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Papablog: Gute-Nacht-Geschichten
Warum Papa unsere Kinderbücher zensiert

«Mein Popo tut mir bis heute noch leid»?!? Prügelnde Eltern haben in Gute-Nacht-Geschichten nichts verloren.
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«Wir haben dann weitergespielt wie richtige Gespenster, mitten in der Nacht. Leider sind wir aber auf dem Sofa eingeschlafen, mit dem Bettlaken über dem Kopf, bevor Klara sie stopfen konnte. So haben uns Papa und Mama gefunden. Was dann geschah, möchte ich nicht erzählen. Mein Popo tut mir bis heute noch leid.»
Den letzten Satz sehe ich schon auf mich zukommen, während ich den ersten noch vorlese.

Das ist eine meiner nützlicheren Talente. Ich war schon immer gut im Querlesen von Texten und ich kann einen Abschnitt vorauslesen, während ich in einem Satz stecke. Deshalb lese ich diese letzten beiden Sätze auch nicht vor. In meiner Version kommen Mama und Papa einfach nur nach Hause und finden die schlafenden Kinder. Meine Vierjährige krabbelt müde in ihr Bett. Mein Fünfjähriger startet einen halbherzigen Versuch, noch eine Geschichte vorgelesen zu bekommen, aber weil es eher aus Gewohnheit geschieht, kriecht er ebenfalls unter seine Decke. Etwas geistesabwesend singe ich den beiden vor, sage «Gute Nacht».

Ich bin verdammt sauer!

Als ich die Tür hinter mir geschlossen habe, merke ich wie sauer ich bin. Ich zeige der Lebenskomplizin die Textpassage. Wir sind beide einigermaßen fassungslos. «Was zur Hölle ist das», fragt sie noch. Ja, was eigentlich. Ich habe einen Sammelband mit Geschichten über «Hexen, Feen, Ritter und Piraten» aus der Bibliothek ausgeliehen, weil ich einige der dort versammelten Autor*innen kenne und schätze, weil mein Fünfjähriger allmählich längere Geschichten möchte, aber gerade keine Lust auf lange Bücher mit einem Kapitel pro Abend hat und irgendwie auch weil der Einband nett aussah.

Mit einer Geschichte über ein Geschwisterpaar, das abends von den Eltern allein gelassen, zum Gespensterspielen Löcher in Laken schneidet und bei der Rückkehr der Eltern verprügelt wird, habe ich dabei ehrlich gesagt überhaupt nicht gerechnet. Schon gar nicht damit, dass das so beiläufig und unproblematisiert aus der Perspektive des Kindes wiedergegeben wird. Ich finde das weder harmlos, noch witzig. Und ich will wissen, wer das geschrieben hat. Das ist schnell herausgefunden. Die Gespenstergeschichte ist anscheinend Teil der mehrbändigen «Ich und meine Schwester Klara»-Reihe, die der verstorbene Autor Dimiter Inkiow seit den 70er bis in die 90er Jahre verfasst hat.

Ich kenne Inkiows Bearbeitungen der griechischen Sagen für Kinder, meine Großen haben die teilweise als Hörbuch gehört. Die fielen ziemlich blutrünstig und grausam aus, aber das ist ja auch der literarischen Vorlage geschuldet. Ich verstehe nicht, was das hier soll. Warum der Autor das schreibt, wieso ein renommierter Verlag das 2007 in einen Sammelband hebt, wieso die Herausgeberinnen da nicht einschreiten. Ich rege mich also auf, ich schimpfe auf Twitter rum, das Übliche eben.

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Die Aufgabe von Kinderliteratur

Eine Kollegin weist mich darauf hin, dass der Autor diese Geschichte vor über 4 Jahrzehnten geschrieben hat und damit zu einer Zeit, in der Eltern noch über ein Züchtigungsrecht gegen ihre Kinder verfügten. Und er womöglich auch vor dem Hintergrund einer eigenen normalisierten Erfahrung mit Gewalt geschrieben hat. Wenn einem das nachvollziehbarerweise nicht gefalle, könne man ja einfach was anderes lesen.

Da ist was dran. Und der Autor in mir sympathisiert durchaus mit dieser Anwaltschaft für Schreibende. Aber erstens macht das die Geschichte keinen Deut besser. Zweitens ist das ein Sammelband, bei dem ich nicht wusste, worauf ich mich einlasse. Drittens erklärt das nicht, wieso diese Geschichte überhaupt ausgewählt wurde. Und viertens verkauft es damit all jene Autorinnen und Autoren unter Wert, die Gewalt gegen Kinder schon vor 50 oder meinetwegen auch 100 Jahren problematisch fanden.

Dass Gewalt im Leben von Kindern eine Rolle spielt, ist leider so. Das zu thematisieren kann und sollte auch Aufgabe von Kinderliteratur sein. Aber nicht so, nicht ohne Widerstand, ohne Problembewusstsein und obendrein aus dem Mund einer Kinderfigur, mit der die Kinder sympathisieren und sich identifizieren.

Also zensiere ich. Ich vergreife mich am Werk. Und zwar nicht nur in diesem Buch: Ich streiche, ich stelle um, ich ergänze Feuerwehrfrauen und Bürgermeisterinnen, ich radiere rassistische Bezichtigungen aus. Nicht etwa, weil die Welt nicht rassistisch wäre, sondern weil Rassismus keine Nebensächlichkeit ist. Und Gewalt sicherlich auch nicht. Seit 2000 gilt in Deutschland «Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.» Auch Literatur sollte sich daran messen lassen.

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