaubar heisst, dass der Kunststoff vollständig umgewandelt wird und dass keine Einheiten entstehen, die stabil oder toxisch sind», sagt Sander. Das gelte auch für Zusatzstoffe wie Pigmente, Fotostabilisatoren oder Weichmacher.
Oft sind die unterschiedlichen Anforderungen an biologisch abbaubares Plastik schwer vereinbar oder gar gegensätzlich: Sie sollen stabil, aber nach Gebrauch möglichst schnell abbaubar sein. Und hier wird es schwierig. In der Praxis dauert es bei biologisch abbaubaren Folien, die möglichst lange halten, deutlich länger, bis sie zersetzt sind. Werden die Folien hingegen zügig von den Mikroorganismen verwertet, zerfallen sie zu schnell und nützen den Feldpflanzen nicht.
Eine andere Möglichkeit ist, stabilere und dickere herkömmliche Plastikfolien einzusetzen, wie das beim Spargelanbau der Fall ist. Unter anderem, um die Temperatur zu regeln. Diese hochwertigen Folien werden jeweils eingesammelt und können 8 bis 12 Jahre genutzt und danach zum Beispiel zu Abfallsäcken verarbeitet werden.
«In Anwendungen, bei denen Plastik in der Umwelt bleibt, sollten auf jeden Fall biologisch abbaubare Kunststoffe eingesetzt werden», sagt Sander und nennt als Beispiele: Feuerwerksraketen, deren Plastikspitzen unkontrolliert in die Umwelt geschossen und nicht wieder eingesammelt werden, oder Plastikummantelungen bei Setzlingen im Wald, die die kleinen Bäume vor Wildfrass schützen.
Länger haltbare Gurken und Bananen
Es gibt aber noch weitere Anwendungen, und zwar bei unseren Nahrungsmitteln. Das ewige Thema, ob eine Biogurke mit Plastikfolie geschützt werden soll oder nicht, wäre damit vom Tisch. Gustav Nyström von der Empa hat zusammen mit seinem Team ein auf Zellulose basiertes Spray entwickelt, um Obst und Gemüse zu schützen. Die Forschenden überzogen die Lebensmittel mit einer Folie aus biologisch abbaubarem Plastik. Die Zellulose stammt aus dem Karottenbrei, der bei der Saftproduktion übrig bleibt. Tatsächlich blieben die so geschützten Bananen eine Woche länger haltbar, Gurken sogar bis zu 16 Tage. Das sei fast so lange wie mit einer herkömmlichen Plastikfolie, sagte Nyström in Engelberg.
Noch ist die Verarbeitung von Zellulose jedoch teurer als die Herstellung von herkömmlichem Plastik. Nyström kann sich aber vorstellen, dieses Verfahren in kleineren Anlagen direkt bei Gemüseproduzenten einzuführen.
Fazit: Das Plastikproblem, das wir in den Böden, Gewässern und den Weltmeeren haben, können wir mit biologisch abbaubarem Plastik nicht lösen. Bisher beträgt der Anteil von Bioplastik nur ein Prozent des weltweit verwendeten Kunststoffs. Bioplastik ist zu teuer und meist weniger haltbar. «Ausserdem soll bioabbaubares Plastik nie die Lösung für ein unsachgerechtes Entsorgen sein», sagt Sander.
«Es müssen neue Geschäftsmodelle und neue Technologien für Materialkreisläufe entwickelt werden, um fossiles und biobasiertes Plastik nachhaltiger zu produzieren und zu nutzen und Abfälle zu vermeiden», sagt Claudia Som.
Die Realität sieht anders aus. In China, wo der grösste Teil an Kunststoffen hergestellt wird, werden neue Produktionsanlagen gebaut. Die OECD erwartet, dass sich die Kunststoffabfälle vom Jahr 2019 bis ins Jahr 2060 verdreifachen werden – auf 1014 Millionen Tonnen.
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