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Interview zu Titanic-Tauchgang
«Ich kenne zwei Insassen der Kapsel persönlich»

Das verschollene U-Boot Titan: Klopfgeräusche lassen hoffen, dass die Insassen noch leben.
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Frau Saar, wie stark beschäftigt Sie das Unglück, das dem Tauchboot bei der Expedition zur Titanic zugestossen ist?

Extrem stark. Denn ich bin selber einmal in einer Unterwasserkapsel zum Wrack runtergetaucht. Und ich kenne zwei der Insassen, die jetzt verunfallt sind, persönlich. Mit Stockton Rush, dem Piloten und Chef der Firma, die diese Tauchgänge veranstaltet, habe ich über die Jahre viele Interviews geführt. Ich bin mit ihm sogar befreundet. Auch mit dem französischen Titanic-Forscher Paul-Henri Nargeolet habe ich mich schon mehrmals ausgetauscht. Er erklärt den zahlenden Gästen bei diesen Expeditionen, welchen Teil des gesunkenen Schiffes sie gerade sehen und was es damit auf sich hat.

Brigitte Saar beim Treffen des Titanic-Vereins Schweiz am 19. Mai 2023 in Arbon am Bodensee.

Wie haben Sie die beiden verunglückten Männer kennen gelernt?

Ich beschäftige mich seit Jahren intensiv mit der Geschichte der Titanic, ich bin Vizepräsidentin des schweizerischen Titanic-Vereins und Fernsehjournalistin beim ZDF. Kennen gelernt habe ich Stockton und Paul-Henri im Rahmen dieser Tätigkeit.

Sie sind selber schon einmal zum Wrack runtergetaucht. Wie lief die Expedition damals ab?

Das war 1998, ich konnte eine Expedition des russischen Meeresforschungsinstituts begleiten. Sieben Jahre später war ich dann nochmals auf einer vergleichbaren Expedition, aber nur als Beobachterin. Getaucht bin ich beim zweiten Mal nicht mehr. 1998 sind wir bei sehr strammem Wetter rausgefahren, ich wurde dann auch ordentlich seekrank. Die Reise von St. John’s in Neufundland, von wo die Expeditionen normalerweise starten, bis zum Punkt, an dem die Titanic gesunken ist, dauert etwas länger als einen Tag. Bei uns dauerten die technischen Vorbereitungen für den Tauchgang dann nochmals rund 24 Stunden. Das geht heute schneller. Eigentlich war die Wartezeit aber ganz angenehm.

«Bevor sich das aktuelle Unglück ereignete, hatten bereits vier erfolgreiche Expeditionen stattgefunden.»

Warum?

Weil ich den Piloten kennen lernen und mit ihm ein paar Gespräche führen konnte. Ich hatte auch Gelegenheit, mich mal in die Kapsel zu setzen und an die Enge zu gewöhnen. Es fanden mehrere Tauchgänge mit jeweils unterschiedlichen Passagieren statt, dazwischen gab es Ruhe- und Wartungstage. Insgesamt dauerte die ganze Expedition zwei Wochen. Heute hingegen finden achttägige Teilexpeditionen statt.

Was heisst das konkret?

Das Mutterschiff fährt mit weniger Gästen zur Untergangsstelle und kehrt nach acht Tagen nach St. John’s zurück, um neue Passagiere zu holen. Bevor sich das aktuelle Unglück ereignete, hatten bereits vier erfolgreiche Expeditionen stattgefunden.

«Insgesamt waren wir rund elf Stunden unter Wasser.»

Solche Tauchgänge sind extrem teuer. Gehören Sie zu den sogenannten Superreichen?

Nein. Damals waren die Tauchgänge noch nicht so teuer – in meinem Fall 32’500 Euro. Ich bin für die Sendung «Welt der Wunder» zur Titanic runtergetaucht, die Kosten hat der Fernsehsender getragen.

Ich nehme an, Sie waren mit einem anderen Tauchboot unterwegs als jenem, das jetzt verunfallt ist.

Ja. Die betroffene Kapsel ist erst seit drei Jahren im Einsatz.

Wie haben Sie den Tauchgang erlebt?

Die Tauchfahrt mit der Kapsel bis zum Wrack dauert etwa zwei bis drei Stunden. Wir blieben dann etwa fünf Stunden bei der Titanic. Die Rückkehr an die Wasseroberfläche dauert etwas länger als die Hinfahrt. Insgesamt waren wir rund elf Stunden unter Wasser.

«Die Frage, was bei einem Notfall passiert – die muss man schon selber stellen.»

Wurden Sie zuvor auf mögliche Notfälle hingewiesen oder vorbereitet?

Die Frage ‹Was machen wir eigentlich, wenn etwas passiert?› – die muss man schon selber stellen. Dann zeigen sie einem die Schutzmechanismen und Vorkehrungen, etwa die Sensoren, die überprüfen, ob die Luft in der Kapsel die richtige Zusammensetzung hat. Oder sie erklären einem, dass man bei einem Notfall die Hälfte der Batterien abwerfen und dadurch kontrolliert auftauchen kann.

Wie viele Personen waren in der Kapsel?

Wir waren zu dritt. Der Pilot und zwei Passagiere.

Gab es Momente der Unsicherheit oder Beklemmung? Kamen Ihnen Gedanken wie ‹Wenn jetzt etwas passiert, dann bleiben wir hier unten und sterben einsam in einer Tiefe von 3000 Metern›?

Es gab einen Moment, als der Sensor für die Atemluft einen falschen Alarm auslöste. Das war so ein schrilles Geräusch, das sich in kurzen Abständen wiederholte. Ich bin zunächst sehr erschrocken, aber dann hat uns der Pilot erklärt, dass der Alarm durch einen kondensierten Wassertropfen am Sensor ausgelöst wird und darum harmlos ist. Und ja, ich habe schon realisiert, wie einsam man da unten ist und wie sehr mein Schicksal in den Händen dieses Piloten lag. Es sind damals zwei Kapseln gleichzeitig runtergetaucht. Als die zweite ankam, habe ich mich wie ein kleines Kind gefreut, dass da jetzt noch ein paar Menschen mehr in der Nähe waren. Ich habe sogar gewinkt, obwohl mich die Passagiere in der anderen Kapsel natürlich gar nicht sehen konnten.

Und dann?

Dann sah ich das Wrack der Titanic, es prasselten unzählige Bilder und Eindrücke auf mich ein – in einer solchen Situation hat man keine Zeit und keine Lust, sich Sorgen zu machen und tiefgründig darüber zu philosophieren, was jetzt wäre, wenn dieses oder jenes geschähe. In Erinnerung ist mir aber auch etwas anderes geblieben.

«Man unterschreibt ein Dokument, in dem ein möglicher Todesfall explizit erwähnt wird.»

Was denn?

Die Veranstalter lassen einen vor dem Tauchgang einen Haftungsausschluss unterschreiben. Da wird explizit erwähnt, dass der Todesfall ein Szenario ist und sie dafür nicht haften. Das haben auch die Menschen unterschrieben, die jetzt in der Kapsel drin sind und hoffentlich noch leben. Ich war damals zwanzig Minuten um den Küchentisch getigert, bevor ich das Dokument unterzeichnete.

Die Kundinnen und Kunden, die bei solchen Expeditionen zur Titanic tauchen, bezahlen rund 250’000 Dollar. Es sind viele Manager, CEOs und Firmenbesitzer darunter – also Leute mit sehr gedrängter Agenda. Könnte dies die Betreiberfirma dazu veranlassen, die Tauchgänge auch bei ungünstiger Witterung durchzuführen?

Das Problem stellt sich tatsächlich, denn für einen superreichen Manager ist es meist keine Option, ein paar Tage zu warten oder in ein paar Wochen ein zweites Mal aufzubrechen. Die Betreiber riskieren bei schlechter Witterung also, sich mit extrem unzufriedenen Kunden konfrontiert zu sehen, die extrem viel bezahlt haben.

Und?

Sie haben das Problem entschärft, indem sie die Preise für einen Tauchgang kürzlich verdoppelt haben, auf 250’000 Dollar. Und in diesem Preis ist eingeschlossen, dass die Kundschaft zu irgendeinem beliebigen späteren Zeitpunkt ohne zusätzliche Kosten nochmals teilnehmen darf, falls ein Tauchgang wegen schlechter Verhältnisse ausfällt. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Nein, ich glaube nicht, dass sie trotz riskanter Verhältnisse tauchen. Schon deshalb nicht, weil es bei hohem Seegang äusserst schwierig ist, die Kapsel überhaupt vom Begleitschiff ins Wasser zu bringen.

Die Frage ist sehr spekulativ – aber glauben Sie, dass die beiden Männer in der verunfallten Kapsel, die Sie kennen, es schaffen, Ruhe zu bewahren und die anderen zu beruhigen?

Paul-Henri Nargeolet war mehr als 20 Jahre bei der französischen Marine, unter anderem als Kommandant einer Tauchereinheit zur Räumung von Seeminen. Der wird sicher beruhigend auf die anderen einwirken können und im Grunde wissen, was zu tun ist. Stockton Rush ist meiner Erfahrung nach auch ein sehr besonnener, ruhiger Typ. Wie die zahlenden Passagiere mit der Situation umgehen, ist aber natürlich komplett spekulativ.

Wie gross ist Ihr Optimismus, dass die Rettung gelingt?

Dass die amerikanische Küstenwache Klopfgeräusche aus der Tiefe des Meeres registriert hat, ist sicher eine gute Nachricht. Aber die Wahrscheinlichkeit eines glücklichen Endes wird leider von Stunde zu Stunde geringer. Denn selbst wenn man die Kapsel findet und die Insassen noch leben, müssen sie ja auch geborgen werden. Vielleicht ist auch gleich am Anfang etwas so Schlimmes passiert, dass keine Rettung mehr möglich ist. Aber wir reden darüber, dass ein Freund und ein guter Bekannter in Lebensgefahr oder schon tot sind – da möchte ich jetzt nicht mathematisch ausklamüsern, wie gross welche Wahrscheinlichkeit ist.