Urteile in HongkongChinesischer Rundumschlag gegen die Demokratiebewegung
Ein Hongkonger Gericht verurteilt 45 Aktivisten wegen «Verschwörung zum Umsturz» zu langjährigen Haftstrafen – ein weiterer Tiefpunkt für die Befürworter einer offenen Gesellschaft in der Stadt.

- 45 prodemokratische Aktivisten haben in Hongkong eine Haftstrafe erhalten.
- Benny Tai erhielt die höchste Strafe: zehn Jahre.
- Joshua Wong bekannte sich schuldig und erhielt vier Jahre und acht Monate Haft.
- Das Gerichtsurteil zeigt den drastischen Rückgang der Freiheiten in Hongkong.
Es sind Urteile, die abschrecken sollen: Insgesamt 45 prodemokratische Aktivisten sind am Dienstag in Hongkong zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Die höchste Strafe mit zehn Jahren erhielt Benny Tai, der bekannte Demokratieaktivist und frühere Jurist. Das Gericht bezeichnete ihn als «Drahtzieher» der Gruppe. Der ehemalige Studentenführer Joshua Wong wurde zu vier Jahren und acht Monaten Gefängnis verurteilt. Der Lokalpolitiker Andrew Chiu muss für sieben Jahre in Haft.
Es ist ein Rundumschlag gegen teils prominente Köpfe der Hongkonger Demokratiebewegung, darunter viele Abgeordnete und Wissenschaftler. Die Behörden hatten der als «Hongkong 47» bezeichneten Gruppe von Oppositionellen vorgeworfen, vor der im Jahr 2020 ursprünglich geplanten Wahl des Hongkonger Parlaments, illegale Vorwahlen organisiert zu haben.
Der Gruppe «Hongkong 47» wird Staatsgefährdung vorgeworfen
Mit Vorwahlen wollten die Aktivisten vor vier Jahren die aussichtsreichsten Kandidaten für die Wahl des Abgeordnetenhauses identifizieren. Damals hatte eine reale Chance bestanden, dass die Opposition zum ersten Mal eine Mehrheit erreicht. Bei den vorangegangenen Bezirkswahlen hatten neun von zehn Hongkonger für Kandidaten aus dem prodemokratischen Lager gestimmt. Das Ergebnis hatte in Peking einen Schock ausgelöst.
Bei der Vorwahl gaben – trotz vorausgegangener Drohungen – eine halbe Million Hongkonger ihre Stimme ab. Zur eigentlichen Wahl kam es dann erst einmal gar nicht, die Regierung liess die Abstimmung verschieben, angeblich wegen Corona. Als sie dann im Dezember 2021 stattfand, hatten die Behörden die Regeln so weit geändert, dass fast nur Peking-treue Kandidaten zugelassen waren.

Angeklagt wurde die Gruppe bereits vor mehr als drei Jahren, Benny Tai und seinen Mitstreitern wurde damals «Verschwörung zum Umsturz» vorgeworfen. Die Aktivisten sollen sich der Staatsgefährdung schuldig gemacht und gegen das Sicherheitsgesetz verstossen haben. 31 Angeklagte, darunter Joshua Wong, hatten sich bereits zu Beginn des Verfahrens schuldig bekannt. Von den übrigen 16 Angeklagten befanden die Richter Ende Mai dieses Jahres 14 für schuldig, einer davon ist australischer Staatsbürger. Zwei wurden freigesprochen.
Widerstand gegen Pekings Einfluss gebrochen
Als Grundlage für die Haftstrafen diente das im Jahr 2020 erlassene sogenannte Nationale Sicherheitsgesetz, das Peking der Sonderverwaltungszone nach den Massenprotesten im Jahr zuvor aufgezwungen hatte. Kritiker sehen in dem Gesetz einen massiven Eingriff in die Selbstständigkeit der ehemaligen britischen Kronkolonie. China hatte der Finanzmetropole eigentlich bis 2047 weitreichende Autonomierechte zugesichert.
Das Gesetz hat die politische Realität in Hongkong komplett umgekehrt. Während 2019 noch Hunderttausende Hongkonger auf die Strasse gingen, um gegen Pekings Einflussversuche und Polizeigewalt zu protestieren, ist der Widerstand seit Inkrafttreten des Sicherheitsgesetzes grösstenteils gebrochen. Tausende Aktivisten, Journalisten und Anwälte wurden ins Gefängnis geworfen, darunter der regierungskritische Verleger Jimmy Lai. Medien mussten schliessen, viele internationale Organisationen und Stiftungen haben die Stadt aus Angst um ihre Sicherheit verlassen. Gleichzeitig sind Hunderttausende Hongkonger ausgewandert, viele davon nach Grossbritannien.
«Sich zur Wahl zu stellen, ist jetzt ein Verbrechen»
Die meisten, die sich nach der Urteilsverkündung am Dienstag zu Wort meldeten, waren geflüchtete Hongkonger. Der Hong Kong Democracy Council mit Sitz in Washington sprach von einem «Angriff auf das Wesen Hongkongs». Die Haftstrafen seien eine «feindselige Demonstration» für die Repressionen gegen alle Hongkonger, die es wagen würden, «aufzustehen und für ihre Rechte einzutreten». Mit dem Urteil habe das Gericht über die Zukunft Hongkongs entschieden.
Maya Wang von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kommentierte: «Sich zur Wahl zu stellen und zu versuchen, zu gewinnen, ist jetzt ein Verbrechen in Hongkong, das einen für eine Dekade ins Gefängnis bringen kann.» Die harschen Urteile seien ein Beleg für den tiefen Absturz der Freiheiten und der richterlichen Unabhängigkeit in der Stadt.
Die Regierung in Peking verteidigte ihr Vorgehen. Ein Sprecher des Aussenministeriums erklärte am Dienstag, man wolle lediglich Hongkongs Versuche unterstützen, seine nationale Sicherheit zu sichern: «Niemand darf unter dem Deckmantel der Demokratie illegale Aktivitäten betreiben und versuchen, einer rechtlichen Bestrafung zu entgehen.» Hongkong sei eine Gesellschaft, die auf Rechtsstaatlichkeit fusse. Ausserdem warnte der Sprecher vor der Einmischung «einzelner westlicher Länder» in die inneren Angelegenheiten Chinas.
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