Mamablog: Kinderbuch «Hey, hey, hey, Taxi!»«Ich bin mit Raben aufgewachsen, die Füchse austricksen»
Der Buchpreisträger Saša Stanišić hat zum ersten Mal ein Kinderbuch geschrieben. Ein Gespräch mit ihm und Illustratorin Katja Spitzer über Fantasien, neue Helden und eigene Kindheitserinnerungen.
Nicht alles muss immer gleich ein Podcast sein. Wenn Saša Stanišić seinem Sohn Geschichten erzählt, würde man jedoch gern mithören können. Gegenseitig schaukeln die beiden einander hoch, stacheln sich an zu immer schöneren und absurderen Vorstellungen und erfinden Lösungen für Probleme, die es kurz zuvor noch gar nicht gab. Während der Podcast weiter auf sich warten lässt, ist nun zumindest ein Vorlesebuch erschienen, das auf den Abenteuern und der Vorstellungskraft des Autors und seines Sohnes basiert. «Hey, hey, hey, Taxi!» erklärt die gelben Autos zu magischen Vehikeln, die als Ausgangspunkt für Geschichten über Piratenschiffe in Badewannen oder zu klein geratene Riesen dienen.
Stanišić bringt damit sein erstes Kinderbuch heraus. Es ist nicht nur in Zusammenarbeit mit seinem Sohn entstanden, sondern auch mit der Illustratorin Katja Spitzer, die den Geschichten wunderbar andeutungsreiche Bilder hinzugefügt hat. Spitzer und Stanišić, der für seinen autobiografisch geprägten Roman «Herkunft» im Jahr 2019 mit dem deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde, wenden sich damit an Kinder im Alter von vier bis acht Jahren, aber auch an engagierte Vorleserinnen. «Die kindliche Fantasie ist die Heldenfigur des Buchs», sagt Stanišić. «Wie auch immer und wo auch immer sie auftritt: Wir Eltern und Vorleserinnen sollten uns auf sie einlassen. Es ist keine lange Zeit, in der sie unbeschwert und reich sein wird.»
Katja Spitzer, in «Hey, hey, hey, Taxi!» stecken bereits die Texte so sehr voller Ideen und bildlicher Beschreibungen, dass ich mich fragte: Hat das Ihrer Arbeit als Illustratorin einen Rahmen gegeben, der eher hilfreich oder einengend war?
Spitzer: Die Geschichten haben ziemliches Tempo, ein Bild folgt dem nächsten. Ich konnte mich bedienen, musste aber nicht überall zugreifen. Herausfordernd war eher die Entscheidung, welches Bild ich für die jeweilige Geschichte auswähle – einige von ihnen hätten eigene Bilderbücher sein können, da hätte ich gern noch mehr gezeichnet. Ich finde es aber auch prima, wenn Kinder sagen: «Wo ist denn der Oktopus, ich sehe nur seine Beine?» Vielleicht wollen sie dann ja selbst noch einen zeichnen.
Der Stil Ihrer Illustrationen und Zeichnungen wirkt auf mich auch abseits der Zusammenarbeit mit Saša Stanišić im besten Sinne kindlich. Oft habe ich das Gefühl, dass Sie Dinge so verbildlichen, wie Kinder sie sich vorstellen würden.
Spitzer: Wenn Kindern meine Bilder gefallen, ist das natürlich das Allerschönste. Ich habe mich sehr gefreut, als Saša mir erzählte, dass sein Sohn mich als Illustratorin mit ausgesucht hat. Tatsächlich hat mir das auch Zweifel genommen beim Arbeiten. Kinder sind ja zum Glück oft nicht diplomatisch und sagen schnell, wenn sie etwas nicht mögen. Beim Zeichnen versuche ich mit meinen Figuren in Kontakt zu kommen. Ich verbringe Zeit mit ihnen, also sollten sie möglichst interessant sein.
Saša Stanišić, «Hey, hey, hey, Taxi!» ist Ihr erstes Kinderbuch. Gab es bestimmte Herangehensweisen, Techniken oder auch Marotten aus Ihrer bisherigen Arbeit als Autor, die Ihnen beim Schreiben geholfen haben?
Stanišić: Ja, absolut. Schreiben ist Schreiben. Wörter hintereinander zu Sätzen bauen, je grandioser, desto grandioser. Ich will es auch zum eigenen Vergnügen so haben, dass Sprachspiel stattfindet und Absurdes und Humor. Der einzige Unterschied war für mich das permanente Wissen um die Zielgruppe – das Wissen also, dass die Texte einen bestimmten intellektuellen Rahmen haben sollen, in dem zwar viel Dynamik möglich ist, aber eben manchmal Bestimmtes vermieden werden sollte. Von einzelnen Ausdrücken, die das Kind aus der Illusion der Welt herausbringen würden, bis hin zu ganzen Vorgängen, die von den Vorleserinnen eine zu extreme Erklärerei nach sich ziehen würden.
Sie haben das Buch in enger Zusammenarbeit mit Ihrem Sohn geschrieben. Wie genau muss man sich das vorstellen?
Stanišić: Eine Form des «Mitschreibens» war etwa das Einsteigen in die Geschichte. Das können Sie sich wie eine Einladung vorstellen, Figur zu werden, handelnd und mitwirkend. Meistens geschah das auf dem Höhepunkt einer Problemstellung. Etwa: Die Piraten parken im Schiffparkverbot, sollen abgeschleppt werden. Ich rief dann in der Geschichte meinen Sohn an, und der kam immer mit einem anderen Fahrzeug dazu und löste das Problem. Aus der Art und Weise, wie er das Problem löste und die Geschichte zu Ende brachte, baute ich wiederum später meine Geschichten zu Ende.
Wann mussten Sie in den Spielverderber-Modus schalten, um das Ganze in eine vorlesbare Form zu bringen?
Stanišić: Manchmal sprengte mein Sohn die Geschichten völlig, was total okay ist. Das wollte ich für das Buch aber nicht imitieren, da es wirklich ein sehr spezifisches Miteinander erfordert, welches sich bei uns über die Jahre etabliert hat. Das «in vorlesbare Form bringen» geschieht später. Es sind ganz neue Sätze, die ich dann schreibe, da ich mich kaum genau an diejenigen erinnern kann, die ich meinem Sohn spontan erzählt hatte. Ich erzähle die Geschichten auf Bosnisch. Das bedeutet also, dass auch eine weitere Übertragungsleistung stattfindet – aus dem Spontanen ins Aufgeschriebene und dann noch aus dem Bosnischen ins Deutsche.
Welche Erinnerungen haben Sie an die Kinder- und Jugendliteratur, mit der Sie selbst aufgewachsen sind?
Spitzer: In der DDR gab es tolle Kinderbücher und fantastische Illustratorinnen und Illustratoren. Ihre Namen konnte ich als Kind auswendig, noch bevor ich lesen konnte: Hans Ticha, Volker Pfüller, Ruth Knorr, Egbert Herfurth, Elisabeth Shaw, Manfred Bofinger, Albrecht von Bodecker. Mein Lieblingsbuch waren die «Geschichten aus der Murkelei» von Hans Fallada, mit Bildern von Hans Ticha. Beim Anblick seiner Figuren, zum Beispiel der Höllenhunde Neid und Gier, habe ich mich fantastisch gegruselt.
Stanišić: In Jugoslawien gab es sehr gute Jugendliteratur, die abenteuerlich und verrückt war, gleichzeitig sehr verbunden mit dem Leben in dem multiethnischen Land. Dafür aber eine miserable Kinderliteratur, die zum grössten Teil aus Übersetzungen von weltbekannten Märchen und Fabeln bestand. Hans-Christian Andersen, Brüder Grimm, so was. Ich bin also früh mit irgendwelchen Raben aufgewachsen, die Füchse austricksen. Oder war es umgekehrt? Auch egal. Branko Ćopić ist ein Autor, der mir in guter Erinnerung geblieben ist mit seinen Jugendwerken, da war ich aber sicher schon elf oder zwölf Jahre alt.
Ist ein Kinderbuch aus Illustratorinnen- und Autorensicht eine Form des produktiven Eskapismus? Erlaubt es Ihnen, die Augen eine Zeit lang vor den Dingen der Erwachsenenwelt zu verschliessen?
Spitzer: Ein Buch zu machen, egal ob für Kinder oder Erwachsene, ist zunächst einmal Arbeit. Ideen müssen gefunden, Skizzen gemacht, Bilder gezeichnet werden. Zusammen mit unserer wunderbaren Grafikdesignerin Paulina Pysz haben wir die Seiten geplant. Das hat wenig mit Eskapismus zu tun. Ob ich für Kinder oder Erwachsene illustriere, macht da erstmal keinen Unterschied.
Stanišić: Da die Welt immer in die Welt des Buches fliesst, ist sie nie vollends ausgeblendet. Allein schon wie oft so etwas wie «Verkehr» in den Geschichten eine Rolle spielt, die ich meinem Sohn erzählt habe. Und unter all dem wunderbaren magischen Quatsch liegen auch Themen – das, von dem ich meine, dass es meinen Sohn oder Kinder in seinem Alter beschäftigt.
Mich hat besonders gefreut, dass Ihr Buch keine Geschlechterklischees über Jungs und Mädchen reproduziert, wie es immer noch viel zu häufig in der Kinderliteratur passiert.
Stanišić: Es geht schlicht darum, nicht Rollen zu schaffen, sondern Menschen zu erschaffen. Nicht Trägerinnen von Zuschreibungen, sondern Handelnde aus eigenen Eigenschaften heraus. Macht man das so, besteht die Gefahr gar nicht erst, in biedere Geschlechterei abzubiegen.
Ein weiterer Unterschied zur traditionellen Kinderliteratur: Es gibt in Ihrem Buch keine klassische Heldenfigur. Stattdessen erzählt in vielen der Geschichten ein unsichtbarer Ich-Erzähler. Kam Ihnen das wie ein Wagnis vor?
Stanišić: Es hätte sich sicher angeboten, einen Mohammed oder eine Luisa zu einem Helden, einer Heldin zu machen, und ihn oder sie diese Abenteuer erleben zu lassen. Das hätte vor allem etwas an der Richtung der Identifikation geändert. Ein fast noch grösseres Wagnis ist aber das Präsens. Es macht einen Riesenunterschied in der Wirkung und im Tempo aus. Das nachträgliche Erzählen ist für die allermeisten Kinderbücher bezeichnend. Etwas ist schon zu Ende gegangen, und da es ja erzählt werden kann, ist es auch gut ausgegangen. Im Präsens ist die Unruhe viel grösser, die Ungleichheit zwischen dem Zeitpunkt des Erzählers und in der Erzählung gewöhnungsbedürftig.
Sicherlich haben Sie die Debatten der letzten Jahre um Änderungen diskriminierender oder verletztender Inhalte in Kinderbüchern verfolgt, etwa bei Astrid Lindgren oder Dr. Seuss. Wie stehen Sie dazu?
Stanišić: Wenn etwas, das verhindert werden kann, verletzt, sollte es verhindert werden. Wie das geschieht, liegt in der gemeinsamen Verantwortung der Verlage und Vorleserinnen. Bei Neuausgaben würde ein progressiver Druck, wie ich ihn mir vorstelle, verletzende Begriffe und Zeichnungen einordnen müssen. In den historischen Kontext, aber auch in den Kontext des jeweiligen diskriminatorischen Aktes – warum und für wen ist das verletzend oder abwertend. Konkret könnte das durch Fussnoten oder Kennzeichnungen und Alternativen im Text geschehen. Danach begänne die Verantwortung der Vorleserinnen, die Kontextualisierung des Gelesenen. Also zum Beispiel: die entsprechenden Texte erst vorlesen, wenn das Kind reif genug scheint, um mit ihm über die Sache zu sprechen.
Spitzer: Seit dem letzten Jahr beobachte ich, dass sich immer mehr Verlage und Autorinnen und Autoren um Diversität in ihren Büchern bemühen. Auf mehr Kinder- und Jugendbücher, zum Beispiel von «People of Color», freue ich mich sehr.
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